Dass das Sexualhormon Testosteron auch zahlreiche Auswirkungen auf die männliche Psyche hat, war bisher wenig bekannt. Dabei kann sich männlicher Hypogonadismus in Symptomen wie Niedergeschlagenheit oder Schlafstörungen bis hin zu einer Depression manifestieren.
Auf körperlicher Ebene ist Testosteron beim Mann unter anderem für den Erhalt der Muskelstärke und die penile Erektion verantwortlich. Kommt es zu einem symptomatischen Testosteronmangel, also einem männlichen Hypogonadismus, kann sich dies in typischen Symptomen wie Libidomangel, reduzierte sexuelle Aktivität oder erektile Dysfunktion sowie in einer Abnahme der Muskelmasse oder einer Zunahme des viszeralen Fettgewebes äußern. Aber auch für die psychische Gesundheit des Mannes spielt Testosteron eine entscheidende Rolle [1]. Zum einen ist das Hormon wichtig, um das psychische Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, das als positive Stimmung und allgemein gute Lebensqualität wahrgenommen wird; zum anderen steigert Testosteron auch die Motivation und die Fähigkeit eines Individuums, sozialen Status zu erlangen und zu verteidigen [1].
Generelle Motivation und Streben nach sozialem Status
Häufig wurden die von Testosteron geförderten Verhaltensmuster unter dem Konzept „Dominanzverhalten“ zusammengefasst. Heute weiß man, dass sie aber deutlich differenzierter zu betrachten sind [1]. So äußert sich ein höherer Testosteronspiegel beispielsweise im verlängerten direkten Ansehen des Gegenübers, einem erhöhten Redeanteil im Gespräch oder in einer selbstbewussten Körperhaltung.
In welchem Verhaltensmuster sich ein höherer Testosteronspiegel äußert, hängt auch maßgeblich von der Persönlichkeitsstruktur bzw. von der „Selbstauffassung“ des Individuums ab. Das psychologische Konzept der Selbstauffassung (self construal) bildet die Grundlage für Wettbewerbsverhalten, sozialen Status, Risikoakzeptanz und Selbstwertgefühl. So zeigten in einer Studie mit 400 teilnehmenden Männern mit pharmakologisch erhöhtem Testosteronspiegel und unabhängiger Selbstauffassung (der Fokus liegt auf der Abgrenzung von sich selbst zu anderen) weniger Kooperations-, gleichzeitig aber mehr Risikobereitschaft [1]. Mit Testosteron behandelte Männer mit einer „interdependenten Selbstauffassung“ (hier liegt der Fokus auf der Beziehung zu anderen) versuchten dagegen eher zu kooperieren, um Hilfe zu erlangen [1].
Die klinische Evidenz zum Zusammenhang von Testosteron und Psyche ist zwar noch unvollständig, doch die bisherigen Daten machen deutlich, dass Testosteron bei Männern sowohl die Psyche als auch psychovegetative Funktionen stark beeinflussen kann. Leidet ein Mann unter Hypogonadismus, kann sich dies entsprechend negativ auf psychische Parameter auswirken. So kann es zu Stimmungsschwankungen und Reizbarkeit, Erschöpfung, Antriebslosigkeit und Müdigkeit, zu Schlafstörungen, einer Minderung der kognitiven Funktion oder auch zu Ängstlichkeit und Depression kommen [1,2]. Die belastenden Symptome können die Lebensqualität der Betroffenen stark einschränken [1].
Von einem Hormonausgleich profitiert auch die Psyche
Im Umkehrschluss kann eine Testosterontherapie nicht nur die klassischen Beschwerden des Hypogonadismus bessern, sondern sich auch positiv auf die psychologisch-psychiatrische Komorbidität auswirken [1,3]. Dies belegen unter anderem die Daten einer Metaanalyse von insgesamt 23 randomisiert-kontrollierten Studien mit über 3 000 Teilnehmern, die sich mit der Wirkung von exogenem Testosteron versus Placebo bei hypogonadalen Männern befassten [3]. Im Vergleich zu Placebo verbesserte Testosteron die Lebensqualität der Patienten signifikant (verwendete evaluierte Skalen u. a. Aging Males‘ Symptoms, MLHFQ [Minnesota Living with Heart Failure Questionnaire] und SF-36-sexual-function-domain).
Zwölf der eingeschlossenen Studien mit über 800 Patienten untersuchten direkt den Zusammenhang von Testosteronmangel und Depression: Unter Testosterontherapie zeigte sich eine Besserung der Depressionssymptomatik (gemessen u. a. mit der Hospital Anxiety and Depression Scale und dem Beck’s Depression Inventory) [3]. Eine weitere Metaanalyse bewertete 16 Studien mit insgesamt 944 Probanden. Sowohl bei Männern < 60 Jahren insgesamt als auch bei hypogonadalen Probanden wurde unter Testosterontherapie eine signifikante Verbesserung der allgemeinen Stimmungslage festgestellt (jeweils p < 0,0001) [3].
Das Verständnis von Testosteronmangel als „Depressionstreiber“ untermauern auch aktuelle Erkenntnisse zur Therapie des Prostatakarzinoms (PCa): Es konnte gezeigt werden, dass unter einer Androgendeprivationstherapie (ADT) bei Männern mit PCa depressive Symptome signifikant häufiger und stärker exazerbierten als nach alleiniger Prostatektomie (bei der ADT wird der Testosteronspiegel im Blut stark bzw. unter Kastrationsniveau gesenkt) [4].
Für Behandler ist es also wichtig, nicht nur die körperlichen, sondern auch die psychischen Symptome eines Testosteronmangels im Hinterkopf zu behalten, sie rechtzeitig zu erkennen und bei laborchemischer Bestätigung eine Testosterontherapie in Erwägung zu ziehen [5]. Da ein Hypogonadismus häufig im Kontext anderer Begleiterkrankungen auftritt, beispielsweise Diabetes mellitus Typ 2, Hypertonus oder Adipositas, besteht bei diesen Indikationen ein erhöhtes Verdachtsmoment.
1) Zitzmann M, Andrology 2020; 8: 1598–1605
2) Shores M et al., Arch Gen Psychiatry 2004; 61: 162–167
3) Elliott J et al., BMJ Open 2017; 7: e015284
4) Shin D et al., PLoS One 2020; 15: e0234264
5) Dohle GR et al., J Reproduktionsmed Endokrinol 2020; 17: 66–85