Unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) wurde die erste Leitlinie „Rationaler therapeutischer Einsatz von kaltem physikalischem Plasma“ (Version 1.0) erstellt und im Februar 2022 von der AWMF veröffentlicht.
Die Leitlinie wendet sich an Ärzte, Zahnärzte sowie Fachpflegekräfte, die Patienten mit chronischen und infizierten Wunden behandeln. Kaltes physikalisches Plasma ist ein ionisiertes Gas auf Körpertemperatur, das durch elektrische Energie unmittelbar während der berührungslosen Behandlung erzeugt wird. Seine Wirksamkeit beruht laut den Autoren auf der Abtötung von Mikroorganismen einschließlich Viren und multiresistenten Bakterien sowie der Anregung des Zellwachstums und der Angiogenese, was die Wundheilung fördert. Zudem soll der regulierte Zelltod von Krebszellen induziert werden.
Anwendung kurativ und palliativ
Angewendet wird kaltes Plasma zur kurativen Behandlung von chronischen und infizierten Wunden sowie zur palliativen Behandlung von ulzerierten, offenen, anaerob kontaminierten Tumoren mit dem Ziel der Keimreduktion sowie der Bekämpfung von Geruchsentwicklung und Schmerzen. In wissenschaftlichen Studien konnte gezeigt werden, dass neben einer signifikanten Reduktion der Bakterienlast sowie Steigerung der Geschwindigkeit der Wundflächen- und Wundtiefenreduktion eine Verbesserung der Lebensqualität erzielt werden kann. Die Anwendung ist nach erfolgter Qualifikation auch durch Fachpflegekräfte in delegierter Tätigkeit möglich. Das Nebenwirkungsrisiko wird als außerordentlich gering eingestuft. Durch die Behandlung hervorgerufene relevante Schmerzen sind in der Regel nicht zu erwarten. Jedoch ist bei Anwendungen in der periokulären Region das Sehorgan durch Abdeckung zu schützen. Für das Patientengespräch vor Anwendung des kalten Plasmas bietet die Leitlinie im Anhang eine Musteraufklärung.
Welche Geräte werden verwendet?
Plasmageräte, die in der Wundbehandlung zum Einsatz kommen, tragen eine CE-Zertifizierung als Medizinprodukte der Klasse IIa. Sie besitzen eine umfassende physikalische und biologische Charakterisierung der jeweiligen Plasmaquelle mit detaillierten präklinischen und klinischen Untersuchungen und sind zugelassen für die Behandlung von Wunden mit gestörter oder verzögerter Heilung, zur Behandlung von Hauterkrankungen, die u. a. durch multiresistente Erreger bedingt sind, und zur Behandlung mikrobiell kontaminierter und infizierter Haut-, Schleimhaut-, Wund- und Tumoroberflächen.
Abzugrenzen sind die Anwendungen von kaltem Plasma von thermischen, plasmabasierten Verfahren in der Elektro- oder Hochfrequenz-Chirurgie (z. B. die Argon-Plasmakoagulation), die eine Koagulation von Gewebe verursachen und zum Schneiden und zur Kauterisation eingesetzt werden, was mit Kaltplasma nicht möglich ist.
Dauer und Häufigkeit der Anwendungen
Je nach verwendetem Gerät werden unterschiedliche Therapieintervalle und -dauern empfohlen. Bei einer Wundbehandlung empfehlen die Autoren eher wenige Applikationen pro Woche (2–3) mit längeren Pausen (ca. 2–3 Wochen). Im Falle einer reinen Antisepsis- und Dekontaminationsbehandlung dagegen häufigere Sitzungen und eine kürzere Dauer der Therapiephase (z. B. täglich für 1 Woche). In der Wundbehandlung kann die Behandlung beendet werden, wenn die Epitheldecke als geschlossen zu bewerten ist. Eine Erhaltungstherapie ist nach klinischer Erfahrung nicht sinnvoll. In der palliativen Medizin bestimmt das Maß der u. a. olfaktorischen Linderung den Erfolg. Außerdem empfehlen die Autoren, die Befunde vor und im Verlauf der Behandlung zu fotodokumentieren.
Bei Anwendung von kaltem Plasma in unmittelbarer Nähe zu den Atemwegen (z. B. in Mundhöhle oder Tracheostoma) sind Maßnahmen zur aktiven Entfernung insbesondere von Ozon zu empfehlen, wie sie in Form von Absaugungen bei zahnärztlichen Behandlungen oder im Zusammenhang mit der Anwendung medizinischer Laser ohnehin üblich sind.
Durch die Veröffentlichung der ersten Leitlinie zum Einsatz des kalten Plasmas ist dessen therapeutische Anwendung zu einem etablierten Verfahren bei chronischen und infektionsgefährdeten oder infizierten Wunden geworden. Klinisch kommt es besonders bei problematischen chronischen Wunden als Ergänzung zur jeweiligen Standardtherapie zum Einsatz und sein Nebenwirkungsrisiko wird als außerordentlich gering eingestuft. Die Anwendung kann auch an medizinisches Fachpersonal delegiert werden.
Der Autor
PD Dr. med. Ulrich Kisser
Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde,
Kopf- und Hals-Chirurgie
Universitätsmedizin Halle (Saale)
S2k-Leitlinie „Kaltes Plasma“, AWMF-Reg-Nr.: 007-107, 2022
Bildnachweis: ekazansk (gettyimages); privat