Ein internationales Forschungsteam der Globalen Plattform für die Prävention des Autoimmunen Diabetes (GPPAD, www.gppad.org) hat einen neuen Zusammenhang zwischen der Entstehung von Typ-1-Diabetes und dem SARS-CoV-2 Virus gefunden und in der Fachzeitschrift JAMA publiziert. Die Forscher untersuchten Kinder, die ein erhöhtes genetisches Risiko für Typ-1-Diabetes haben. Unter diesen Kindern traten häufiger Inselautoantikörper auf, wenn sie vorher eine SARS-CoV-2 Infektion hatten.
Ob ein Mensch eine Autoimmunreaktion gegen Inselzellenentwickelt, hängt von verschiedenen genetischen Faktoren sowie Umwelteinflüssen ab. Insbesondere frühkindliche Virusinfektionen stehen im Verdacht, das Risiko für Typ-1-Diabetes zu erhöhen. Während der COVID-19 Pandemie nahmen dieTyp-1-Diabetes Neuerkrankungen in Deutschland und weltweit zu. Ob allerdings eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 Virus tatsächlich die Ursache dafür ist und ob diese Infektion die Entstehung von Inselautoantikörpern begünstigt, konnte bisher nicht gezeigt werden.
„Die POInT Studie (Primary Oral Insulin Trial) bietet uns die Möglichkeit, den zeitlichen Zusammenhang zwischen einerSARS-CoV-2-Infektion und dem Auftreten von Inselautoantikörpern zu untersuchen", erklärt Marija Lugar, Erstautorin der Studie und Wissenschaftlerin am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) sowie der Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus an der TU Dresden.
Die POInT Studie wird in Deutschland, Polen, Schweden, Belgien und Großbritannien durchgeführt. An der Studie nehmen Kinder teil, die ein um 10% erhöhtes genetisches Risiko für die Entwicklung von Inselautoantikörpern aufweisen. Die Kinder wurden zwischen 2018 und 2021 in die Studie eingeschlossen. Autoantikörper gegen die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse gelten als erste Anzeichen für Typ-1-Diabetes und weisen auf den Beginn der Krankheit hin. Die Forscher wollten nun herausfinden, ob eineSARS-CoV-2 Infektion die Entwicklung dieser frühen Anzeichen von Typ-1-Diabetesbeeinflusst. Dazu untersuchten sie 885 Kinder im Alter von 4-24 Monaten auf Inselautoantikörper und SARS-CoV-2-Antikörper in Abständen von 2-6 Monaten. 170Kinder, also fast 20%, entwickelten während der Pandemie Antikörper gegenSARS-CoV-2, was darauf hindeutet, dass sie mit dem Virus infiziert waren. In dieser Gruppe war die prozentuale Häufigkeit der Kinder, die zusätzlich Inselautoantikörper entwickelt haben, doppelt so hoch, als bei den Kindern ohneSARS-CoV-2 Infektion.
„Verblüffender zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Inselautoantikörpern und SARS-CoV-2-Infektion“
„Der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Inselautoantikörpern und der SARS-CoV-2-Infektion bei diesen Kindern ist verblüffend. Das bedeutendste Ergebnis ist jedoch, dass das Risiko, Inselautoantikörper zu entwickeln, bei den Kindern am höchsten war, die vor dem19. Lebensmonat und insbesondere im Alter von einem Jahr mit SARS-CoV-2infiziert waren", erklärt Prof. Dr. Ezio Bonifacio, Forschungsgruppenleiter am CRTD und Hauptautor der Studie. „Diese Kinder hatten ein etwa fünf- bis zehnfach erhöhtes Risiko, Inselautoantikörper zu entwickeln, welche später im Leben zu Typ-1-Diabetes führen. Das ist also ein kritisches Alter für Kinder mit einem erhöhten genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes und Voraussetzung dafür, dass wir diesen Zusammenhang beobachten können.“
Auch frühere Studien hatten einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Typ-1-Diabetes und einer COVID-19 Diagnose festgestellt. Die jetzt vorgelegten Studienergebnisse zeigen jedoch erstmals eine Verbindungzwischen einer SARS-CoV-2-Infektion und dem Beginn der Inselautoimmunität.
Offene Fragen zur Prävention
Wichtig ist, dass es zwar einen klaren zeitlichen Zusammenhang zwischen der SARS-CoV-2 Infektion und der Entwicklung von Inselautoantikörpern gab, jedoch entwickelten auch ohne COVID-19 viele Kinder Inselautoantikörper. „Typ-1-Diabetes ist eine Krankheit, die durch viele verschiedene Faktoren begünstigt wird,“ so Bonifacio. „Diese Studie zeigt jedoch erneut den Zusammenhang zwischen einer Virusinfektion und Typ-1-Diabetesgleich zu Beginn der Krankheitsentstehung im vulnerablen Alter.“ Obwohl der genaue Mechanismus hinter dem erhöhten Risiko für Inselautoimmunität bei Kleinkindern nicht bekannt ist, könnten die Ergebnisse dazu beitragen, Wege zur Prävention von Typ-1-Diabetes zu finden.
„Wir haben einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 zur Verfügung. Damit drängt die Frage, ob eine Impfung gegen Viren, die mit Inselzellautoimmunität assoziiert sind, ein neuer Weg zur Prävention vonTyp-1-Diabetes sein könnte. Zumindest einige Fälle von Typ-1-Diabetes könnten so womöglich verhindert werden,“ sagt Prof. Dr. med. Anette-Gabriele Ziegler vom Helmholtz Munich Institut für Diabetesforschung und der Technischen Universität München (TUM). „Typ-1-Diabetes ist eine lebenslange Krankheit, von der weltweit Millionen Kinder und Erwachsene betroffen sind. Wir sind davonüberzeugt, dass die Investition in frühe Präventionsstrategien, wie sie von GPPAD erprobt werden, unerlässlich ist, um die steigende Inzidenz dieser Krankheit bei Kindern einzudämmen.“
Pressemitteilung„COVID-19 und Typ-1-Diabetes: Nach SARS-CoV-2 Infektion treten bei Kleinkindernhäufiger Inselautoantikörper auf“. Technische Universität Dresden, 8.9.2023 (https://tu-dresden.de/tu-dresden/newsportal/news/covid-19-und-typ-1-diabetes-nach-sars-cov-2-infektion-treten-bei-kleinkindern-haeufiger-inselautoantikoerper-auf).
* Lugar M et al.: SARS-CoV-2 Infection andDevelopment of Islet Autoimmunity in Early Childhood. JAMA. 2023 Sep 8 (DOI10.1001/jama.2023.16348).