Das Universitätsklinikum Jena hat zusammen mit Kooperationspartnern aus Wissenschaft und Industrie eine neue minimalinvasive Versorgung von Frakturen des hinteren Beckenrings entwickelt. Die Methode ermöglicht bereits am Tag nach dem Eingriff wieder die volle Belastbarkeit. Davon profitieren vor allem ältere Patientinnen und Patienten, die nach Stürzen häufig von solchen Brüchen betroffen sind.
„Beckenfrakturen sind typische Sturzverletzungen im hohen Alter, wenn die Knochenfestigkeit durch Osteoporose verringert ist – das ist unser Alltagsgeschäft“, sagt Prof. Dr. med. Dr. rer.nat. Gunther Hofmann, Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Universitätsklinikum Jena. Für diese Patientengruppe ist es besonders wichtig, schnell wieder die vorherige Mobilität zu erhalten und in das gewohnte Umfeld zurückkehren zu können. Lange Klinikaufenthalte stellen für sie ein hohes Risiko für Komplikationen wie Infektionen oder die Verringerung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten dar.
Bei leichteren Brüchen im weniger belasteten vorderen Beckenbereich kann eine Schmerzbehandlung ausreichen, um die Bewegungsfähigkeit wiederherzustellen. Liegt der Bruch im hinteren Beckenring, der das Gewicht des Oberkörpers aufnimmt, ist das oft schwieriger zu diagnostizieren und meist mit deutlich stärkeren Schmerzen verbunden. Eine konservative Behandlung bedeutet wochenlange Bettlägerigkeit. „Deshalb suchten wir nach einer Operationstechnik, die den Beckenring ausreichend fixiert und die Patienten möglichst wenig belastet, um sie schnell wieder mobilisieren zu können. Die verfügbaren Implantatlösungen waren dafür aber unbefriedigend“, sagt Oberarzt Dipl.-Med. Ivan Marintschev. Die Fixierung sollte komplett im Knochen liegen und minimal-invasiv positioniert werden, so die Zielstellung der Unfallchirurgen und -chiruginnen.
12 Jahre Entwicklungszeit
In anatomischen Messungen und biomechanischen Versuchen wurde ein Prototyp für ein doppelt verschraubtes nagelförmiges Implantat, das den Beckenring fest und verwindungssicher zusammenhält, entwickelt. Mit Hilfe von Kunststoffnachbildungen des Beckens optimierte das Unfallchirurgen-Team die Operationstechnik, bei der neben Bildgebung und 3D-Navigation auch speziell entworfene Führungsbügel zum Einsatz kommen. Unter Vollnarkose werden mit ihrer Hilfe der Nagel und die Schrauben durch vier kleine Schnitte genau in die geplante Position gebracht, ohne die wichtigen Gefäße und Nerven im Operationsgebiet zu verletzen. Insgesamt dauerte es 12 Jahre von den ersten Messreihen bis zur behördlichen Zulassung des Systems.
In einer zweijährigen Pilotstudie wurde das neue Implantat getestet. Es wurde bei insgesamt 27 Patientinnen und Patienten im Alter von 39 bis 87 Jahren eingesetzt, die eine Fraktur des hinteren Beckenrings erlitten hatten. „Die größte Gruppe davon waren ältere Sturzpatienten, aber wir versorgten mit dem neuen Beckennagel auch jüngere Motorradfahrer nach einem Unfall und Krebspatientinnen mit Knochenmetastasen im Beckenbereich, die starke Schmerzen verursachten“, sagt Marintschev. Das Studienteam untersuchte und befragte die Operierten postoperativ mehrmals im ersten Jahr.
Am ersten Tag nach Beckenfraktur wieder mobil
Das Ergebnis: In allen Fällen konnte das Implantat richtig platziert werden, der Blutverlust war nur gering und die Wunden heilten komplikationslos. Für alle Betroffenen brachte die Operation eine deutliche Besserung hinsichtlich der Schmerzen und der Mobilität nach dem Beckenbruch. Sie konnten bereits am Tag nach dem Eingriff aufstehen, das Becken wieder belasten und mit der Mobilisierung beginnen. Dieser große Vorteil zeigte sich auch in der Langzeitbeobachtung – nur 5 Patienten bzw. Patientinnen erreichten nicht wieder den Grad der Selbstständigkeit im Alltag wie vor dem Sturz, sondern benötigten mehr Unterstützung.
Pressemitteilung „Nach Beckenbruch schnell wieder mobil“. Universitätsklinikum Jena, 11.1.2024 (https://www.uniklinikum-jena.de/Uniklinikum+Jena/Aktuelles/Pressemitteilungen/Nach+Beckenbruch+schnell+wieder+mobil-pos-0.html).
* Marintschev I et al.: Minimally invasive bilateral fixed angle locking fixation of the dorsal pelvic ring: clinical proof of concept and preliminary treatment results. Eur J Trauma Emerg Surg. 2023 Aug;49(4):1873-1882 (DOI 10.1007/s00068-023-02259-z).