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Allgemeinmedizin

Arzt-Patienten-Gespräch

Kommunikations- und Therapiekonzept bei Adipositas

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

5.6.2023

Es kann schwierig sein, mit Ihren Patienten über Adipositas zu sprechen, da das Gewicht ein sensibles Thema ist. Sinnvoll ist es, sich zuvor eine Art Leitfaden für solche Gespräche bzw. das Therapiemanagement zurechtzulegen. Dieser Beitrag stellt Ihnen fünf Schritte vor, an denen Sie sich orientieren können.

Adipositas ist mit vielen Komorbiditäten und Komplikationen assoziiert – von psychischen Problemen und Herzkrankheiten bis zu Typ-2-Diabetes, diversen Krebsarten und Problemen mit Knochen und Gelenken [1]. Im Sommer 2020 wurde Adipositas durch den Deutschen Bundestag als chronische Erkrankung anerkannt, die Etablierung eines Disease-Management-Programms (DMP) für Adipositas in den kommenden Jahren soll die defizitären Versorgungsstrukturen langfristig verbessern.

Die Vermeidung von Adipositas und ihren Folgeerkrankungen gehört aber schon heute zu den Kernaufgaben einer Hausarztpraxis. Doch wie holt man die betroffenen Patienten ab? Das Gewicht ist ein sensibles Thema und die Kommunikation darüber kann entsprechend schwierig sein. Ein Leitfaden in fünf Schritten soll dabei helfen, ein Gespräch erfolgreich zu beginnen und fortzuführen, um mit den Patienten zusammen die richtigen Behandlungsoptionen zu finden (Abb. 1) [1].

Adipositastherapie in 5 Schritten

Schritt 1: Initiieren

Bei der Eröffnung des Gesprächs ist es zunächst wichtig, um Zustimmung zu bitten, um die Patienten nicht vor den Kopf zu stoßen. Eine bewährte Einstiegsfrage könnte sein: „Wäre es in Ordnung, wenn wir heute über Ihr Gewicht sprechen?“

Ohne Zustimmung drängen Sie nicht weiter, sondern bieten an, auch in Zukunft für ein Gespräch zur Verfügung zu stehen. Sobald Sie die Zustimmung haben, sollten Sie eine positive und patientenorientierte Sprache verwenden. Fragen Sie „Wie wirkt sich Ihr Gewicht auf Ihr Leben und Ihre Freizeitaktivitäten aus?“ oder „Wie wichtig ist es für Sie, an Ihrem ­Gewicht zu arbeiten?“ Die Antworten geben Ihnen Hinweise auf den Leidensdruck der Patienten.

Schritt 2: Diagnostizieren

Body-Mass-Index (BMI) und Taillenumfang sind wichtige Messgrößen, weil sie in die Bewertung der mit Adipositas verbundenen Gesundheitsrisiken einfließen. Daher sollten Sie sich nicht auf Angaben der Patienten verlassen, sondern Körpergröße, Gewicht und Taillenumfang selbst erheben. Achten Sie auf folgende Punkte:

• Stellen Sie sicher, dass sich die Waage in einem Bereich befindet, der Privatsphäre bietet.
• Stellen Sie sicher, dass der Messbereich der Waage ausreicht (> 200 kg).
• Vermeiden Sie, das Gewicht in einem nicht privaten Bereich zu thematisieren.

Die Diagnose von Adipositas beginnt mit der Bestimmung des BMI – eine einfache Messung des Gewichts (kg) Ihrer Patienten geteilt durch das ­Quadrat der Körpergröße in Metern. Die WHO hat ein BMI-zentriertes Klassifizierungssystem entwickelt, das Empfehlungen klinischer Strategien ermöglichen soll [2].

Zur Bestimmung des Taillenumfangs bitten Sie die betreffende Person, das Maßband am Bauchnabel zu halten und sich einmal umzudrehen, damit sich das Maßband um die Taille wickelt. Auf Höhe der oberen Hüftknochen messen Sie den Taillenumfang.

Schritt 3: Besprechen

Für das Gespräch über das Körpergewicht ist ­empathisches Vorgehen wichtig. Erklären Sie Ihren Patienten, dass sie keine Schuld an der Erkrankung Adi­positas haben. Machen Sie ihnen klar, dass ­Körpergewicht von vielen Faktoren beeinflusst wird. Dazu gehören Genetik, Umweltfaktoren und Hormone. Deshalb kann es für Menschen mit Adipositas schwierig sein, Gewicht zu verlieren bzw. das niedrigere Gewicht zu halten [3].

Ein hilfreiches Tool beim Gespräch über das Gewichtsmanagement ist die Gewichtshistorie Ihrer Patienten, um mögliche Auslöser für die Gewichtszunahme und bisherige Abnehmversuche zu verstehen.

Sobald Sie ein gutes Verständnis für die bisherige Gewichtsentwicklung der adipösen Patienten haben, können Sie gemeinsam Ziele festlegen.

Beginnen Sie damit, die Ziele Ihrer Patienten zu erfragen. Auf diese Weise können Sie dazu beitragen, realistische und erreichbare Ziele festzulegen, die auch die persönlichen Möglichkeiten der Betroffenen berücksichtigen. Unterscheiden Sie zwischen kurzfristigen und langfristigen Zielen.

Als Nächstes sollten Sie gemeinsam mit Ihren Patienten überlegen, wie diese Ziele erreicht werden können. Die Schritte sollten messbar sein und aufeinander aufbauen. Schließlich sollten Sie realistische Termine festlegen, wann die kurz- und langfristigen Ziele erreicht werden sollen. Jeder sollte wissen, dass die Behandlung der Adipositas ein langfristiger Prozess ist [1].

Schritt 4: Behandeln

Die Hauptziele bei der Behandlung der Adipositas bestehen darin, Komplikationen zu verhindern oder bereits bestehende zu behandeln. Die interdisziplinäre S3-Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“ gibt Empfehlungen für den Umgang mit Adipositas bei Patienten in verschiedenen Stadien des Gewichtsmanagements (Abb. 2) [4].

Lebensstiltherapien sind der Eckpfeiler jeder Adipositasbehandlung und sollten stets die erste Wahl sein. Sie sollten drei Komponenten umfassen: Ernährungsplan, physische Aktivität und Verhaltensänderung [4].

Diese Maßnahmen reichen jedoch nicht immer aus, um die Gewichtsabnahme aufrechtzuerhalten [5]. Dann sollte die pharmakologische Behandlung als Teil einer umfassenden Strategie der Krankheitsbewältigung betrachtet werden [6].

Sie kann Patienten helfen, die Adhärenz bei der Durchführung von Lebensstiltherapien aufrechtzuerhalten, adipositasbedingte Gesundheitsrisiken zu verringern und die Lebensqualität zu verbessern. Sie kann auch dazu beitragen, die Entwicklung von Adipositas-Komorbiditäten (z. B. Typ-2-Diabetes) zu vermeiden. Eine Pharmakotherapie kann ab einem BMI ≥ 28 kg/m2 sowie zusätzlichen Risikofaktoren und/oder Komorbiditäten bzw. mit einem BMI ≥ 30 kg/m2 in Betracht gezogen werden [4].

Die bariatrische Chirurgie ist die dritte und effizienteste Intervention zur Behandlung von Adipositas. ­Relevant ist ein solcher Eingriff insbesondere für ­Patienten mit einem BMI ≥ 40 kg/m2 oder einem BMI ≥ 35 kg/m2 und mindestens einer oder mehreren adipositasbedingten Komorbiditäten. Die ­bariatrische Chirurgie kann malabsorptiv oder ­restriktiv sein [7].

Schritt 5: Nachsorge

Es gibt Hinweise darauf, dass häufige Konsultationen zur Gewichtserhaltung einen signifikant positiven Einfluss auf die Gewichtskontrolle haben können [8]. Sprechen Sie beim Folgetermin mit Ihren Patienten darüber, was gut funktioniert hat und auf welche Herausforderungen sie gestoßen sind. Achten Sie darauf, dass Sie die folgenden drei Hauptbereiche während des Nachsorgetermins abdecken:

Bewertung der Fortschritte bei der Gewichts­erhaltung: Berechnen Sie BMI und Taillenumfang Ihrer Patienten. Erkennen Sie auch andere ­Leistungen an, z. B. mehr zu Fuß zu gehen oder sich gesund zu ernähren.

Behandlung anpassen: Es ist wichtig, die Behandlung bei Bedarf zu modifizieren oder zu intensivieren. Berücksichtigen Sie die Gewichtshistorie und die aktuelle Situation, um einen Nachsorgeplan für die Behandlung festzulegen. Erklären Sie Ihren Patienten, dass die Vermeidung einer erneuten Gewichtszunahme der Eckpfeiler eines lebenslangen Gewichtsmanagements ist.

Neuen Termin vereinbaren: Achten Sie auf ­häufige Nachsorgetermine, um Ihre Patienten auf dem Weg zur Gewichtsabnahme zu unterstützen.

1 Vallis M et al., Canad Fam Physician 2013; 59: 27–31
2 www.who.int/iris/handle/10665/42330. Stand: Februar 2023
3 www.nhlbi.nih.gov/guidelines/obesity/ob_gdlns.pdf. Stand: Februar 2023
4 AWMF: Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur „Prävention und Therapie der Adipositas“. register.awmf.org/de/leitlinien/detail/050-001 (abgelaufen). Stand: Februar 2023
5 Jensen MD et al., Circulation 2014; 129: 102–138
6 Yumuk V al., Obesity Facts 2015; 8: 402–424
7 www.obesityaction.org/obesity-treatments/bariatric-­surgery. Stand: Februar 2023

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