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Gynäkologie

Anorexia nervosa und die Folgen

Osteoporose bei jungen untergewichtigen Frauen

Dr. med. Petra Spelzhaus

15.4.2023

Die meisten Osteoporose-Patientinnen sind postmenopausal. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auch vermehrt jüngere Frauen in den Osteoporose-Sprechstunden vorstellen – induziert oft durch kritisches Essverhalten. Dieser Beitrag gibt Tipps für den Umgang mit untergewichtigen Patientinnen.

Knochen ist ein sehr vitales Gewebe, das ständigen Umbauprozessen (Remodelling) ausgesetzt ist. Die Osteogenese erfolgt durch die Osteoblasten, der Knochenabbau durch die Osteoklasten. Besteht ein Ungleichgewicht zugunsten der Osteolyse, nimmt die Knochendichte ab, es droht eine Osteopenie beziehungsweise Osteoporose.

Diese Diagnosen werden standardmäßig mithilfe einer Knochendichtemessung mittels DXA (Dual Energy ­X-ray Absorptiometry) an Lendenwirbelsäule beziehungsweise proximalem Femur gestellt. Dabei wird der T-Score ermittelt, der die Standardabweichung der gemessenen Knochenmineraldichte (BMD = Bone Mineral Density) bezogen auf eine 30-jährige gesunde Person gleichen Geschlechts darstellt. Ein T-Score zwischen -1,0 und -2,5 entspricht einer Osteopenie, Werte kleiner als -2,5 einer Osteoporose. Beim Vorliegen von zusätzlichen Fragilitätsfrakturen spricht man von einer manifesten Osteoporose.

Mit einer 12-Monats-Prävalenz von 24,0 % stellen die postmenopausalen Frauen ab 65 Jahren den mit Abstand größten Anteil der Osteoporose-Patienten [1,2], getriggert durch das Versiegen der Estrogenproduktion. Die sehr viel seltenere und erst später auftretende Osteoporose bei Männern wird analog mit sinkenden Testosteronspiegeln in Verbindung gebracht. Die DVO-Leitlinie Osteoporose von 2017 bezieht sich dementsprechend auf postmenopausale Frauen und Männer ab 50 Jahren.

Diese Tatsache darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auch jüngere Frauen in den Osteopo­­rose-Sprechstunden vorstellen. Ein wesentlicher Risikofaktor für eine verminderte Knochendichte ist das Untergewicht. Studien belegen, dass ein BMI von unter 20 mit einem um den Faktor 2 erhöhten ­Frakturrisiko einhergeht. Ein nicht unwesentlicher Teil der jungen Patientinnen mit Osteopenie oder Osteoporose leidet an der Essstörung Anorexia ­nervosa.

Abbildung 1: Ostoeporotische Frakturen

Von der psychiatrischen Störung zum Knochenbruch

Es handelt sich hierbei um eine überwiegend ­Frauen betreffende psychiatrische Störung, die durch ein kritisches Untergewicht (BMI < 17,5) durch selbst­induziertes Hungern gekennzeichnet ist. Je früher ein Untergewicht auftritt, desto ungünstiger ist der Effekt auf die Knochendichte [3,4]. Dabei konnte nach­gewiesen werden, dass etwa 90 % der ­Anorexie-Patientinnen eine Knochenmineraldichte von mehr als einer Standardabweichung unterhalb des Normwertes junger gesunder Frauen aufweisen. Davon erfüllen mehr als 50 % die Kriterien einer Osteopenie und 34–38 % die einer Osteoporose, verbunden mit einem deutlich erhöhten Frakturrisiko (Abb. 1). Ungünstig wirkt sich die Tatsache aus, dass sich die Anorexie vor allem im Jugendalter manifestiert, einer wesentlichen Phase des Knochenaufbaus.

Niedriges Körpergewicht und reduzierte Gonadenfunktion scheinen die stärksten Prädiktoren für die Entwicklung einer verringerten Knochendichte und Frakturen bei Patienten mit Anorexia nervosa darzustellen. Die Störung beginnt meist in der frühen Jugend. Bei Mädchen, die bereits vor Pubertätsbeginn an Anorexia nervosa leiden, verschiebt sich die Menarche nach hinten. Bei jungen Patientinnen, die später an der Essstörung erkranken, gestalten sich die Menstruationen unregelmäßig oder bleiben häufig ganz aus. Bis zu 70 % der weiblichen Anorexie-Patienten zeigen Veränderungen des Menstruationszyklus.

Die damit verbundene Reduktion der Estrogenproduktion mit daraus resultierender Amenorrhoe führt über verschiedene Mechanismen zum Verlust der Knochenmasse und zur Erhöhung des Frakturrisikos. Estrogen hemmt die Wirkung der Osteoklasten direkt bzw. über eine Stimulation der Calcitoninausschüttung. Es fördert die Calciumaufnahme über den ­Magen-Darm-Trakt und steigert die Durchblutung des Knochens. Über eine Verbesserung der Funktion des zentralen Nervensystems sinkt die Sturzgefahr. Patientinnen mit Amenorrhoe zeigen daher häufig eine verringerte BMD.

Es gibt weitere Faktoren mit negativen Auswirkungen auf die Knochendichte:  Die Anorexie-Patientinnen zeigen häufig als Reaktion auf den chronischen physiologischen Stress eine Erhöhung der Cortisolproduktion. Diese Steroide erhöhen die Knochenresorption, reduzieren den Knochenaufbau sowie die Calciumaufnahme aus dem Gastrointestinaltrakt und erhöhen die Calciumausscheidung über die Nieren. Über diese Mechanismen gilt Cortisol als potenter „Knochenräuber“.

Quantifizierung der Knochendichte

Knochendichtemessungen (bone mineral density tests, BMD) analysieren die Knochendichte in verschiedenen Arealen des Skelettes und erlauben eine Risikoaussage für spätere Frakturen. Die Dual Energy X-ray Absorptiometry (DXA) mittels Röntgenstrahlen gilt dabei als Goldstandard. Sie wurde in den 1980er-Jahren entwickelt und basiert auf zwei Strahlen unter­schiedlicher Energielevel.

Gemessen werden Lendenwirbelsäule und Hüfte. Zwei Begriffe sind dabei klinisch von Bedeutung: Der Z-Score vergleicht die gemessene Knochendichte mit Normalpersonen im gleichen Alter und mit gleichem Geschlecht. Der T-Score vergleicht die Dichtewerte mit denen eines normalen jungen Erwachsenen (20–30 Jahre alt mit der maximalen Knochendichte). Bei allen gemessenen Patienten > 30 Jahre ist der T-Wert niedriger als der Z-Wert, wobei die Unterschiede mit dem Alter zunehmen. Definitionsgemäß beruht die Diagnose der Osteoporose auf einer T-Wert-Abweichung von < -2,5 SD.

Hormonelle Dysregulation

Bei Anorexie-Patientinnen führen erhöhte Spiegel des von der Hypophyse sezernierten Wachstumshormons (GH) zu einer Wachstumshormonresistenz und verringerter Synthese und Freisetzung des Insulin-like Growth Factor 1 (IGF-1) aus der Leber. Es konnte gezeigt werden, dass sich der IGF-1-Level in einer akuten Fastenphase bereits nach vier Tagen signifikant verringert, mit negativer Auswirkung auf die Knochenumbauparameter. In einer chronischen Hungerphase – wie es bei einer Anorexia nervosa der Fall ist – sind die IGF-1-Level signifikant niedriger als in der normgewichtigen Kontrollgruppe. Hier zeigt sich die Relevanz des Ernährungsstatus für die IGF-1-Regulation [5].

Der Leptinspiegel korreliert direkt mit der Menge des Körperfettgewebes und ist bei Untergewichtigen reduziert. Auch wenn dem in den Adipozyten produziertem Leptin nur eine geringe Wirkung auf die Knochendichte bei Anorexie-Patientinnen zugeschrieben wird, gilt es als ein Schlüsselhormon in der Entwicklung von hypogonadotropem Hypogonadismus im Falle einer Unterernährung [6,7]. Verglichen mit einem normalgewichtigen Vergleichskollektiv zeigen Mädchen und Frauen mit Anorexia nervosa eine reduzierte Leptinkonzentration.

Frauen mit funktioneller hypothalamischer Amenorrhoe, die mit rekombinantem humanem Leptin behandelt wurden, zeigten Hinweise für eine Erholung der Menstruation im Vergleich zu einer Placebogruppe sowie eine positive Auswirkung auf die Marker der Knochenbildung. Allerdings ist eine unerwünschte Nebenwirkung der Behandlung mit rekombinantem humanem Leptin ein Gewichtsverlust. Daher ist trotz der positiven Assoziation zwischen Leptinspiegeln und der Knochendichte von untergewichtigen Patientinnen eine Behandlung mit dem Hormon keine Option.

Im Gegensatz zu den von der DVO-Leitlinie erfassten Patienten spielt eine Unterversorgung mit Calcium, Vitamin D und/oder Protein bei Patienten mit Anorexia nervosa keine wesentliche Rolle. Die Versorgung mit Calcium und Vitamin D stellte sich sogar besser dar als in der Kontrollgruppe, vor allem durch Supplementierung. Jugendliche mit Anorexia nervosa zeigten keine geringere Proteinaufnahme als die normgewichtige Vergleichsgruppe. Aufgrund der bekannten positiven Effekte von Vitamin D auf den Knochenstoffwechsel wird auch bei anorektischen Patientinnen ein Vitamin-D-Screening mit anschließender Substitution im Falle einer Unterversorgung empfohlen.

Muskelaufbautraining

Körperliches Training mit Kräftigung der Muskulatur ist unerlässlich für die Knochengesundheit in der Allgemeinbevölkerung. Anders kann es aussehen, wenn Patienten an Anorexia nervosa erkrankt sind. Bei bis zu 80 % der Anorexie-Patienten konnte eine Tendenz zum exzessiven Training nachgewiesen werden. Typischerweise zeigt sich ein Zwang, ohne Rücksicht auf Körpergewicht oder die physische Verfassung zu trainieren. Physische Aktivität wiederum ist assoziiert mit Amenorrhoe und erfordert eine erhöhte Kalorienzufuhr.

Studien zeigten, dass in akuten Anorexie-Phasen mit geringem Energie-Level körperliche Übungen zu einer weiteren Verringerung der Knochendichte führen können. Ist die Erkrankung allerdings in Remission (BMI > 18) und der Menstruationszyklus hat wieder eingesetzt, führt sportliches Training wiederum zu positiven Effekten auf die BMD. Wie so oft im Leben kommt es also auch hier auf das richtige Timing an.

Therapeutische Herausforderungen

Es gibt diverse Herausforderungen in der Behandlung einer verringerten Knochenmineraldichte bei Patientinnen mit Anorexia nervosa: Es handelt sich um eine chronische Erkrankung, für die therapeutische Langzeitoptionen fehlen. Die verringerte Knochendichte mit damit verbundenem erhöhtem Risiko für Fragilitätsfrakturen persistiert auch nach der Gesundung. Da nur 50–60 % der an Anorexie erkrankten Frauen Jahrzehnte nach der Erstdiagnose von der Erkrankung genesen, wären theoretisch therapeutische Langzeitstrategien nötig – die praktisch zurzeit nicht zur Verfügung stehen.

Diverse Pharmakotherapien wurden zur Reduktion des Verlusts von Knochendichte bei Anorexie-Patientinnen erprobt. Jedoch stellt die erfolgreiche Behandlung der Grunderkrankung inklusive Wiederherstellung eines physiologischen Körpergewichts – dieses ist definiert durch mindestens 85 % des Standardgewichts – und das Wiedereinsetzen des Menstruationszyklus die effektivste Langzeittherapie dar. Gelingt dieses, ist laut Studie mit einem Zuwachs der Knochenmineraldichte von jährlich 3,1 % an der Wirbelsäule und 1,8 % an der Hüfte zu rechnen. Das steht in deutlichem Kontrast zu dem zu erwartenden weiteren jährlichen Verlust an Knochenmasse von 2,6 % an der Wirbelsäule und 2,4 % an der Hüfte bei Patientinnen, die untergewichtig und amenorrhoisch bleiben. Selbst Patientinnen, bei denen die Grunderkrankung erfolgreich therapiert wurde, zeigen häufig eine persistierende Erniedrigung der Knochendichte mit erhöhtem Frakturrisiko. Gegenwärtig fehlen noch prospektive Studien zur optimalen Behandlung der als genesen geltenden Anorexie-Patientinnen.

Bezüglich hormoneller Anpassungen bei Mädchen und Frauen mit persistenter Anorexia nervosa wurden diverse hormonelle Behandlungsstrategien erprobt: Estrogenersatztherapien, Behandlung mit DHEA, IGF-1 und Testosteron. Eine Studie zeigt, dass die Applikation von physiologischen transdermalen Estrogendosen die Knochenmineraldichte an der Wirbelsäule bei weiblichen Jugendlichen nach 18-monatiger Behandlung um 2,6 % erhöht. Das könnte einen vielversprechenden Ansatz in der Behandlung von jugendlichen Anorexie-Patientinnen mit Verringerung der Knochendichte liefern.

Im Kontrast dazu zeigte eine orale Estrogeneinnahme – in der Regel in Form eines oralen Kontrazeptivums – keine Verbesserung der Knochendichte bei Patientinnen mit der Essstörung. Wird orales Estrogen mit anderen hormonellen Behandlungen – IGF-1 oder DHEA – kombiniert, zeigten sich moderate Effekte. In einer Studie, in der anorektische Frauen über zwölf Monate mit transdermalem Testosteron behandelt wurden, zeigte sich kein Anstieg der Knochendichte im Vergleich zur Placebogruppe.

Schwierige Datenlage zur medikamentösen Therapie

Auch spezifische Osteoporose-Medikamente wie ­Bisphosphonate und Teriparatid wurden in Kurzzeitstudien an Frauen mit Anorexia nervosa getestet. Allerdings ist für beide Substanzen die Langzeit­therapie limitiert. Teriparatid zeigte im Studiendesign zwar nach einer 6-monatigen Behandlung von anorektischen Frauen eine Erhöhung der Knochendichte von 6–10 % an der Wirbelsäule, aber eine Teriparatid-Behandlung ist auf 24 Monate begrenzt. Aufgrund der erhöhten Gefahr für Osteosarkome darf das Medikament Jugendlichen mit offenen Epiphysenfugen nicht verabreicht werden.

Die Wirkung von Bisphosphonat-Gaben über zwölf Monate zeigte eine Verbesserung der Knochendichte an Wirbelsäule und Hüfte von 2–4 % bei Erwachsenen, bei Jugendlichen war jedoch kein signifikanter Effekt nachweisbar. Neben dem bekannten Nebenwirkungsspektrum wurde an Ratten eine Plazentagängigkeit der Bisphosphonate nachgewiesen.

Aufgrund der langen Halbwertszeit im Knochengewebe und der fehlenden Datenlage zur Behandlung von schwangeren Frauen wird zur Vorsicht bei Bisphophonat-Therapie von prämenopausalen Frauen geraten.

Fazit

Kommt eine junge untergewichtige Frau in die Praxis, sollte man an eine Essstörung inklusive Anorexia nervosa denken. Etwa 90 % der Anorexie-Patientinnen zeigen eine Reduktion der Knochendichte um mehr als eine Standardabweichung unterhalb des Normwertes junger gesunder Frauen. Das entspricht definitionsgemäß einer Osteopenie oder Osteoporose, assoziiert mit einem erhöhten Frakturrisiko.

Aktuell ist die Bekämpfung der Grunderkrankung mit Anstreben eines normalen Körpergewichts und Wiedererlangen des Menstruationszyklus die effektivste Therapie. Die transdermale Estrogenbehandlung in physiologischen Dosen könnte in Zukunft eine vielversprechende Option werden. Allerdings werden neue Studien benötigt, um die Langzeiteffizienz und Sicherheit potenzieller Therapieoptionen zur Behandlung einer verringerten Knochenmineraldichte bei Anorexia nervosa zu evaluieren.

Die Autorin

Dr. med. Petra Spelzhaus
Fachärztin Physikalische und Rehabilitative Medizin
MediCenter am Klinikum Bogenhausen Ambulante Ansprechpartnerin
Osteoporosezentrum München Klinik

1 Fuchs J et al., J Health Monitor 2017; 2(3), DOI 10.17886/RKI-GBE-2017-055
2 Hadji P et al., Dtsch Arztebl Int 2013; 110: 52–57
3 Fazeli PK, Clin Rev Bone Miner Metab 2019; 17: 65–76
4 Steinmann J, Shibli-Rahhal A, J Bone Metabolism 2019; 26: 133–143
5 Gianotti L et al., Eat Weight Disord 2002; 7: 94–105
6 Dornbush S, Aeddula NR, Physiology, Leptin. Treasure Island, FL: StatPearls Publishing 2022, Im Internet: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK537038/
7 Society for Endocrinology. Leptin. Im Internet: https://www.yourhormones.info/hormones/leptin/

Bildnachweis: ttsz, Floortje (gettyimages), privat

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