In den vergangenen Jahren haben sich die operativen Möglichkeiten zur Sanierung des Genitalprolaps der Frau eindrucksvoll verbessert. Doch „passt jeder Schuh zu jedem Fuß“? Der vorliegende Beitrag soll ein strukturiertes Herangehen an diese komplexe Thematik ermöglichen.
Fehlte es in früheren Jahren an guten Optionen z. B. bei der betagten Patientin oder in der Rezidivsituation, so erleben wir heute ein zum Teil unübersichtliches Angebot etablierter und auch neuer innovativer Techniken mit und ohne Netzeinsatz und mit unterschiedlichen Zugangswegen.
Beratung bei Genitaldeszensus-Operationen
Prinzipiell sollte eine operative Sanierung erst nach Ausschöpfung aller konservativer Möglichkeiten erfolgen. Gerade mäßiggradige Senkungen ohne größere Symptomatik und ohne entsprechenden Leidensdruck sollten nicht chirurgisch angegangen werden. Trotzdem stellen konservative Strategien wie die Pessareinlage häufig nur eine passagere Hilfe dar und sollten langfristig von einer permanenten Änderung abgelöst werden.
Unterschiedliche Zugangswege bei der Behandlung des Genitalprolaps
Der operative Zugangsweg wird nach individueller Diagnostik, Risiko-Nutzen-Analyse und der persönlichen Erwartungshaltung mit der Patientin gemeinsam festgelegt. Während der vaginale Zugang mit Nutzung von Eigengewebe schonend und meist problemlos erfolgt, können z. B. abdominale Techniken unter Nutzung von Interponaten physiologischere und länger haltbare Ergebnisse erzielen.
Vaginale Techniken mit Nutzung von Eigengewebe
Diese Methoden sind minimalinvasiv, schnell und unkompliziert durchführbar und sollten der Mehrzahl aller betroffenen Frauen als primäre Option angeboten werden. Die Rekonstruktion kann individuell mit und ohne Uteruserhalt erfolgen, eine schnelle Rekonvaleszenz ist gegeben. Simultane Hysterektomie nur bei Notwendigkeit und gesonderter Indikation. Es besteht die Möglichkeit, den Eingriff unter Regionalanästhesie mit kurzen OP-Zeiten durchzuführen. Die Sanierungswahrscheinlichkeit beträgt 60–80 %, das Risiko 5–10 %. Beispiele für operative Verfahren mit Nutzung von Eigengewebe:
• vaginale Hysterektomie mit zusätzlicher Apexfixation und/oder Kolporrhaphie („Prolapshysterektomie)
• sakrospinale bzw. sakrouterine Fixation des Scheidenstumpfes
• vaginale Hysteropexie am sakrospinalen Ligament
• Faszienrekonstruktion an der vorderen und hinteren Scheidenwand (Kolporrhaphia anterior, posterior)
Vaginale Sanierung mit Einsatz von alloplastischem Material
Nach fehlgeschlagener Primärrekonstruktion mit Eigengewebe profitieren hier besonders ältere Patientinnen, da kurze OP-Zeit (< 30–60 Min.) und Möglichkeit der Regionalanästhesie. In der Diskussion noch immer die FDA-Warnung mit möglichen Nebenwirkungen der Netzeinlage mit Schmerzen, Dyspareunie und Infektionen. Methode ist daher für sexuell aktive Frauen nicht wirklich geeignet, klare Indikation für die Rezidivsituation. Diese Eingriffe sollten nur in einem Zentrum erfolgen. Die Sanierungswahrscheinlichkeit liegt bei 80–90 %, das Risiko bei 10–20 %. Beispiele für operative Verfahren mit Einsatz von alloplastischem Material:
• vaginale Deszensus-Chirurgie mit alloplastischen Vollwand-Netzen
• Rezidiveingriffe
Abdominale Fixationstechniken offen oder endoskopisch mit Netzeinsatz
Jüngere und sexuell aktive Frauen profitieren von einem endoskopischen Zugang mit physiologischer Pexie der Scheidenachse. Eindeutiger Vorteil ist die besten Langzeithaltbarkeit, allerdings ist eine Vollnarkose erforderlich mit längerer OP-Zeit (> 60 Min.). Auch hier geht es um die Verwendung von alloplastischem Material, jedoch ist mit weniger Nebenwirkungen wie Dyspareunie zu rechnen, da keine Kolpotomie. Neben den klassischen Techniken mit einer medianen Aufhängung von Uterus, Zervix oder Scheide am oder unterhalb des Promontoriums gibt es innovative neue bilaterale Fixierungstechniken an der seitlichen Beckenwand mit weniger Invasivität unter Nutzung von alloplastischen Netzen.
Da hier meist von vaginal operiert wird und keine Kolpotomie erfolgt, besteht weniger Arosionsgefahr. Die Netze werden nur von abdominal plan aufgelegt und fixiert. Die Sanierungswahrscheinlichkeit liegt bei 80–90 %, das Risiko bei 10–15 %. Beispiele für diese operativen Verfahren sind:
• mediane Verankerung des Scheidenstumpfes, Zervix oder Uterus am Promontorium oder S1/S2
• laparoskopische Pektopexie mit bilateraler Fixation der Scheide oder Zervix an den iliopektinealen Ligamenten auf Höhe S1/S2 (Noe)
• bilaterale Fixierung durch laparoskopische Vaginosakropexie (laVASA) oder Cervicosacropexie (laCESA) mit Mesh-Interponat, Restaurierung der Ligg. sacrouterinae mit Fixierung in der prävertebralen Faszie auf S1
• laparoskopisch-laterale Suspension (LLS) (Dubuisson)
Endoskopische Fixationstechniken ohne Notwendigkeit eines Kunststoffinterponats
Die Befestigung des Uterus oder Zervix unilateral am Ligamentum pectineum mit einer nicht resorbierbaren Fadenfixierung in physiologischer Scheidenachse ohne Notwendigkeit eines alloplastischen Netzinterponats zeigt hohe Erfolgsraten und benötigt eine nur minimale Gewebeeröffnung (unilaterale pectineale Suspension = UPS). Die Sanierungswahrscheinlichkeit wird mit 80–90 % angegeben, das Risiko mit < 5 %. Ein Beispiel für solche operative Verfahren ist die unilaterale pectineale Suspension (Bolovis, Brucker).
Gesundheitszustand der Patientin und operative Versorgung des Prolapses
In Anbetracht der modernen und schonenden Anästhesieverfahren gibt es kaum noch Patientinnen, die keinerlei Anästhesie zuzuführen sind (Tab.).
Grundsätzlich sollte bei betagten Frauen eine schnelle und sichere Option gewählt werden, zumeist dann von vaginal. Moderne uteruserhaltende Operationen benötigen nicht mehr als 30–40 Minuten OP-Zeit. Im Ausnahmefall kann auch die lange etablierte Form der Kolpokleisis angewandt werden. Die ältere zumeist sexuell inaktive Patientin muss dem Risiko der erhöhten OP-Morbidität von abdominal nicht ausgesetzt werden, hier ist der vaginale Zugangsweg ideal, bei Rezidiven oder ausgeprägten Primärbefunden ist die zusätzliche Netzeinlage mit hohem Erfolg und kalkulierbarem Risiko verbunden.
Die junge oder gesunde Patientin toleriert sowohl vaginale als auch abdominal/endoskopische Verfahren gleichermaßen. Hier liegt der Fokus auf einer kompartimentspezifischen Rekonstruktion. Die Literatur zeigt bessere Langzeitergebnisse bei abdominaler Korrektur.
Aktuell werden immer mehr urogynäkologische Eingriffe roboterunterstützt angeboten. Die eigentlichen Prinzipien der Rekonstruktion bleiben gleich, die modernen Techniken mit besserer Auflösung, präziseren Präparation, Instrumenten mit vielen Freiheitsgraden und einer gesunden Ergometrie für den Operateur werden diese Methoden in Zukunft in den Vordergrund rücken lassen.
Zusammenhang zwischen Morbidität und Eingriffsstrategie
Bei einer gesunden oder minimal kompromittierten Patientin ohne relevante kardiovaskuläre Risiken ist folgendes Vorgehen empfohlen:
• vaginaler Zugangsweg mit Eigengewebe
• abdominaler endoskopisch oder roboterunterstützter Zugang
• Fokus liegt auf defektspezifischer Reparatur, OP-Dauer nicht limitierend
Bei einer älteren Patientin in gutem Allgemeinzustand mit nur geringen kardiovaskulären Risiken:
• vaginaler Zugangsweg mit Nutzung von Eigengewebe sollte primär erfolgen
• bei klarer Indikation ggf. abdominaler Zugangsweg
Und bei einer älteren und multimorbiden Patientin mit relevanten kardiovaskulären Risiken:
• Grundsätzlich OP-Methode mit kürzester OP-Dauer, Hysterektomie vermeiden
• primär immer vaginaler Zugang, ggf. Netzeinlage bei Rezidiv
• Kolpokleisis bei entsprechender Expertise möglich
Moderne operative Strategien beim Genitaldeszensus der Frau sollten die Erwartungshaltung der Patientin erfassen und ein individuelles Konzept zur Sanierung aufstellen. Einflussfaktoren sind hier Alter und körperliche Verfassung der Patientin, die zumeist den Zugangsweg bestimmen. Vaginale Techniken benötigen nur kurze OP-Zeiten und sind minimalinvasiv, sie sollten daher die primäre Option bei der Frau in der zweiten Lebenshälfte darstellen. Junge und sexuell aktive Patientinnen profitieren von einem zumeist endoskopisch durchgeführten abdominalen Zugang, der eine physiologischere und langfristig haltbare Methode darstellt. Roboterunterstützte Techniken können hier nochmals die Präzision verbessern. Aufgrund der verschiedensten Optionen sollten Genitalprolaps-Operationen von versierten Beckenbodenchirurgen durchgeführt werden.
In Deutschland gibt es nach wie vor eine klare Trennung zwischen ambulantem und stationärem Sektor – und leider ist die Urogynäkologie da ein geradezu prototypisches Beispiel. Der Kliniker im Krankenhaus hat zumeist wenig Einfluss auf die konservative Vorbehandlung der Frau. Kommt die Patientin mit dem klaren Wunsch der operativen Behandlung und wird zunächst für ein konservatives Programm zurückgeschickt, entscheidet sie sich unter Umständen für eine andere Klinik. Auf der anderen Seite sind viele Kollegen in der ambulanten Praxis nicht immer auf dem aktuellen Stand der operativen Möglichkeiten, ihnen sind die gängigen Operationstechniken ihrer eigenen Ausbildungszeit in der Klinik geläufig, die häufig Jahre bis Jahrzehnte zurückliegt. Wie also werden die Patientinnen am besten über Beckenbodenoperationen aufgeklärt?
In der Praxis hat sich folgendes Vorgehen in 5 Schritten bewährt:
1. Wahrnehmung des Problems und Ansprache
2. Einleiten einer konservativen Therapie
3. Effekte der konservativen Therapie kontrollieren
4. Entscheidung zur operativen Therapie nicht zu spät stellen
5. Versorgung in einem Beckenbodenzentrum
Wie in anderen Bereichen der Gynäkologie längst etabliert, sollten Frauen mit Beckenbodenproblemen ausschließlich in einem Beckenbodenzentrum operativ behandelt werden. Es gibt klare Hinweise, dass die erhöhte Anzahl an Operationen und der dort gepflegte interdisziplinäre Therapieansatz zu deutlich besseren Ergebnissen und weniger Komplikationen führt.
Der Autor
PD Dr. med. Gert Naumann
Helios Klinikum Erfurt, Medical School Hamburg Campus Schwerin
Literatur beim Autor
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