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Allgemeinmedizin

Tumorwachstum

Längeres Überleben bei Krebs durch Alkalisierung mit Bicarbonat

Dr. med. Christine Adderson-Kisser

18.11.2022

Krebszellen sind von einem sauren Milieu umgeben, was das Tumorwachstum fördert und Therapieresistenzen bedingen kann. Eine Alkalisierung des Tumor-Microenvironments mit Bicarbonat hat in retrospektiven Studien zu einem längeren Überleben von Patienten mit Pankreas- und Lungenkarzinom geführt.

Krebszellen sind auf eine schnelle Erzeugung von Adenosintriphosphat (ATP) angewiesen, um ihren Energiezustand aufrechtzuerhalten, die Biosynthese von Makromolekülen zu steigern und einen geeigneten zellulären Redoxzustand für ihr Wachstum und Überleben zu schaffen. Im Gegensatz zu gesunden Zellen, die ihr ATP durch oxidative Phosphorylierung gewinnen, aktivieren Tumorzellen die aerobe Glykolyse (auch als „Warburg-Effekt“ bezeichnet [1]) – und das auch schon bei normalen Sauerstoffkonzentrationen in der Zelle. Als Folge der gesteigerten Glykolyse kommt es zur erhöhten Laktatproduktion in den Krebszellen, was zu einer Extrusion von Protonen aus den Zellen in die extrazelluläre Mikroumgebung des Tumors (TME) führt – und somit zu einer Verschiebung des pH-Gradienten in den sauren Bereich [2].

Alkalisierung als neuer Therapieansatz

Erkenntnisse aus In-vivo- und In-vitro-Studien legen nahe, dass sich dieser umgekehrte pH-Gradient von Krebszellen als vielversprechendes neues Ziel für die Krebsbehandlung eignen könnte. Denn ein azidotisches TME fördert nicht nur den Tumorprogress, sondern auch die Resistenzbildung der Tumorzellen gegenüber den zur Behandlung eingesetzten Chemotherapeutika. Denn die Azidose des TME bedingt eine Abnahme der Zellpermeabilität und somit eine schlechtere Aufnahme der Wirkstoffe in die Tumorzellen. Auch steigt im sauren Milieu die Zahl der Exosomen, mit denen die Tumorzellen die Sub­stanzen aus den Zellen eliminieren, und der „Multidrug-Transporter“ p-Glykoprotein wird verstärkt exprimiert und aktiviert. Eine effektive Alkalisierung durch den systemischen Einsatz von oralem Natriumbicarbonat bietet somit einen Ansatz, um die Azidose im Tumor zu neutralisieren und somit eine antitumoröse Wirkung zu erzielen sowie den Resistenzmechanismen entgegenzuwirken [3].

Klinische Studienergebnisse vielversprechend

Die bisherigen In-vivo- und In-vitro-Untersuchungen zum Einsatz von Bicarbonat zur Alkalisierung des sauren TME zeigten vielversprechende Ergebnisse  bzgl. der Machbarkeit, und es konnte gezeigt werden, dass der Anstieg des pH-Werts im Urin als Surrogatmarker für die Pufferwirkung nach Bicarbonateinnahme herangezogen werden kann [4]. Klinische Berichte über die Alkalisierungstherapie beruhen bisher auf der Auswertung retrospektiver Daten, wie denen der retrospektiven ­Fall-Kontroll-Studie mit 36 Patienten (19  Männer; mittleres Alter 64,5 Jahre) mit rezidiviertem bzw. metastasiertem Pankreaskarzinom (Stadium IV: n = 25, Rezidiv: n = 11) [5,6]. Zusätzlich zu ihrer Chemotherapie erhielten die Patienten eine alkalisierende Diät mit reichlich Obst und ­Gemüse sowie wenig Fleisch und Milch und zusätzlich orales Bicarbonat in einer Dosierung von 3–5 g täglich. ­Die intravenöse Supplementierung von Vitamin C wurde empfohlen.

Die 89 Patienten der Kontrollgruppe mit vergleichbaren Patientencharakteristika wurden lediglich mit Chemotherapie behandelt. Beim Vergleich der Überlebensdaten beider Gruppen zeigte sich das mediane Gesamtüberleben (overall survival; OS) in der Bicarbonat-Gruppe mit 15,4 Monaten (95%-Konfidenzintervall [KI] 10,2–24,7) im Vergleich zu nur 10,8 Monaten (95%-KI 8,7–12,3) bei alleiniger Chemotherapie signifikant länger (p < 0,005). Untersuchungen zum Surrogatmarker „pH-Wert-Anstieg im Urin“ ergaben, dass der mediane Urin-pH-Wert in der Bicarbonat-Gruppe tatsächlich signi­fikant von 6,38 auf 6,80 angestiegen war (p < 0,05). Patienten mit einer Urin-pH-Wert-Erhöhung auf > 7 (n = 13) zeigten dabei ein signifikant längeres medianes OS mit 25,1 Monaten als diejenigen der Kontrollgruppe (n = 89) mit 10,8 Monaten (p < 0,005).

In einer weiteren retrospektiven Studie wurden die Auswirkungen der Alkalisierungstherapie in Kombination mit einer intravenösen Vitamin-C-Behandlung bei mit Chemotherapie behandelten Patienten mit kleinzelligem Lungenkrebs (n = 12) untersucht [7]. Im Vergleich zu den Patienten der Kontrollgruppe (n = 15), die lediglich Chemotherapie erhalten hatten, zeigte sich auch hier ein signifikanter Anstieg des Urin-pH-Werts in der Interventionsgruppe sowie ein verlängertes medianes OS mit 44,2 Monaten im Vergleich zu 17,7 Monaten (p < 0,05) in der Kontrollgruppe.

Die Daten belegen, dass die orale Bicarbonat-Sub­stitution bei Patienten mit einem metastasierten/rezidivierten Pankreaskarzinom oder kleinzelligen Lungenkarzinom zusätzlich zur ­Chemotherapie das ­Gesamtüberleben signifikant verbessern kann. Zu bevorzugen sind dabei Bicarbonat-Präparate in ­magensaftresistenter Formulierung. Zudem sollte die Bicarbonat-Substitution nach Meinung der Autoren die alkalisierende Diät nicht ersetzen, sondern ergänzen. Prospektive, randomisierte klinische Studien mit größeren Patientenzahlen sind nun notwendig, um die Effekte der Alkalisierungstherapie genauer zu quantifizieren sowie die optimale Dosierung der Bicarbonat-Substitution zu finden [8].

Hanahan D et al., Cell 2011; 144: 646–674
Ippolito L et al., Trends Biochem Sci 2019; 44: 153–166
Wojtkowiak JW et al., Mol Pharm 2011; 8: 2032–2038
Robey IF et al., J Integr Oncol 2014; 04: 128
Hamaguchi R et al., Anticancer Res 2020; 40: 873–880
Hamaguchi R et al., In Vivo 2020; 34: 2623–2629
Hamaguchi R et al., Cancer Diagn Progn 2021; 1: 157–163
Hamaguchi R et al., Front Oncol 2022; 12: 1003588

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