Rund 60% der Patienten mit einem spontan entstandenen medullären Schilddrüsenkarzinom (MTC) weisen onkogene Punktmutationen im Gen der Tyrosinkinase RET (REarranged during Transfection) auf. Mit der Behandlung dieser Patienten hat sich der Kongress der Gesellschaft für Endokrinologie beschäftigt.
Beim selteneren familiär vererbten MTC sind aktivierende RET-Punktmutationen sogar bei 90% der Betroffenen nachweisbar. Darüber hinaus liegen bei 10‒20% der Patienten mit differenzierten papillären Schilddrüsentumoren Fusionen von RET mit anderen Genen vor, die ebenso wie die Punktmutationen zu einer konstitutiven Aktivierung der Tyrosinkinase führen. Entsprechend aktuellen Leitlinien zum Schilddrüsenkarzinom, so berichtete Prof. Dr. med. Christine Dierks beim diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), sind zwar verschiedene Multikinase-Inhibitoren zugelassen. Diese zielen jedoch nicht in erster Linie auf RET ab, sondern vorrangig auf andere Kinasen.
Mit Selpercatinib steht nun erstmals ein hochselektiver RET-Inhibitor zur Verfügung, der die Aktivität onkogener RET-Genfusionen und Punktmutationen spezifisch bereits in nanomolarer Konzentration hemmt.
Die Monotherapie mit Selpercatinib ist in der EU indiziert zur Behandlung von Erwachsenen mit fortgeschrittenem RET-Fusions-positivem Schilddrüsenkarzinom, die eine systemische Therapie nach einer Behandlung mit Sorafenib und/oder Lenvatinib benötigen. Selpercatinib ist zudem zugelassen für Erwachsene und Jugendliche ab zwölf Jahren mit fortgeschrittenem RET-mutierten medullären Schilddrüsenkarzinom, die eine systemische Therapie nach einer Behandlung mit Cabozantinib und/oder Vandetanib benötigen. Für die Eignung des Wirkstoffs ist eine Testung auf RET-Veränderungen (Fusionen resp. Mutationen) unerlässlich, so Dierks.
70% Ansprechrate
Selpercatinib wurde in der Phase-I/II-Studie LIBRETTO-001 bei 55 Patienten ab zwölf Jahren mit fortgeschrittenem MTC und RET-Punktmutationen geprüft, die zuvor Cabozantinib und/oder Vandetanib erhalten hatten. Eine zweite Gruppe umfasste 19 erwachsene Patienten mit differenzierten Schilddrüsenkarzinomen und RET-Genfusionen, die nach einer Radiojod-Therapie mit einer weiteren systemischen Therapie, ohne radioaktives Jod, behandelt worden waren, insbesondere mit Sorafenib und/oder Lenvatinib.
Bei den zunächst eingeschlossenen 55 vorbehandelten MTC-Patienten wurde eine objektive Ansprechrate (ORR) von 69,1% erreicht (10,9% CR, 58,2% PR). Das Ansprechen war unabhängig von der Art der RET- Punktmutationen. Die mediane Ansprechdauer wurde nach einem medianen Follow-up von 17,5 Monaten noch nicht erreicht. Nach einem Jahr hielten die Remissionen bei 86% der Patienten an, wobei 82% progressionsfrei waren. Bei den 19 vorbehandelten Patienten mit RET-Fusions-positivem Schilddrüsenkarzinom wurde unter Selpercatinib eine ORR von 78,9% erreicht (10,5% CR, 68,4% PR). Das Ansprechen war unabhängig von der Tumorhistologie sowie dem jeweiligen RET-Fusionspartner. Die mediane Ansprechdauer betrug 18,4 Monate und das mediane progressionsfreie Überleben 20,1 Monate, wobei 64% der Patienten nach einem Jahr noch progressionsfrei waren. Selpercatinib zeigte bei Patienten mit fortgeschrittenen Schilddrüsenkarzinomen ein recht gut handhabbares Nebenwirkungsprofil.
Symposium beim DGE-Kongress (Veranstalter: Lilly Oncology), März 2022