Deutschland verfügt über eine im europäischen Vergleich einzigartige aufsuchende Wochenbettbetreuung über 12 Wochen nach der Geburt und in Problemfällen darüber hinaus. Damit werden strukturell gute Versorgungsmöglichkeiten geboten, betonen Wissenschaftlerinnen vom Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung in Wuppertal und der Hochschule Osnabrück. Allerdings gibt es bislang kaum Studien auf der Basis von Routinedaten, die zeigen, welche Wöchnerinnen in welchem Umfang die aufsuchende Wochenbettbetreuung erhalten.
Zur Klärung dieser Frage untersuchten die Forscherinnen eine Studienpopulation, die 199.978 bei der Barmer versicherte Frauen umfasste, die in den Jahren 2017-2020 mindestens ein Kind geboren hatten (manche Frauen waren im Betrachtungszeitraum mehrmals schwanger). Analysiert wurden die von freiberuflichen Hebammen abgerechneten Leistungen der aufsuchenden Hebammenbetreuung im Wochenbett bei 227.088 Geburten unter Einbeziehung der sozioökonomischen Lage der Mütter.
Nach der Definition des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung gehörten 26 % der Mütter in eine niedrige, 46 % in eine mittlere und 29 % in eine hohe Einkommensgruppe. Ähnlich wie schon für die Hebammenversorgung in der Schwangerschaft gezeigt wurde, fanden sich auch bei der aufsuchenden Wochenbettbetreuung große Unterschiede: Während 90,5 % der Frauen mit hohem Einkommen aufsuchende Wochenbettbetreuung erhielten, waren es bei den Frauen mit mittlerem Einkommen nur 83,5 % und bei den Frauen mit niedrigem Einkommen sogar nur 67,9 %. Diese Versorgungsunterschiede in den Gruppen konnten nicht wesentlich durch Unterschiede weiterer Merkmale erklärt werden, z. B. Kaiserschnittrate, Frühgeburten, Mehrlingsschwangerschaften, Begleiterkrankungen oder Alter. Frauen, die in der Schwangerschaft bereits abgerechnete Hebammenleistungen erhalten hatten, erhielten sehr viel häufiger im Wochenbett Hausbesuche durch die Hebamme. Darüber hinaus fand sich ein Zusammenhang zur Hebammendichte in der jeweiligen Region.
Die Autorinnen kommen zu dem Schluss, dass ihre Studienergebnisse nahelegen, dass der Zugang zur häuslichen Wochenbettbetreuung durch freiberufliche Hebammen für Frauen mit niedrigem Einkommen deutlich eingeschränkt ist. Im Gegensatz zur Schwangerenvorsorge können Frauen im Wochenbett nicht auf andere Leistungserbringer ausweichen, da aufsuchende Wochenbettbetreuung eine Vorbehaltstätigkeit von Hebammen ist. Frauen mit niedrigem Einkommen erhalten somit weniger Hebammenbetreuung, obwohl von einem höheren Unterstützungsbedarf ausgegangen werden kann.
Hertle D et al.: Aufsuchende Wochenbettbetreuung: Die sozioökonomische Lage hat einen starken Einfluss auf den Betreuungsumfang. Eine Analyse mit Routinedaten der BARMER. Gesundheitswesen. 2023 Dec 22 (DOI10.1055/a-2144-5180).