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Allgemeinmedizin

Adipositas auf Rücken und Gelenke

Gewichtsreduktion bei Schmerzen im Bewegungsapparat unumgänglich

Prof. Dr. med. Dorothea Daentzer

1.4.2022

Übergewicht wirkt sich je nach Ausprägung auf fast alle Organe und Funktionen des menschlichen Organismus negativ aus. Zudem besteht ein Zusammenhang zwischen erhöhtem Körpergewicht und Schmerzen im Bewegungsapparat, überwiegend den Rücken und die großen Gelenke der unteren Extremitäten betreffend.

Als Übergewicht (Präadipositas) wird nach der WHO ein Body-Mass-Index (BMI) von 25 bis 29,9 kg/m2 bezeichnet, ab einem BMI von 30 kg/m2 spricht man von einer Adipositas. Die Prävalenz sowohl von Übergewicht als auch von Adipositas nahm national und global in den vergangenen Jahren immer mehr zu und korreliert auch positiv mit dem Alter. Männer sind dabei häufiger als Frauen betroffen. Daten aus einer deutschlandweiten Erhebung von 2017 zeigen gemäß der BMI-Klassifikation eine Häufigkeit übergewichtiger Menschen von 36,3 % und adipöser von 16,4 %, einer Gesamtprävalenz von 52,7 % der Bevölkerung mit erhöhtem BMI entsprechend. Wissenschaftlich ist belegt, dass Übergewicht und Adipositas die Hauptrisikofaktoren für zahlreiche chronische Leiden wie Diabetes mellitus sowie onkologische und kardiovaskuläre Erkrankungen sind. Zudem besteht ein negativer Einfluss eines ­gesteigerten BMI auf das muskuloskelettale Organ­system, wobei hier degenerative Veränderungen die Hauptrolle spielen. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass sich die Risikofaktoren für die beiden Pathologien Übergewicht und Schmerzen im Bewegungsapparat überschneiden, also jeweils die Prävalenz vom Alter, von genetischen Einflüssen und psychosozialen Faktoren beeinflusst wird. Wie bedeutend sich aber nur ein einziger der drei genannten Faktoren jeweils auf die Erkrankungen auswirkt, kann somit meist nicht zuverlässig angegeben werden.

Rücken- und Gelenkschmerzen

Auch Rückenschmerzen sind in der Bevölkerung weit verbreitet, wobei der untere Bereich etwa doppelt so häufig wie der obere befallen ist. Weibliche Personen sind signifikant öfter betroffen. Man unterscheidet zwischen spezifischen Rückenschmerzen, bei denen ein medizinisch eindeutiger Grund zu finden ist, von unspezifischen, die dominieren und bei denen sich keine strukturelle Ursache offenbart. Bei Letzteren scheinen psychologische, soziale und biophysikalische Faktoren vorzuliegen. Die 2020 veröffentlichte Prävalenz von Rückenschmerzen in den vergangenen zwölf Monaten bei Erwachsenen in Deutschland betrug 61,3 %, interessanterweise ohne signifikanten Einfluss des Alters auf die ­Häufigkeit der Beschwerden. Die Frequenz der Schmerzattacken nahm hingegen mit höherem Lebensalter signifikant zu. Dazu korrespondierend fand sich auch eine positive Korrelation zwischen chronischen, also länger als drei Monate dauernden Rückenschmerzen, und dem Alter. Insgesamt waren 15,5 % der Befragten von dauerhaften Rückenbeschwerden betroffen. Kontinuierliche Rückenschmerzen stellen nachvollziehbar eine große Belastung dar und schränken die Lebensqualität ein.

Zu den führenden Ursachen von Gelenkbeschwerden zählen muskuloskelettale Erkrankungen auf dem Boden einer Arthrose oder rheumatoiden Arthritis mit Verursachung erheblicher Kosten für das Gesundheitssystem. Gemäß einer Datenerhebung zwischen 2008 und 2011 stieg die Häufigkeit mit zunehmendem Alter an. Die 12-Monats-Prävalenz lag bei 55,1 % mit Dominanz der Frauen (57,9 %) gegenüber Männern (52,2 %). Von allen Gelenken war das Kniegelenk mit 16,2 % am häufigsten schmerzhaft, gefolgt vom Schulter- und Hüftgelenk (12,9 %; 12,6 %). Durch die Gelenkbeschwerden werden der Alltag und die Lebensqualität beeinträchtigt.

Adipositas und Rückenschmerzen

Auch wenn man spontan einen eindeutigen Zusammenhang von Übergewicht auf Rückenschmerzen vermuten würde, ist die Datenlage in der Vergangenheit teilweise widersprüchlich gewesen. So gibt es einige Untersuchungen, die keine Korrelation von Personen mit erhöhtem BMI auf die Häufigkeit von Rückenbeschwerden gefunden haben. Allerdings überwiegen Metaanalysen aus jüngerer Zeit, in denen doch eine klare positive Wechselwirkung aufgezeigt werden konnte, wobei sowohl Lumbalgien als auch Ischialgien als Symptome erfasst wurden. Besonders deutlich waren zudem Ergebnisse in Studien, in denen bei Patienten nach bariatrischen Operationen mit Erreichen einer Gewichtsabnahme auch eine Reduktion von Rückenbeschwerden festgestellt werden konnte.

Zweifelsfrei wird die Wirbelsäule abhängig vom individuellen Körpergewicht belastet. Die direkte Folge einer übermäßigen Beanspruchung ist die Entwicklung degenerativer Veränderungen der Bandscheiben, die sich in Rückenschmerzen äußern können. Zudem konnte in Studien ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Ausmaß des BMI und dem Grad der Degeneration nachgewiesen werden. Ebenfalls wurde bei Übergewichtigen eine erhöhte Prävalenz von lumbalen Nervenkompressionssyndromen mit Auftreten radikulärer Symptome gefunden.

Ein wesentlicher indirekter Faktor ist die Tatsache, dass übergewichtige Menschen dazu tendieren, sich weniger zu bewegen und seltener Sport zu treiben. Dieser Mangel an körperlichen Aktivitäten ist u. a. dafür verantwortlich, dass die Rumpfmuskulatur nicht ausreichend trainiert wird. Auch unabhängig vom Körpergewicht wird deshalb bei chronischen lumbalen Rückenschmerzen empfohlen und ist ­sogar in der Nationalen VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz verankert, Sport zu treiben und auf körperliche Aktivität zu achten. Ein weiterer Umstand stellt bei Adipösen mit zentraler (viszeraler) Fettverteilung das prominente Abdomen dar, welches genetisch-hormonell bedingt ist und sich deshalb überwiegend bei Männern findet. Dieser Habitus wird als Apfeltyp bezeichnet und ist durch eine Lokalisation des Fettdepots insbesondere um die inneren Organe herum gekennzeichnet. Dieses drückt ständig gegen die Muskulatur und verursacht eine permanente Anspannung. Außerdem wird der Körperschwerpunkt nach ventral verlagert, welches zur Vermeidung eines Vornüberkippens beim Stehen und Gehen eine ununterbrochene höhere Anspannung insbesondere der Rückenstreckermuskulatur erforderlich macht. Folgen sind eine schnellere Ermüdung der Muskeln mit Schmerzen.

Adipositas und Gelenkschmerzen

Der nachteilige Einfluss einer Adipositas auf die Kniegelenke ist in der Literatur sehr deutlich belegt. ­Ursächlich ist die erhöhte mechanische Belastung auf den Gelenkknorpel beim Gehen mit gesteigertem Risiko für die Entwicklung einer Gonarthrose. Dabei konnte das Übergewicht sogar als unabhängiger Risikofaktor identifiziert werden. Bereits fünf Kilogramm Übergewicht sollen das Risiko für die Entstehung degenerativer Veränderungen des Kniegelenkes verzweifachen. Die Assoziation zwischen einer Adipositas und dem Auftreten degenerativer Veränderungen der Hüftgelenke ist laut Datenlage hingegen geringer, aber auch gegeben, wobei dann überwiegend bilaterale Koxarthrosen gefunden werden.

Neben der erhöhten Gewichtsbelastung weisen Studien darauf hin, dass bei Übergewichtigen auch die Ernährung selbst an der Entstehung einer Arthrose beteiligt ist. So setzen prall gefüllte Fettzellen ­das Hormon Leptin frei, das für eine gesteigerte inflammatorische Reaktion im Körper mit u. a. Verursachung von Gelenkschäden verantwortlich sein soll. Im Tierexperiment wurde zudem insbesondere eine Ernährung mit hohem Anteil an Zucker und gesättigten Fettsäuren als Auslöser von Knorpelschäden identifiziert. Des Weiteren haben Untersuchungen gezeigt, dass abhängig vom vorhandenen Fettgewebe auch mehr entzündungsvermittelnde Botenstoffe (Zytokine) ausgeschüttet werden.

Therapieoptionen

Die Behandlungsansätze für Patienten mit Rücken- und Gelenkschmerzen gelten prinzipiell unabhängig vom Körpergewicht. Hier bieten sich je nach Beschwerden und bildgebenden Befunden konservative und operative Methoden an. Bei milden Symptomen, noch nicht versuchter konservativer Therapie oder als unspezifisch klassifizierten Schmerzen sollten die üblichen Maßnahmen wie Formen der Physiotherapie und physikalischen Methoden unter Einsatz von analgetischen Medikamenten gemäß dem Stufenschema der Weltgesundheitsorganisation zur Anwendung kommen.

Bei längerer Beschwerdedauer bieten sich auch multimodale Behandlungsprogramme wie eine ­ambulante oder stationäre Rehabilitation und Schmerztherapie an. Insbesondere bei chronischen unspezifischen ­Rückenschmerzen werden Verhaltenstherapien und Entspannungsverfahren empfohlen, für die Leitlinien-konform ein (starker) Empfehlungsgrad vorliegt. Dasselbe gilt für aktivierende Maßnahmen wie für die Bewegungstherapie sowie Rehabilitationssport und Funktionstraining. Das Bewegungstraining ist dabei für die Ernährung des Knorpels wichtig und sollte auch ein dosiertes Krafttraining enthalten (> Sportmedizin).

Bei adipösen und übergewichtigen Patienten spielt zudem die Reduktion des körpereigenen Gewichts eine große Rolle. So konnten Studien die positiven Effekte auf die Wirbelsäule sowie Knie- und Hüftgelenke nach erfolgter Gewichtsreduktion belegen. Besonders eindeutig waren die Resultate bei relevantem Gewichtsverlust nach bariatrischen Eingriffen mit Nachweis einer Steigerung der Lebensqualität und verbesserten Gehfähigkeit, Reduktion der Schmerzen sowie Zuwachs an Beweglichkeit und Funktion. Nebenbei sank die Einnahme von Analgetika. Zudem verringert eine Gewichtsreduzierung bei Personen mit erhöhtem BMI das Risiko für die Entstehung degenerativer Veränderungen der Gelenke. Selbst bei einer schon vorhandenen Arthrose lassen sich durch eine Gewichtsabnahme Symptome mildern und die Funktion verbessern. Um eine Gewichtsabnahme auf konventionellem Weg zu erreichen, ist eine dauerhafte Umstellung der Ernährung notwendig, die zucker- und fettarm und ballaststoffreich sein sollte. Unterstützend wirken sich ausreichend körperliche Aktivität und Sport auf die Gewichtsreduktion aus. Sinnvoll ist zudem die Konsultation von spezialisierten Ärzten oder Ernährungsberatern, die den Abnehmvorgang beratend begleiten und Rückfälle rechtzeitig erkennen können. Auf radikale Diäten sollte wegen des oft beobachteten Jo-Jo-Effektes hingegen verzichtet werden.

Die Indikationen für Operationen weichen grundsätzlich bei Übergewichtigen und Adipösen nicht wesentlich von denen bei Normalgewichtigen ab. Sie ergeben sich aus dem individuell empfundenen Leidensdruck und der Einschränkung der Lebensqualität, wenn die konservativen Maßnahmen zu keiner zufriedenstellenden Beschwerdereduktion führen konnten. Voraussetzung ist immer ein passendes Korrelat in der bildgebenden Diagnostik, da chirurgische Eingriffe nur bei strukturell fassbaren Veränderungen zur Anwendung kommen. Ebenfalls müssen die Operationstechniken nach der primär zugrunde liegenden Pathologie ausgerichtet werden, wobei vom Chirurgen das Körpergewicht bei der Operationsplanung selbstverständlich berücksichtigt werden muss. Bei fortgeschrittenen Arthrosen im Bereich der Hüft- und Kniegelenke ist meist die totalendoprothetische (TEP) Versorgung angezeigt.

Aus einer Metaanalyse in Bezug auf die Ergebnisse nach Hüft- und Knie-TEP geht aber hervor, dass ab einem BMI von 30 kg/m2 ein signifikant höheres Risiko für postoperative Komplikationen vorliegt. Dabei handelt es sich insbesondere um Infektionen und Wundheilungsstörungen. Zudem sind die Standzeiten der Prothesen bei Übergewichtigen denen von Normalgewichtigen unterlegen. Trotz alledem profitieren auch Übergewichtige und Adipöse bis zu einem BMI von 40 kg/m2 von Knie- und Hüftgelenkprothesen. Eingriffe an der Wirbelsäule dienen der Entlastung komprimierter neuraler Strukturen bei Vorliegen von Bandscheibenvorfällen oder Spinalkanalstenosen und/oder der dauerhaften Ausschaltung schmerzhafter Bewegungssegmente über fusionierende Verfahren bei ­Osteochondrosen, Spondylarthrosen oder Instabilitäten. Obwohl laut Datenlage bei elektiven Fusionsoperationen der Brust- und Lendenwirbelsäule die Komplikationshäufigkeit mit zunehmendem BMI ansteigt, sind auch bei Patienten mit übermäßigem ­Körpergewicht durch spinale Eingriffe Verbesserungen der Lebensqualität zu erwarten (Fallbeispiel). Im Zuge des präoperativen Settings ist neben der sorgfältigen Patientenselektion eine ausführliche Auf­klärung über die möglichen Komplikationen inkl. der individuell aufgrund des Körpergewichts erhöhten Risiken zwingend notwendig. Vorzugsweise ­sollten bei deutlich Übergewichtigen die Eingriffe in Zentren mit viel Erfahrung erfolgen. Bei sehr starker Adipositas muss sogar überlegt werden, ob man vor dem geplanten Gelenk- oder Wirbelsäuleneingriff eine ­Gewichtsreduktion entweder auf diätetischem Weg oder mittels bariatrischer Operation durchführt, um das Komplikationsrisiko zu senken.

Fallbeispiel

MRT der Lendenwirbelsäule (LWS), sagittale Schicht in T2-Wichtung, einer 72-jährigen Patientin mit einer Adipositas Grad III bei einem BMI von 41 kg/m2 (sub­kutanes Fettgewebe mit Pfeil markiert) und Lumboischialgien beidseits bei weit fortgeschrittener Osteochondrose L4/5, leichtgradiger Pseudospondylolisthesis L5/S1 und ausgeprägter Spinalkanalstenose L4/5 und L5/S1. Klinisch imponierte eine progrediente Claudicatio-spinalis-Symp­­tomatik mit limitierter Geh­strecke auf unter 100 m und erheblicher Einschränkung der Lebensqualität trotz um­fangreicher konservativer Therapieversuche. Neurologisch zeigten sich eine Hypästhesie im linken Bein und eine Fußheberparese links. Bei einem Operationswunsch erfolgte bereits unter ambulanten Bedingungen eine ausführliche Aufklärung über die aufgrund der Adipositas individuell erhöhten Risiken insbesondere für Wundheilungsstörungen und Infektionen.

Röntgen der LWS seitlich postoperativ nach transforaminaler lumbaler interkorporeller Fusion und Laminektomie L5 zur Dekompression der Spinalkanalstenose L4/5 und L5/S1 mit korrekter Implantatlage. Die Patientin zeigte sich mit dem Operationsergebnis sehr zufrieden, denn klinisch erfuhr sie innerhalb weniger Wochen eine deutliche Schmerzreduktion mit Rückbildung der Fußheberparese links und Steigerung der Gehstrecke. Zwar war bei prolongierter Wundsekretion postoperativ eine einmalige Wundrevision notwendig geworden, der weitere Verlauf zeigte sich dann jedoch vollständig regelrecht.

Die Autorin

Prof. Dr. med. Dorothea Daentzer, MBA
Leitende Oberärztin im
Department Wirbelsäule,
Sektionsleiterin Bandscheibenchirurgie
Orthopädische Klinik der
Medizinischen Hochschule Hannover

dorothea.daentzer@diakovere.de

Literatur bei der Autorin

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