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Gynäkologie

ADC Chemotherapie vor dem Aus

Antikörper-Wirkstoff-Konjugate in der Gynäkologischen Onkologie

Katharina Kaschner, Maggie Banys-Paluchowski, Henriette Princk, Prof. Dr. med. Lars C. Hanker, Prof. Dr. med. Achim Rody, Dr. med. Franziska Hemptenmacher

23.8.2024

Wird die Chemotherapie schon bald durch Antikörper-Drug-Konjugate abgelöst? In den vergangenen 10 Jahren wurden für immer mehr solide Tumoren passende Zielstrukturen identifiziert. Auch in der gynäkologischen Onkologie wird diese neue Therapieoption in vielen Studien geprüft. Dieser Beitrag gibt einen Überblick.

Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (Antibody-drug Conjugates; ADCs) haben in der Senologie bereits ein breites Anwendungsspektrum. Auch in der gynäkologischen Onkologie wird diese neue Therapieoption in Studien geprüft und hat mit Mirvetuximab Soravtansin und Tisotumab Vedotin bereits 2 ADCs mit einer FDA-Zulassung. In Deutschland sind die Zulassungen bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) beantragt.

Mithilfe eines Antikörpers gelangt das Zytostatikum, auch „payload“ genannt, welches über einen Linker mit dem Antikörper verbunden ist, zur Zielzelle. Der Antikörper bindet jeweils an einen spezifischen Rezeptor auf der Außenseite der Zelle. Die Wirkweise ist umso tumorspezifischer, je stärker die Rezeptoren insbesondere auf den Tumorzellen exprimiert werden.

Aufgrund der hohen Plasmastabilität der ADCs wird das Zytostatikum erst nach der Internalisierung in die Tumorzelle durch Proteasen oder einen erniedrigten pH-Wert im Lysosom freigesetzt. Somit kann ein hohes zytotoxisches Potenzial erreicht werden, bei gleichzeitig reduziertem Nebenwirkungsprofil im Vergleich zur konventionellen Chemotherapie. Durch den „Bystander-Effekt“ tritt die zytotoxische Wirkung auch in den benachbarten Tumorzellen unabhängig von deren Rezeptorexpression auf und es kommt zu einer Wirkverstärkung (Abb.).

ADCs beim Ovarialkarzinom

Das platinresistente, seröse Ovarialkarzinom geht mit einer schlechten Prognose einher. Die aktuellen Standardtherapien beinhalten verschiedene Mono-Chemotherapien mit entsprechend teils ausgeprägten Nebenwirkungen und sehr geringen Ansprechraten. Bislang konnte noch kein prädiktiver Marker mit einer entsprechenden aktuell zugelassenen Therapie für das platinresistente Ovarialkarzinom identifiziert werden.

Mehrere Untersuchungen zeigen, dass der Folat-Rezeptor-alpha (FRα) tumorzellspezifisch ausgebildet wird [1,2]. Die Phase-III-Studie MIRASOL untersuchte den Einsatz des ADC Mirvetuximab Soravtansin bei dieser Subgruppe. Der monoklonale Antikörper Mirvetuximab ist gegen den FRα gerichtet. Voraussetzung in der Studie war eine hohe Expression dieses Rezeptors auf der Tumorzelloberfläche mit ≥ 75 % und einer Intensität ­­von ≥ 2 +.

Das verlinkte Zytostatikum Maytansinoid DM4 bindet nach der Internalisierung und Freisetzung an die Mikrotubuli der Tumorzelle und führt so zu deren Apoptose. In die randomisierte, prospektive Studie wurden Patientinnen mit 1–3 Vortherapien eingeschlossen und Mirvetuximab Soravtansin mit einer Chemotherapie nach Arztwahl (Paclitaxel, pegyliertes liposomales Doxorubicin oder Topotecan) verglichen. Das mediane progressionsfreie Überleben (progression-free survival; PFS) betrug mit dem ADC 5,62 Monate (95%-KI 4,34–5,95) und mit einer Chemotherapie 3,98 Monate (95%-KI 2,86–4,47) (p < 0,001).

Diese Ergebnisse zeigen eine signifikante Verbesserung des PFS und haben aufgrund der begrenzten Lebenserwartung des platinresistenten Ovarialkarzinoms eine relevante Bedeutung. Auch objektiv konnte ein Ansprechen mit 42,3 % bei Patientinnen mit Mirvetuximab Soravtansin, im Vergleich zu 15,9 % bei denen mit einer Chemotherapie, gezeigt werden (OR 3,81; 95%-KI 2,44–5,94; p < 0,001). Das Gesamtüberleben (overall survival; OS) war mit 16,46 Monaten mehr als 3 Monate verlängert durch den Einsatz des ACD (HR 0,67; 95%-KI, 0,50–0,89; p = 0,005). Die Zulassung in Europa ist beantragt [3].

Ein weiteres ADC, dessen Wirksamkeit und Sicherheitsprofil aktuell in klinischen Studien überprüft wird, ist Luveltamab Tazevibulin (STRO-002). Dieses Antikörper-Wirkstoff-Konjugat ist ebenfalls gegen den FRα gerichtet und vermittelt einen zytotoxischen und immunologischen Zelltod der Tumorzelle. In der randomisierten Phase-I-Studie STRO-002-GM1 wird der Einsatz von Luveltamab Tazevibulin beim rezidivierten, epithelialen Ovarialkarzinom untersucht.

Eingeschlossen wurden Patientinnen, bei denen ein platinresistentes Ovarialkarzinom nach 1–3 Therapielinien vorlag oder ein platinsensibles Ovarialkarzinom mit 2–3 platinhaltigen Vortherapien. Es handelt sich um eine Platinresistenz, wenn die Erkrankung innerhalb der ersten 6 Monate nach Abschluss der initialen platinhaltigen Chemotherapie rezidiviert.

Die Expression von FRα wurde in der Studie zwar bestimmt, war jedoch kein Ein- bzw. Ausschlusskriterium. Die Ergebnisse bestätigen die Aktivität des ADC bei einem TPS ≥ 25 (Tumor Proportion Score), sodass darauf aufbauende Phase-II- und -III-Studien vorgesehen sind und in Kürze mit der Rekrutierung der Patientinnen begonnen wird [4].

ADCs beim Endometriumkarzinom

In den vergangenen Jahren gab es hervorragende Ergebnisse von Immuntherapien beim fortgeschrittenen, metastasierten und nun auch beim primären lokal fortgeschrittenen Endometriumkarzinom. Hier ist exemplarisch der monoklonale Antikörper Dostarlimab zu nennen, der in der RUBY-Studie signifikante und deutliche Verlängerungen des progressionsfreien Überlebens zeigte [5].

Aber auch die Wirksamkeit der ADCs wurde in dieser Patientinnengruppe überprüft. In derselben Phase-I-Studie STRO-002-GM1 der Ovarialkarzinome wurden auch metastasierte, epitheliale Endometriumkarzinome eingeschlossen und mit Luveltamab Tazevibulin behandelt. Eingeschlossen wurden hier Patientinnen mit mindestens einer platinhaltigen Vortherapie oder Immuntherapie sowie einer FRα-Expression von ≥ 1 %.

Die Daten zeigten ein Ansprechen v. a. bei Patientinnen mit einer FRα-Expression von ≥ 25 %. Diese Patientinnen hatten vielversprechende Ansprechraten von bis zu 50 %, welche nicht vergleichbar sind mit denen der Standardtherapien. Weitere Studien sind notwendig, um die Wirkung, Sicherheit und Anwendbarkeit zu evaluieren [6].

Sacituzumab Govitecan ist ein ADC, welches wir bereits aus der Anwendung beim Mammakarzinom kennen. In der nicht randomisierten Phase-II-Studie IMMU-132 wird aktuell die Anwendung beim rezidivierten epithelialen Endometriumkarzinom untersucht. Der Antikörper ist gegen das Oberflächenantigen Trop2 (trophoblast cell-surface antigen 2) gerichtet. In der Studie zeigte sich eine Überexpression von Trop2 auf den Tumorzellen in 96 % der endometroiden Adenokarzinome und 65 % bei serösen uterinen Karzinomen.

Das verlinkte Zytostatikum SN-38, ein aktiver Metabolit von Irinotecan, ist ein Topoisomerase-I-Hemmer und führt zum Abbruch der DNA-Replikation und somit zum Zelltod. In die Studie eingeschlossen wurden Patientinnen mit einem persistierenden oder rezidivierten epithelialen Endometriumkarzinom mit Trop2-Überexpression (2 +), welches ein Progress während und nach einer platinbasierten Chemotherapie aufwies.

Erste Resultate nach Auswertung von 21 Patientinnen mit einem medianen Follow-up von 15,6 Monaten zeigten bei 47,6 % (10 von 21) ein „stable dis­ease“ und bei 33,3 % (7 von 21) eine partielle oder komplette Remission. Die hier gezeigte klinische Aktivität von Sacituzumab Govitecan muss jedoch noch weiter evaluiert werden [7].

ADCs beim Zervixkarzinom

Beim rezidivierten oder metastasierten Zervixkarzinom gibt es aktuell nur wenige Therapieoptionen. Abhängig vom Stadium stehen unter anderem die Cisplatin-basierte Radiochemotherapie, operative Vorgehen sowie medikamentöse Therapien mit beispielsweise Cisplatin, Topotecan und Bevacizumab zur Verfügung. Auch beim Zervixkarzinom hat mit dem Checkpoint-Inhibitor Pembrolizumab inzwischen die Immuntherapie einen Stellenwert in der Therapie erhalten.

In Studien wird derzeit der Einsatz von Tisotumab ­Vedotin beim rezidivierten oder metastasierten ­Zervixkarzinom untersucht. Das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat ist gegen den tissue factor (TF) ­gerichtet. Dieser ist Bestandteil der extrinsischen Blutgerinnungskaskade und vermehrt auf Tumorzellen vorzufinden. An den Antikörper Tisotumab ist das Zytostatikum Monomethylauristatin E (MMAE) verlinkt, welches nach der Internalisierung durch Hemmung am Spindelapparat die Apoptose herbeiführt.

Im Zuge der innovaTV-301-Studie wurde bei Patientinnen mit rezidiviertem oder metastasiertem Zervixkarzinom, welche bereits eine Erstlinientherapie mit Chemotherapie +/- Bevacizumab +/- PD(L)-1-­Hemmer erhalten hatten und sich im Progress befanden, mit dem ADC Tisotumab Vedotin behandelt. Das Gesamtüberleben war durch Tisotumab Vedotin mit 11,5 Monaten (95%-KI 9,8–14,9) vs. 9,5 Monaten (95%-KI 7,9–10,7) signifikant verlängert im Vergleich zur Chemotherapie nach Arztwahl (Topotecan, Vinorelbin, Gemcitabin, Irinotecan oder Pemetrexed) [8].

Diese Substanz ist bereits seit 2021 durch die FDA für diesen Einsatzbereich zugelassen worden. Dies beruht auf den Ergebnissen der innovaTV-204-Studie. Die objektive Ansprechrate betrug hier 24 % und die mediane Responsedauer 8,3 Monate [9]. Am Ende der Therapielinien gibt es beim metastasierenden bzw. rezidivierenden Zervixkarzinom keine wirksamen Alternativen. Daher wird die Zulassung in Europa dringend erwartet.

HER2-gerichtete Therapie in der gynäkologischen Onkologie

Die Phase-II-Studie DESTINY-Pan-Tumor02 befasst sich mit der Wirkung von Trastuzumab Deruxtecan (T-DXd) bei soliden HER2-positiven und HER2-low Tumoren. Bekannt ist dieses Antikörper-Wirkstoff-Konjugat bereits aus der zugelassenen Anwendung beim metastasierten HER2-positiven oder HER2-low Mammakarzinom.

Das Zytostatikum dieses ADC, der Topoisomerase-I-Hemmer Exatecan, führt zum Abbruch der DNA-Replikation und somit zum Zelltod. Er ist gekoppelt an den Antikörper Trastuzumab, welcher gegen den Rezeptor HER2-neu gerichtet ist. In der Studie wurden Patientinnen eingeschlossen, deren Expression den immunhistochemischen Score (IHC) 3 +, 2 + oder 1 + am Tumor aufwiesen. Erste Analysen zeigen hier v. a. eine Wirksamkeit beim Endometrium-/Zervix- sowie verhaltener auch beim Ovarialkarzinom. Das objektive Ansprechen (ORR; objective response rate) lag bei 45 % für das Ovarialkarzinom, 50 % für das Zervixkarzinom und 57,5 % für das Endometriumkarzinom. Die Daten zum progressionsfreien Überleben und dem Gesamtüberleben stehen noch aus.

Das in der Studie aufgezeigte Nebenwirkungsprofil entspricht im Wesentlichen dem bisheriger Studienergebnisse [10]. Diese Substanz ist in Europa verfügbar und auch in der klinischen Routine anderer Entitäten bereits angekommen, sodass die perspektivische Behandlung auch der Genitalkarzinome mit Trastuzumab Deruxtecan dringend erwartet wird. Eine FDA-Zulassung für HER2-positive solide inoperable oder metastasierte Tumoren besteht bereits seit April 2024.

Nebenwirkungen

Die Verträglichkeit der Antikörper-Wirkstoff-Konjugate ist durch den Wirkmechanismus insgesamt hoch. Das Nebenwirkungsprofil reicht von hämatotoxischen Effekten wie Thrombozytopenie, Anämie und Neutropenie bis hin zur Transaminasenerhöhung. Hinzu kommen Substanz-spezifische Nebenwirkungen, die zum Teil ein interdisziplinäres Management benötigen und auf die Rezeptor-spezifische Bindung zurückzuführen sind.

Bei Mirvetuximab Soravtansin und Tisotumab Vedotin beispielsweise kann es zur Schädigung des Auges mit „Dry Eye“, verschwommener Sicht sowie Hornhautveränderungen kommen. Eine enge Zusammenarbeit mit den Augenärzten bzw. -ärztinnen ist hier unabdingbar. Interstitielle Lungenerkrankungen sind ebenfalls eine gefürchtete Nebenwirkung, die vor allem unter Trastuzumab Deruxtecan auftreten kann und wodurch es auch im Zuge der Zulassungsstudien zu Todesfällen gekommen ist. Eine gezielte Symp­tom-Abfrage und ggf. rechtzeitige Einleitung der Diagnostik und Therapie ist daher genauso wichtig wie eine interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Antikörper-Wirkstoff-Konjugate finden immer mehr Einzug in die Standardtherapien unterschiedlicher Karzinom-Entitäten. Diese Therapieoption verbindet eine hohes Wirkpotenzial bei gleichzeitig reduzierten Nebenwirkungen. Vor allem beim fortgeschrittenen und metastasierten Karzinom steht die ­Lebensqualität neben der Effektivität der Therapie im Fokus, sodass perspektivisch die ADCs die klassische ­Chemotherapie als häufigste medikamentöse Erstlinientherapie ­ablösen werden.

Die Autorin

Katharina Kaschner
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
23538 Lübeck

katharina.kaschner@uksh.de

  1. ten Bokkel Huinink W et al., J Clin Oncol 1997; 15: 2183–93
  2. Ledermann JA et al., Ann Oncol 2015; 26: 2034–43
  3. Moore KN et al., N Engl J Med 2023; 389: 2162–74
  4. Oaknin A et al., J Clin Oncol 2023; 41: Abstract 5508
  5. Mirza MR et al., N Engl J Med 2023; 388: 2145–58
  6. Pothuri B et al., Ann Oncol 2023; 34: 741MO
  7. Santin A et al., J Clin Oncol 2023; 41: Abstract 5599
  8. Vergote IB et al., Ann Oncol 2023; 34: LBA9
  9. Coleman RL et al., Lancet Oncol 2021; 22: 609–19
  10. DESTINY-PanTumor-02: Trastuzumab Deruxtecan Has Activity Against a Range of HER2-Expressing Solid Tumors; ASCO Daily News, June 5, 2023; Updated June 7, 2023

Bildnachweis: Alpha Tauri 3D (Adobe Stock); privat

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