Warum Stress die Funktion und Struktur des Gehirns beeinträchtigt und zu kognitiven Defiziten führen kann, hat ein Team des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München und vom Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) Magdeburg beschrieben. Wiederholter Stress destabilisiert die Synapsen im Hippocampus.
Die Forscher konnten zeigen, dass wiederholter Stress die Synapsen in der für das episodische Gedächtnis wichtigen Hippocampus-Region CA1 destabilisiert, so dass die Neuronen zunächst hyperaktiv sind, anschließend Nervenverbindungen verschwinden und dadurch die Erinnerungskodierung leidet. „In unserer Studie haben wir den Zusammenhang zwischen Veränderungen in den Aktivitätsmustern und der strukturellen Plastizität der Neuronen untersucht. Wir konnten mit unseren Experimenten zeigen: Wiederholter Stress erhöht bei den untersuchten Mäusen zunächst die neuronale Aktivität, doch anschließend geht die räumlich-zeitliche Struktur der Aktivitätsmuster verloren und die Enkodierung der Erinnerung im Hippocampus leidet“, erklärt Attardo den neuronalen Mechanismus der stressbedingten Gedächtnisstörung.
Für das Experiment trainierten die Wissenschaftler Mäuse, die Position einer versteckten Plattform in einem kleinen Schwimmbecken zu erlernen. Mit Hilfe von Miniaturmikroskopen und der Zwei-Photonen-Bildgebung konnten sie Veränderungen in den Aktivitätsmustern von Tausenden von Neuronen erkennen, während sich die Mäuse frei bewegten. Die veränderte Aktivität ging mit einer Abnahme von erregenden Synapsen einher, weil vorhandene Synapsen durch den Stresseinfluss destabilisiert wurden und die Neubildung von synaptischen Kontakten drastisch abnahm.
Stress und Lernerfolg
„Interessanterweise wurde der Verlust von Verbindungen in den Neuronen des Hippocampus erst nach mehreren Tagen Hyperaktivität deutlich“, so Attardo weiter, „und die Desorganisation der Kodierung im Hippocampus zeigte sich erst nach einem erheblichen Kontaktverlust. Akuter Stress hingegen führte eher zu einer Stabilisierung der erregenden Synapsen, die in zeitlicher Nähe zum Stressereignis entstanden“. Dies deutet darauf hin, dass Stress nicht gleich Stress ist, und dass die nach akutem Stress stabilisierten Synapsen möglicherweise an der Speicherung der negativen Stress-Wirkung beteiligt sind, nicht aber an der eigentlichen Lernaufgabe.
Die zellulären Mechanismen und Netzwerkveränderungen, durch die wiederholter oder langanhaltender Stress bzw. Akutstress seine schädlichen Auswirkungen entfaltet, sind noch nicht vollständig geklärt. Aber: „Unsere Studie wirft ein Licht auf dieses Problem, indem sie zum ersten Mal zeigt, dass der Verlust neuronaler Konnektivität den Übergang zwischen früher neuronaler Hyperaktivität und späterer Beeinträchtigung der Hippocampusfunktion bei wiederholter Stressbelastung vermittelt“, so Attardo. Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, neuartige Therapien zur Linderung der negativen Auswirkungen von wiederholtem Stress zu entwickeln.
Pressemitteilung Leibniz-Institut für Neurobiologie, Oktober 2022
Chenani A et al.; Transl Psychiatry. 2022 Sep 12;12(1):381 (DOI 10.1038/s41398-022-02107-5).