Die Bedingungen für die klinische Forschung in Deutschland verschlechtern sich gegenwärtig und in Zukunft. Das bemängeln die Referenten der Frühjahrstagung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO).
Die Frühjahrstagung fand vollständig digital und mit deutlich höherer Teilnehmerzahl als in den Vorjahren statt. Bei dem ersten Teil der Tagungsreihe wurde die Situation für klinische Studien in Deutschland vor allem in Bezug auf die Onkologie beleuchtet. Alle Referenten waren sich einig, dass die teilweise exzellenten Leistungen klinischer Forschung aus Deutschland - ob für deren enorme Versorgungsrelevanz, ihre internationale Bedeutung oder den Niederschlag in hochrangigen Publikationen und Leitlinien -, wie sie seit 40 Jahren zu konstatieren ist, in Zukunft weniger rosig aussehen werden.
Professor Dr. Hermann Einsele lieferte einen umfangreichen Rückblick auf vier Jahrzehnte klinischer Forschung in Deutschland, deren bis heute vorbildgebendes Beispiel die bereits 1978 von Prof. Dr. Volker Diehl, Berlin gegründete Deutsche Hodgkin-Studiengruppe (GHSG) war. Diese habe mit ihrer hohen Zahl an nationalen und internationalen Kooperationspartnern, durch eine Vielzahl von verschiedensten Förderungsmöglichkeiten und mit ihrer innovativen Forschungsanregung zu einer einschneidenden Veränderung der Überlebenszeiten von Hodgkin-Patienten geführt (von einstmals infauster Prognose zu Fünfjahres-Überlebenszeit von an die 100%), zu vielen höchstrangigen Studien und Publikationen (mit rund 25.000 eingeschlossenen Patienten) oder zu einem maßgeblichen Einfluss auf die internationale Leitlinienformulierung. Auch viele andere deutsche Studiengruppen, etwa die German Multicenter Trials for Adult ALL (GMALL), initiiert von Professor Dr. Dr. Dieter Hölzer, haben in den letzten vier Jahrzehnten die Weiterentwicklung der Behandlung und die weltweit geltenden Therapiestandards wesentlich mitgeprägt. Einsele ist sich sicher, dass Investigator Initiated Trials (IITs), die nicht von der Industrie initiiert und durchgeführt werden, auch weiterhin essentiell sind. Der bürokratische Aufwand, die mangelnde Harmonisierung von Rahmenbedingungen und die Überregulierung erschwerten jedoch zunehmend die Studienaktivität der deutschen Studiengruppen.
Die „andere Seite“ repräsentierte Han Steutel, Präsident des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), Berlin, der auch in Bezug auf die Industry Sponsored Trials (ISTs) die Einschätzung von Einsele weitgehend teilte. Die Tatsache, dass Deutschland der größte Pharmamarkt in Europa sei, solle sich auch in der klinischen Forschung niederschlagen. Steutel hofft, dass das in Deutschland vorhandene Potential, beispielsweise weitaus mehr Patienten für klinische Studien zu finden, besser ausgeschöpft werden kann, wenn wesentliche bürokratische Hürden abgebaut werden, mehr Vernetzung der Zentren stattfindet oder die Anerkennung der Studien durchführenden Ärzte und Wissenschaftler größer wird.
Die weiteren Termine der DGHO-Frühjahrstagungreihe sind der 9. und 30. März 2022, jeweils 16:00 Uhr.
DGHO Frühjahrstagung (Teil I): Klinische Studien - Bedeutung und Herausforderung. Online, 16.2.2022. Veranstalter: Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO), Berlin.