Valoctocogen Roxaparvovec (AAV5-hFVIII-SQ) ist ein Adeno-assoziierter Virus 5(AAV5)-basierter Gentherapievektor, der eine komplementäre Gerinnungsfaktor-VIII-DNA enthält, die von einem leberselektiven Promotor angetrieben wird. Der Wirkstoff des US-Unternehmens BioMarin Pharmaceutical Inc. ergänzt die Palette moderner Therapeutika gegen Hämophilie A um die schon länger erwartete Option einer gentherapeutischen Reparatur der Erbkrankheit.
Die Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie wurden zuvor bei Männern mit schwerer Hämophilie A in einer Dosiseskalationsstudie der Phase I‒II untersucht, jetzt liegen Daten einer Phase-III-Studie vor: Die Studienergebnisse zeigen, dass das Gentherapeutikum bei Patienten mit schwerer Hämophilie A zu einer endogenen Faktor-VIII-Produktion, zu signifikant geringeren Blutungen und einer signifikant geringeren Verwendung von Faktor-VIII-Konzentrat im Vergleich zur Standardbehandlung (Faktor-VIII-Prophylaxe) führte.
Die unverblindete, multizentrische Einzelgruppen-Phase-III-Studie sollte die Wirksamkeit und Sicherheit von Valoctocogen Roxaparvovec bei Männern mit schwerer Hämophilie A, definiert als Faktor-VIII-Spiegel von 1IE pro Deziliter oder niedriger, bewerten. Die eingeschlossenen Teilnehmer waren mindestens 18 Jahre alt, hatten keine vorbestehenden Anti-AAV5-Antikörper und keine Faktor-VIII-Inhibitor-Vorgeschichte und erhielten eine herkömmliche Faktor-VIII-Konzentrat-Prophylaxe. Die Probanden bekamen eine einzelne Infusion von 6×1013 Vektorgenome von Valoctocogen Roxaparvovec pro kg KG. Der primäre Endpunkt war die Veränderung der Faktor-VIII-Aktivität (gemessen mit einem chromogenen Substrattest) gegenüber dem Ausgangswert in den Wochen 49 bis 52 nach der Infusion. Zu den sekundären Endpunkten gehörten die Änderung der jährlichen Anwendung von Faktor-VIII-Konzentrat und die Blutungsraten. Die Sicherheit wurde anhand von unerwünschten Ereignissen und Labortestergebnissen bewertet.
Gentherapie: langfristiger Fortschritt?
Insgesamt erhielten 134 Teilnehmer eine einzelne Infusion und konnten über eine Nachbeobachtungszeit von 51 Wochen und mehr ausgewertet werden. Unter den 132 HIV-negativen Teilnehmern war der mittlere Faktor-VIII-Aktivitätsspiegel in den Wochen 49 bis 52 um 41,9IE pro Deziliter (95%-KI 34,1‒49,7; p<0,001; mediane Veränderung 22,9IE pro Deziliter; Interquartilbereich 10,9‒61,3). Unter den 112 Teilnehmern, die aus einer prospektiven nicht interventionellen Studie heraus eingeschlossen worden waren, waren Faktor-VIII-Konzentratverwendung und behandelte Blutungen (ABR, annualized bleeding rate) nach Woche 4 nach der Infusion um 98,6% bzw. 83,8% zurückgegangen (p<0,001 für beide Vergleiche). Unerwünschte Ereignisse betrafen vor allem Erhöhungen der Alanin-Aminotransferase-Spiegel (85,8%) und wurden mit Immunsuppressiva behandelt. Die anderen häufigsten Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen (38,1%), Übelkeit (37,3%) und Erhöhungen der Aspartat-Aminotransferase-Spiegel (35,1%). Bei keinem der Teilnehmer trat eine Entwicklung von Faktor-VIII-Inhibitoren oder Thrombosen auf.
Es bleibt abzuwarten, ob diese Studie jetzt die von FDA oder EMA geforderten Einsichten liefern kann, um die bislang noch nicht erfolgten Zulassungen zu erteilen. Ob die Gentherapie der Hämophilie A tatsächlich einen Paradigmenwechsel darstellt, bleibt abzuwarten, nicht zuletzt seitdem die letzte große therapeutische Herausforderung, die nur aufwendig zu kontrollierende Hemmkörperhämophilie (als potenzielles Behandlungsrisiko bei Faktor-VIII-Prophylaxe) durch die Einführung des bispezifischen Antikörpers Emicizumab gelöst werden konnte. Neben der Wirksamkeit dürfte für die Patienten vor allem entscheidend sein, welche Auswirkungen die Gentherapie auf längere Sicht haben wird.
Ozelo MC et al., N Engl J Med 2022 Mar 17; 386(11): 1013‒1025, DOI 10.1056/NEJMoa2113708, PMID 35294811