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Allgemeinmedizin

Bicarbonat

Azidose in der Tumorentstehung

13.2.2025

Bei der Entstehung von Tumoren kommt es nicht nur im Tumorgewebe, sondern auch in dessen unmittelbarer Umgebung zu einer Ansäuerung. Andererseits scheint eine säurebildende Ernährung die Entwicklung von Tumoren zu begünstigen. Studien weisen auf einen positiven Einfluss der oralen Gabe von Bicarbonat hin.

Tumorzellen unterliegen einer Fehlsteuerung der Apoptose. Die Zellen teilen sich somit quasi unbehindert weiter und entdifferenzieren sich zunehmend vom Ursprungsgewebe. Aufgrund des Wachstums kommt es zu einer erhöhten Verstoffwechselung von Glucose bei gleichzeitig verminderter Perfusion. Der pH-Wert des Tumorgewebes fällt bis auf 6,7 (intrazelluläre Azidose) und sinkt auch im Gewebe der Tumorumgebung. Zusätzlich besteht eine Hypoxie mit der Tendenz zur Laktatbildung, da die Energiegewinnung im Tumor zunehmend durch anaerobe Glykolyse erfolgt. Bei ausgeprägter Tumoranämie fällt zudem die intrazelluläre Pufferung praktisch aus. Entstehen nun ständig weiter saure Valenzen und können die intrazellulären Puffersysteme (Protein-, Hämoglobin-, Phosphatpuffer) diese nicht mehr abfangen, entwickelt sich eine extrazelluläre Azidose. Diese Anhäufung saurer Äquivalente in der Tumorumgebung kann sogar als Nährstoffquelle für Stroma- und andere Krebszellen dienen [1].

Im gesunden Gewebe liegt der extrazelluläre pH-Wert (pHe) zwischen 7,2 und 7,5, im soliden Tumorgewebe dagegen bei 6,5 bis 6,9 [2]. Die rasche gegenseitige Umwandlung von Kohlendioxid und Wasser in Kohlensäure, Protonen und Bicarbonat-Ionen vermittelt das Enzym Carboanhydrase IX (CAIX). In der Tumorumgebung hält CAIX die Azidose aufrecht. Krebszellen tolerieren dieses saure Milieu; es trägt zur Entwicklung eines metastatischen Phänotyps bei. Das wiederum begünstigt die weitere Tumorinvasion und Metastasierung. Außerdem fördert ein niedriger pHe den Calcium-Übertritt in die Krebszellen, was zu einer erhöhten Resistenz gegenüber Zytostatika und zur vermehrten Bildung von Sauerstoffradikalen führt. Auch das kann die Metastasierung befeuern [3].

Diese Vorgänge haben Einfluss auf die Remodellierung von Tumor- und peritumoralem Gewebe. Sie sind letztlich immunsuppressiv und tragen dazu bei, der Immunüberwachung des Organismus entkommen zu können. Die chronische Azidose schläfert das Immunsystem ein. Der Krebs entwickelt sich weiter, trotz einer nicht mehr körpereigenen Zellart. Der niedrige Gewebs-pH-Wert spielt demnach bei der Karzinogenese und der Metastasierung eine Rolle.

Was bewirkt eine Alkalisierung?

In einer Studie mit Mäusen mit Brustkrebs zeigte sich eine Abnahme der Metastasenrate, wenn durch orale Bicarbonat-Zufuhr der Tumor-pH-Wert angehoben wurde [2]. Eine andere, epidemiologische, Studie mit 43 570 Teilnehmenden zeigte eine geringere Brustkrebsrate bei einer säureneutralen bis alkalischen Ernährung [4]. Auffällig bei den Untersuchungen war auch, dass die chronische Alkalisierung mit Bicarbonat nicht zu einer generalisierten Alkalose im Organismus führte. Die Vermutung: Die Alkalisierung fand eher im Tumorgewebe statt und wirkte auch nur auf die extrazelluläre Azidose.

In einer weiteren Studie sollte per Computermodell geklärt werden, ob die Gewebeazidität bei der Tumor­entstehung und Metastasierung eine Rolle spielt, und wenn ja, welche. Das interessante Ergebnis: Die orale Zufuhr von NaHCO3 kann zum Anstieg des Bicarbonat-Spiegels im Serum führen und dabei die intra- und peritumorale Azidität in kleinen Tumoren senken. Das erscheint möglich, ohne dass der Blut-pH-Wert dauerhaft in Richtung einer manifesten Alkalose (pH > 7,45) ansteigt. Eine Änderung des Wirt-Tumor-Verhältnisses im Sinne einer nachhaltigen Beseitigung des übersäuerten Gewebezustandes könnte also nach diesem Modell das Tumorwachstum und die Metastasierung reduzieren [5].

Lungenkarzinom durch Säureäquivalente

Nicht nur das Rauchen, sondern auch eine über­mäßig saure Äquivalente enthaltende Ernährungsweise kann ein Risikofaktor für die Entstehung von Lungentumoren sein. Das zeigt eine Fall-Kontroll-Studie, in die 843 Personen mit Lungenkarzinom und 1 466 Kontrollpersonen einbezogen waren [6]. Die Untersuchung fand in Uruguay statt, wo eine fleischlastige Ernährungsweise allgemein üblich ist. Sie erfasste den PRAL-Score (Potential Renal Acid Load) und den NEAP-Score (Net Endogenous Acid Production). Der PRAL-Score (Angabe in Milliäquivalent/100 g Lebensmittel [mEq/100 g]) zeigt die Säure­ausscheidung über die Nieren bei 100 g Verzehr eines Lebensmittels an. Er wird berechnet aus der Aufnahme von Kalium, Calcium, Magnesium, Phosphor und Proteinen in der Nahrung. Der NEAP (Angabe in mmol/l) ergibt sich aus der Aufnahme von Kalium und Gesamtprotein. Beide Scores sind konvers mit der Aufnahme von Fleischprodukten und invers mit pflanzlicher Ernährung verbunden. Diese Fall-Kon­troll-Studie zeigte einen direkten ­Zusammenhang zwischen der Aufnahme von vermehrten Säureäquivalenten in der Nahrung und dem Risiko für ein ­Lungenkarzinom (Abb.).

Auch zwischen dem Magenkarzinom und einer säurelastigen Ernährung scheint ein direkter Zusammenhang zu bestehen. Das fand eine weitere Studie in Uruguay mit 774 erkrankten und 1 096 Kontroll­personen heraus [7].

Eine Einwirkung auf diese Vorgänge – u. a. auf die Azidose innerhalb des Tumorgeschehens – erscheint somit als eine Chance für therapeutische und präventive Interventionen [2,8]. Magensaftresistente Bicarbonat-Präparate bieten sich dafür an.

Der Autor

Dr. med. Dr. PH Herbert Stradtmann
Arzt für Innere Medizin/Nephrologie,
Hypertensiologe-DHL® und ­Rehabilitationswesen
Im Wölftegrund 27
34537 Bad Wildungen

  1. Katoa Y et al., Japan Dent Sci Rev 2018; 54: 8–21
  2. Robey IF et al., Cancer Res 2009; 69: 2260–8
  3. Diaz FE et al., 2018; DOI org/10.1155/2018/1218297
  4. Park YMM et al., Int J Cancer 2019; 144: 1834–43
  5. Ariosto SS et al., Cancer Res 2009; 69: 2677–84
  6. Ronco AL et al., Cancer Treat Res Com 2021; 28: 100328
  7. Ronco AL et al., World Cancer Res J 2022; 9: e2403
  8. Damgaci S et al., Immunologie 2018; 154: 354–62

Bildnachweis: privat

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