Aus Angst vor Ansteckung verschieben Patienten während des COVID-19-Lockdowns ihre Arzttermine – mit enormen gesundheitlichen Folgen. Denn eine aktuelle Studie [1] zeigt nun, dass die Melanominzidenzzahlen abfielen und die Tumordicke nach Breslow bei primär malignen Melanomen nach dem Lockdown größer ist.
Eine Arbeitsgruppe aus Rom [1] untersuchte in einer Studie, ob der italienische Lockdown während der COVID-19-Pandemie einen nachteiligen Effekt auf die maligne Melanom(MM)-Diagnose hatte. In dieser Querschnittsstudie wurden Zahlen zum primären MM vom pathologischen Referenzzentrum in Rom erfasst. Die durchschnittliche Breslow-Dicke (mm), Ulzeration (%) und andere histologische Merkmale wurden ermittelt. Für die Evaluierung unterteilte das Forscherteam drei verschiedene Zeiträume: Die Prä-Lockdown-Phase wurde vom 01.01.–09.03.2020 definiert. Die Lockdown-Phase umfasste eine Zeitspanne von 10.03–03.05.2020. Die Phase nach dem Lockdown erstreckte sich vom 04.05.–06.06.2020.
Im 158-tägigen Studienzeitraum wurden insgesamt 237 Patienten mit primären MM diagnostiziert. 54% der Patienten (n = 128) waren männlich und das Durchschnittsalter lag bei 57 Jahren. Die mittlere Zahl der pro Tag diagnostizierten MM betrug 2,3 in der Prä-Lockdown-Phase, 0,6 während des Lockdowns und 1,3 in der Post-Lockdown-Phase. Verglichen wurden diese Daten mit jenen im Jahr 2018/2019, die ebenso mit 2,3 neu diagnostizierten MM pro Tag vorliegen. Der Vergleich der Post- und Prä-Lockdown-Phase zeigte, dass die Wahrscheinlichkeit für prognostisch ungünstige noduläre MM 5,5-fach erhöht, für superfiziell spreitende Melanome (SSM) mit nodulärem Anteil 3,9-fach erhöht war. Mit einer 4,9-fachen Erhöhung war die Zahl des ulzerierten MM ebenfalls statistisch signifikant größer. Ebenso interessant war der Verlauf der Tumordicken nach Breslow in den genannten Zeiträumen: Vor dem Lockdown betrug die durchschnittliche Tumordicke 0,88 mm, während des Lockdowns reduzierte sich diese auf 0,66 mm und stieg in der Post-LockdownPhase auf 1,96 mm an. Red.
Das Expertenstatement
Prof. Dr. med. Axel Hauschild
Leiter der dermatoonkologischen Arbeitsgruppe und
Professor der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
24105 Kiel
ahauschild@dermatology.uni-kiel.de
Die allererste Arbeit, die die mediane Tumordicke von MM vor und nach der COVID-Krise dokumentiert, zeigt genau das, was wahrscheinlich nicht nur ich vermutet hatte. Die Tumordicke ist signifikant größer und damit das Risiko, dass diese Tumoren weitere Schäden wie eine Metastasierung oder auch den MM-bedingten Tod anrichten können. Diese diagnostische Verzögerung führt nach Aussage der Autoren dazu, dass die Dermatologen und ihre Patienten mit verstärkter Morbidität, Mortalität und letztendlich auch einer höheren finanziellen Belastung einen hohen Preis zahlen müssen, wenn Patienten sich aufgrund der COVID-19-Krise nicht oder einfach zu spät beim Dermatologen vorstellen. Ein Aspekt wird von den Studienautoren allerdings nicht diskutiert. Das ist der Aspekt, dass bei Patienten mit später Diagnose nicht unbedingt das diskutierte fehlende Gesundheitsbewusstsein vorgelegen haben muss, sondern vielleicht eher ein größeres Angstpotenzial, gerade weil sie älter oder multimorbide sind und somit zur Gruppe der Risikopersonen für eine COVID-19-Infektion gehörten. Genaue Daten zu eventuellen Komorbiditäten liegen in der italienischen Untersuchung leider nicht vor. Es gilt also, die Abwägung einer verspäteten MM-Diagnose zu den Risiken einer eher unwahrscheinlichen COVID-19-Zufallsinfektion in einer dermatologischen Institution (Praxis oder Klinik) auch in der Öffentlichkeit klar zu machen. Die Angst vor Screenings durch eine ziemlich unwahrscheinliche COVID-19-Infektion in der Praxis sollte eine größere Beachtung in der öffentlichen Wahrnehmung bekommen!
FAZIT:
Das Resümee der Studie: Die Daten unterstützen die Hypothese, dass die Diagnosen von malignen Melanomen während des COVID-19-Lockdowns verzögert sein können. Zwar sei es viel zu früh die Folgen einer solchen Diagnoseverzögerung zu beurteilen, dennoch könne dies für Dermatologen und ihre Patienten hinsichtlich erhöhter Morbidität, Mortalität und finanzieller Belastung mit erheblichen Nachteilen verbunden sein, schlussfolgerten die Studienautoren.
1 Ricci F et al., J Eur Acad Dermatol Venereol 2020; 10.1111/jdv.16874
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