Gebräunte Haut gilt in unserer Kultur als Zeichen von Gesundheit und Wohlstand – auch wenn schon seit Jahrzehnten bekannt ist, dass zu viel UV-Licht die Hautalterung beschleunigt und das Hautkrebsrisiko erhöht. Wird das Verlangen nach Bräune zwanghaft, spricht man von Tanorexie.
Sonnenenergie ist entscheidend für uns und unser Ökosystem und das gesamte Lichtspektrum essenziell für unser Wohlbefinden. Das wenig energiereiche UV-A-Licht ist für die Vitamin-D-Synthese unverzichtbar – und für die Hautbräunung verantwortlich.
Die Bedeutung von gebräunter Haut ist kulturell und gesellschaftlich unterschiedlich. In westlichen Ländern wird gebräunte Haut oft mit Gesundheit, Jugendlichkeit, Attraktivität und finanzieller Unabhängigkeit assoziiert. Viele Menschen nutzen deshalb neben sonnenreichen Urlaubszielen auch Solarien, um gebräunt und attraktiver zu erscheinen. Der Trend zu gebräunter Haut ging Anfang des 20. Jahrhunderts von den USA aus und verbreitete sich allmählich auch in Europa, gefördert durch die Möglichkeit, sich Urlaub in sonnenreichen Gegenden und zu allen Jahreszeiten leisten zu können. Braun gebrannte Haut wurde zum Statussymbol und Beweis für Wohlstand. Im Zeitalter der sozialen Medien kann gebräunte Haut auch Ausdruck der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen wie Influencern, Bodybuildern und Reisebloggern sein.
Menschen in Fernost und in Lateinamerika verbinden gebräunte Haut dagegen mit Armut, niedrigem sozialen Status und mangelnder Bildung. In vielen Ländern gilt helle Haut als traditioneller und angestrebter Schönheitsstandard, wohl auch in dem Bewusstsein, dass eine forcierte Bräunung, egal ob durch künstliches oder natürliches UV-Licht, die Hautalterung beschleunigt und die damit unvermeidlich einhergehenden Falten und strukturellen Veränderungen die Haut früh unansehnlich machen.
In den Social Media präsentieren sich heute zwei Lager: Die sonnenphobischen Menschen, die ängstlich UV-Licht meiden, täglich Sonnenschutzmittel mit möglichst hohem Lichtschutzfaktor anwenden und häufig das Hautkrebsscreening in Anspruch nehmen, und Menschen, die stolz ihre nahtlos gebräunte Haut präsentieren, über Warnungen vor schädlichen UV-Wirkungen lachen und Hautkrebsscreening für überflüssig halten.
Der Begriff „Tanorexie“ (von engl. „to tan“, bräunen oder braun werden, und „-rexia“, exzessives [Sucht-]Verhalten auf Basis einer Körperbildstörung, angelehnt an die Essstörung Anorexie) bezieht sich auf die Sucht nach (künstlicher) Besonnung zum Zweck des Bräunens. Der Begriff „Tanorexie“ wurde 1985 in einem Artikel der Zeitschrift „New York Magazine“ eher humorvoll als „die neue Modekrankheit“ geprägt. Mit dem heutigen Wissen über die Risiken ultravioletter Strahlung – Hautalterung und Hautkrebs – ist „Tanorexie“ kein Scherz, sondern bezeichnet eine ernste Erkrankung.
Diese Sucht des extremen Bräunens durch Sonnenbaden oder in Solarien ist wie alle Süchte schwer zu beeinflussen, da durch die Bestrahlung Endorphine freigesetzt werden, was ständig neu stimuliert werden muss. Eine Abhängigkeit entwickelt sich meist allmählich über einen längeren Zeitraum. In der International Classification of Diseases (ICD) und im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) gibt es keine spezifische Kodierung für Tanorexie. Diskutiert wird neben einer Klassifikation als Suchterkrankung auch eine Nähe zur Dysmorphophobie, also der Furcht – in diesem Fall durch blasse Haut – entstellt oder krank zu wirken.
Das Risiko, an einer Tanorexie zu erkranken, ist Studien zufolge mit erhöhten Werten für Belohnungssuche und Depression assoziiert; auch zeigten sich neurochemische Parallelen zwischen anderen, substanzbezogenen Süchten und der Bräunungssucht. Eine Ursache könnte in der Stimulation der Endorphinausschüttung durch UV-Strahlen liegen.
Diagnosekriterien und epidemiologische Daten zur Tanorexie fehlen bislang. Vieles deutet darauf hin, dass eine Fixierung auf ein jugendlich-attraktives Äußeres, die Idealisierung körperlicher Attribute und bestimmte Gruppenzugehörigkeiten Risikofaktoren für die Entstehung der Bräunungssucht sind.
Bisher gibt es keine standardisierten psychotherapeutischen Behandlungsprotokolle für Tanorexie. Basierend auf den zugrunde liegenden psychologischen Mechanismen und Analogien zu anderen Süchten kommen insbesondere verhaltenstherapeutische Ansätze wie Kognitive Verhaltenstherapie, Stimuluskontrolle, Habit-Reversal-Training und Aufbau alternativer Strategien wie der Nutzung von Selbstbräunungs-Lotionen oder -Sprays infrage.
Selbsthilfegruppen können Unterstützung und Motivation bieten, um das problematische Verhalten zu beenden. Online-Foren oder Support-Gruppen ermöglichen den Austausch mit anderen Betroffenen. Wie bei anderen Süchten ist auch bei Tanorexie die Prävention von großer Bedeutung – in Form von Aufklärungskampagnen über die Gefahren übermäßiger Besonnung und zur Förderung eines realistischen Körperbildes.
Die Autorin
Dipl.-Psych. Dr. Judith A. Bahmer
Psychologische Psychotherapeutin
Praxis für Psychotherapie
48145 Münster
Der Autor
Prof. Dr. med. Friedrich A. Bahmer
Dermatologe, Venerologe, Allergologe
Ehrenmitglied Mex. Dermatol. Ges. SMD
Mitglied Dtsch. Ges. f. Photographie
48161 Münster
Prof. Dr. med. Friedrich A. Bahmer ist ehemaliger Chefarzt der Hautklinik Bremen-Mitte und war zuletzt in eigener Praxis tätig. Zu seinen Schwerpunkten zählt neben tropischen Haut- und Insektenkrankheiten u. a. auch die Psychodermatologie.
Literatur bei den Autoren
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