Eine internetbasierte Behandlung von Menschen mit Tourette-Syndrom auf Basis des Habit-Reversal-Training (HRT) haben Hannoveraner Forscher entwickelt. Sie wollen damit die Versorgungslage für Tourette-Patienten verbessern. Die vorgelegten Studienergebnisse deuten auf eine gute Wirksamkeit hin.
Die mit dem Tourette-Syndrom einhergehenden Tics (abrupte Bewegungen, Lautäußerungen) schränken die Lebensqualität der Betroffenen oft stark ein. Durch entsprechende Therapien können diese Tics jedoch wirkungsvoll gelindert werden, wobei eine spezielle Form der Verhaltenstherapie – die sogenannte Comprehensive Behavioral Intervention for Tics (CBIT) – als besonders vielversprechend gilt. Diese basiert auf einem Habit-Reversal-Training (HRT) mit der Zielsetzung, dass Patienten sich der Tic-auslösenden Verhaltensabläufe bewusst werden und ihnen „gegensteuern“, indem sie diese durch konkurrierende Abläufe ersetzen. Anders als bei der Behandlung mit Antipsychotika sind hierbei keine belastenden Nebenwirkungen bekannt.
Da erst seit wenigen Jahren bekannt ist, dass die HRT-Therapie Tics lindern kann, gibt es hierzulande bislang nur sehr wenige Therapeuten, die sie anbieten. Um diese Versorgungslücke zu schließen, hat ein Hannoveraner Team um die Tourette-Expertin Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl in Kooperation mit der Firma Minddistrict eine entsprechende Anwendung entwickelt. Damit kann – unabhängig von therapeutischen Fachkräften – eine internetbasierte umfassende Verhaltensintervention für Tics (iCBIT) von den Betroffenen selbst realisiert werden. „Eine erste klinische Studie, die wir durchgeführt haben, spricht dafür, dass auch durch diese internetbasierte Therapieform die Tics deutlich reduziert werden, wenn zunächst auch nicht ganz so stark wie bei einer Face-to-Face-Therapie durch eine speziell ausgebildete Fachkraft“, so Müller-Vahl.
Besser als vis-a-vis?
Mit der Zeit, so berichtet die Wissenschaftlerin weiter, nahmen die Tics bei den Personen, die internetbasiert behandelt wurden, jedoch immer mehr ab: „Sechs Monate nach der Therapie zeigte sich bei den über iCBIT behandelten Personen sogar eine stärkere Tic-Reduktion als in der Patientengruppe, die persönlichen Therapeutenkontakt hatte“, berichtete Müller-Vahl in einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), das die von ihr geleitete klinische Studie mit mehr als 1,1 Millionen Euro unterstützt hat.
An der multizentrischen Studie haben sich alle großen Behandlungszentren für das Tourette-Syndrom in Deutschland beteiligt. Insgesamt wurden 161 Patienten eingeschlossen. „Damit ist diese Studie eine der größten Therapiestudien, die jemals mit Personen mit Tourette-Syndrom durchgeführt wurde“, sagt Müller-Vahl. Die Forscher hoffen jetzt, dass die internetbasierte Therapieform als Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) zugelassen wird und dann betroffenen Patienten per Rezept verschrieben werden kann.
Pressemitteilung Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Dezember 2022
Haas M et al.; J Clin Med. 2022 Jan 4;11(1):250 (DOI 10.3390/jcm11010250).