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Allgemeinmedizin

Chronisch-metabolische Azidose

Störfaktor der Insulinwirkung

Dr. med. Dr. PH Herbert Stradtmann

22.11.2024

Insulin spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung des intermediären Metabolismus. Eine Azidose kann aufgrund ihrer Effekte auf die Insulin-Signalwege deren Funktion beeinträchtigen. Eine Neutralisation der Azidose – etwa mit Bicarbonat – könnte manche der pathophysiologischen Prozesse umkehren.

Insulin hat wichtige Funktionen: Es

  • fördert die Aufnahme von Glucose in Muskel-, Leber- und Fettzellen sowie in die Nieren (Hirnzellen nehmen Glucose unabhängig von Insulin auf),
  • fördert die Glykolyse und die Glykogensynthese, hemmt die Gluconeogenese in der Leber,
  • hemmt die Lipolyse,
  • fördert die Speicherung energiereicher Substrate vor allem in Muskel-, Leber- und Fettzellen,
  • stimuliert die Proteinsynthese in den Skelettmuskelzellen und
  • fördert die Kalium-Aufnahme in den Intrazellularraum der Skelettmuskelzellen.

Durch diese 6 Wirkungsprinzipien rangiert der Blutglucosespiegel in sehr engen Grenzen. Nach Aktivierung von Insulinrezeptoren an den jeweiligen Zellen durch Insulin setzen sich in den Zellen die entsprechenden Funktionsabläufe in Gang.

Zusammenhang der Insulinfunktion mit dem Säure-Basen-Status

Dieser Frage widmeten sich kürzlich die Autoren Frasetto und Masharani. Sie werteten Publikationen aus, die den Einfluss einer sauren Stoffwechsellage im Organismus auf die Insulinwirkung untersuchten [1].

Auch der Säure-Basen-Status ist in sehr engen Grenzen reguliert, nämlich innerhalb eines Blut-pH-Werts zwischen 7,37 und 4,45 sowie einem Standardbicarbonat zwischen 22 und 26 mmol/l sowie einer Basenabweichung zwischen -2 und +2 mmol/l.

Gerade die westeuropäische Ernährungsform setzt viele saure Stoffwechseläquivalente frei. Die Nieren sind in die Regulation des wichtigsten Puffers – ­Bicarbonat – involviert. Aber selbst bei gesundem Altern kommt es zu einer altersassoziierten Abnahme der Nierenfunktion ab der vierten Lebensdekade. So hat ein 70-jähriger Mensch eine etwa um die Hälfte reduzierte Nierenausscheidungsfunktion gegenüber der Ausgangslage bei seiner Geburt [1,2].

Das kann zu einer eigentlich noch geringen „Säurelage“, der latenten metabolischen Azidose führen, sie gilt als „Säurestress“. Kommt eine renale Erkrankung oder eine renale Schädigung durch einen Typ-2-Diabetes (T2D) hinzu, ist die Entwicklung hin zur chronisch-metabolischen Azidose (cmA) geradezu vorgezeichnet. Das führt zu einem Absinken des Standardbicarbonats und des Blut-pH-Werts hin in den sauren Bereich.

Ein andauernder Standardbicarbonat-Spiegel unter 22 mmol/l zeigt aber bereits negative Effekte auf die Insulinwirkung mit wiederum pathophysiologischen Folgen.

Bei Tests am Fahrradergometer zeigte sich in der Muskulatur der negative Einfluss einer Azidose auf die Muskelleistung. Ursache scheint die beeinträchtigte Muskel-Glykolyse, verbunden mit einem reduzierten Lactat-Abfluss aus der Muskulatur zu sein [3,4]. Die Azidose behindert dabei insbesondere die Funktion des Enzyms Phosphofructokinase (PFK). Dieses Enzym katalysiert den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt der Glykolyse in der Muskulatur und bestimmt entscheidend mit, wie viel verfügbare Energie die Muskelzellen besitzen.

In-vitro-Untersuchungen an isoliert perfundierten Rattenlebern mit saurer Perfusionslösung zeigten eine Behinderung der hepatischen Gluconeogenese. Der pH-Wert lag mit unter 7,1 im eindeutig sauren Bereich [5]. Bei anästhesierten Hunden wies eine andere Arbeit nach, dass die metabolische Azidose eine Abnahme der Glykogenolyse bewirkt [6].

Insulin stimuliert die Aufnahme von Glucose aus dem Blutkreislauf in die Fettzellen. Die Azidose aber reduzierte in einer Untersuchung an Ratten die Insulinwirkung an den Insulinrezeptoren der Fettzellen. Ursache kann die reduzierte Insulinrezeptor-Konzentration an den Fettzellen sein [7].

Im Zuge einer Nierenfunktionseinschränkung bis hin zur Notwendigkeit der chronischen Nierenersatztherapie erhöht eine cmA die Insulinunempfindlichkeit, also die Insulinresistenz. Dieser Vorgang mag auch erklären, wieso eine andauernd säurelastige Ernährung für gesunde Menschen das Risiko für die Entstehung eines T2D erhöht [8].

Nutzen der Kompensation der Azidose

Den Vorteil eines therapeutischen Ausgleichs der Azidose hinsichtlich der Verzögerung weiter abnehmender Nierenfunktion im Falle der chronischen Nierenkrankheit haben 2 Untersuchungen 2020 und 2021 eindeutig gezeigt [9,10].

Eine 2016 publizierte Studie ergab, dass die Kompensation (nicht die Überkompensation) einer cmA die Insulinresistenz senken kann. Zwischen einem Serum-Bicarbonatspiegel von 24 und 28 mmol/l wurden die besten Ergebnisse nachgewiesen. Untersucht hatte man bei 145 Personen mit T2D den Effekt der Azidose-Therapie auf den HOMA-Index. Dieser Index gibt Hinweise auf das Vorhandensein einer Insulinresistenz und hatte sich durch die alkalisierende Therapie deutlich verbessert [11].

Hinsichtlich der Prävention zeigte eine Studie mit 135 Kindern und Erwachsenen, dass bei einer Ernährung mit hohem Gemüse- und Früchteanteil, also niedriger Zufuhr säurebildender Nahrungsanteile, der HOMA-Index vergleichsweise niedrig ist [12], mit positivem Effekt auf die Prävention eines Diabetes mellitus [8].

Die cmA verläuft symptomlos, hat aber multiple negative Auswirkungen, sogar auf den Insulinstoffwechsel! Besonders der Prävention durch weniger säurelastige Ernährung, aber auch der Enttarnung und Behandlung einer cmA etwa mit magensaftresistentem Bicarbonat muss daher höchste Aufmerksamkeit gelten.

Der Autor

Dr. med. Dr. PH Herbert Stradtmann
Arzt für Innere Medizin/Nephrologie,
Hypertensiologe-DHL® und ­Rehabilitationswesen
Im Wölftegrund 27
34537 Bad Wildungen

  1. Frasetto LA et al., Int J Mol Sci 2024; 25: 2739–48
  2. Hommos MS et al., J Am Soc Nephrol 2017; 28: 2838–44
  3. Sutton JR et al., Clin Sci 1981; 61: 331–8
  4. Szendroedi J et al., Diabetes Care 2009; 32: 677–9
  5. Hems R et al., Biochem J 1966; 101: 284–92
  6. Fine A, Metabolism 1983; 32: 317–9
  7. Whittaker J et al., Metabolism 1982; 31: 553–7
  8. Fagherazzi G et al., Diabetologia 2014; 57: 313–20
  9. Goraya N et al., Curr Opin Nephrol Hypertens 2020; 29: 39–48
  10. Adamczak M et al., Kidney Dis 2021; 7: 452–67
  11. Bellasi A et al., BMC Nephrol 2016; 17: 158
  12. Caferoglu Z et al., Endocrinol Diabetes Nutr Engl Ed 2022; 69: 426–32

Bildnachweis: privat

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