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Onkologie

Chronotherapie

Zirkadiane Rhythmen beeinflussen den Therapieerfolg

PD Dr. Angela Moreira Borralho Relógio

Die zirkadiane Uhr steuert molekulare Vorgänge, wie u. a. das Zellwachstum und die Apoptose. Wird die innere Uhr gestört, können verschiedene Erkrankungen die Folge sein. Forschungsergebnisse weisen z. B. auf Zusammenhänge zwischen Krebserkrankungen und Störungen der Expression von Genen hin, die dem zirkadianen Rhythmus unterliegen.

Die zirkadiane Uhr ist für die Erzeugung der Tagesrhythmen (circa dien bedeutet ungefähr ein Tag) und damit für eine Vielzahl von Verhaltens- und physio­logischen Prozessen verantwortlich. Dieses innere Zeitsystem ermöglicht Organismen zahlreicher Arten biologische Prozesse an die geophysikalische Zeit anzupassen. Zirkadiane Rhythmen werden durch evolutionär konservierte molekulare Uhren erzeugt. Diese Uhren selbst sind durch das komplexe Zusammenspiel eines molekularen Kern-Uhr-Netzwerks (s. Abb. 1) gekennzeichnet, das Rhythmen von ca. 24 Stunden bei der Expression von taktgesteuerten Genen (clock-controlled genes, CCGs) und Proteinen vermittelt. Bei Säugetieren ist der zentrale Schrittmacher im Gehirn, genauer im Nucleus suprachiasmaticus (SCN), lokalisiert. Dieser wird durch Lichtsignale, die mittels retinaler Ganglienzellen über den retinohypothalamischen Trakt weitergeleitet werden, mit der Außenwelt synchronisiert. Der zentrale Schrittmacher erzeugt rhythmische Sig­nale und synchronisiert den lokalen Takt im Gehirn mit peri­pheren Uhren in den einzelnen Zellen im gesamten Körper (s. Abb. 2). Dadurch werden robuste endogene Tagesrhythmen erzeugt.[1] Auf molekularer Ebene setzt sich die Uhr aus einem Netzwerk sogenannter Uhrgene zusammen, das selbstregulierende trans­kriptionelle und translatorische Rückkopplungsschleifen aus verschiedenen Schlüsselproteinen bildet: die positive ROR/BMAL/REV-Rückkopplungsschleife und die negative PER/CRY-­Rück­kopp­lungs-schleife.[2] Diese Schleifen sind in der Lage, eigenständig Oszilla­tionen mit einer Periode von etwa 24 Stunden zu erzeugen, selbst in Abwesenheit von äußeren Zeitgebern wie z. B. Lichtsignalen. Diese 24-Stunden-Rhythmen sind gewebeabhängig für ca. 40 % aller proteincodierenden Gene nachgewiesen[3] und bieten dem Organismus eine Möglichkeit, externe Reize zu antizipieren und entsprechend darauf zu reagieren, um das Verhalten und molekulare Prozesse an bestimmte Tageszeiten anzupassen und so beispielsweise unvereinbare Stoffwechselprozesse zeitlich zu trennen. Dadurch wird eine Vielzahl biologischer Vorgänge durch die zirkadiane Uhr gesteuert, unter anderem moleku­lare Prozesse wie das Wachstum der Zellen oder der programmierte Zelltod, Antworten auf DNA-Schäden, Stoffwechselwege, die Wirkung und Verarbeitung von Medikamenten, Gedächtniskonsolidierung, Knochen­bil­dung, Hor­monregulation, immunologische Vorgänge, sowie physiologische Rhythmen wie Schlaf-Wach-Zyklen, Herzfrequenz, Blutdruck und Körpertemperatur.

Deregulierung der zirkadianen Uhr ist mit pathologischen Veränderungen assoziiert

Störungen der zirkadianen Uhr wurden bei vielen Krankheiten nachgewiesen, darunter Krebs, familiäre Schlafstörungen (FASPS), Diabetes mellitus und Adipositas.[1] Des Weiteren kann eine deregulierte Uhr bei Krebspatienten zu einer schlechteren Prognose und verminderter therapeutischer Wirkung von Medikamenten führen.[4] Obwohl Beeinträchtigungen der zirkadianen Uhr bei vielen Krankheiten nachgewiesen wurden, sind die beteiligten Mechanismen noch nicht im Detail aufgeklärt. Es wurde einerseits berichtet, dass verschiedene Uhrgene als Tumorsuppressoren wirken, während andere Stu­dien der Uhr onkogene Eigenschaften zuschrieben, was auf eine kontextabhängige Neuprogrammierung des zirkadianen Systems bei Krebs hindeutet. Die Uhrgene Per1 und Timeless interagieren mit Proteinen, die an der DNA-Reparatur beteiligt sind.[5] Die Menge an vorhandener Per1-mRNA ist in mehreren menschlichen Lymphomzelllinien und Lungenkrebsgewebe vermindert und die Über­ex­pre­s­sion von Per1 kann das Wachstum von menschlichen Krebszelllinien unterdrücken.[6] Die Expression von Genen der Per (period)-Familie ist zudem in menschlichen Brustkrebszellen dereguliert.[7] Die Casein-Kinase epsilon (CKIepsilon) phosphoryliert PER-Proteine und zeigt erhöhte Expressionen in verschiedenen menschlichen Krebsarten wie Leukämie und Prostatakrebs, während die Unterdrückung der Expression das Wachstum von Krebszellen hemmt.[8,9] Mutationen in Npas, einem Paralog des Uhrgens Clock, werden ebenfalls mit einem erhöhten Risiko von Brustkrebs und Non-Hodgkin-Lymphom in Verbindung gebracht.[10] Auch die Histondeacetylase Sirtuin 1 (SIRT1), ein wichtiger Regulator des Stoffwechsels, wurde als Komponente der zirkadianen Uhr identifiziert. SIRT1 kann in Abhängigkeit von seinen Interaktionspartnern das Tumorwachstum fördern oder unterdrücken.[11] Darüber hinaus wurde für mehrere Zellzyklus-Kontrollpunktregulatoren wie Wee1, Myc und Cyclin D1 gezeigt, dass sie direkt von der zirkadianen Uhr gesteuert werden.[12] Das von dem Gen Hkdc1 codierte Protein, ein Mitglied der Hexokinasen-Proteinfamilie, ist am Glucosestoffwechsel beteiligt. Eine hohe Expression des Gens ist mit einem aggressiven Phänotyp und einer verschlechterten Prognose für Patienten mit einem hepatozellulären Karzinom verbunden. Im Rahmen unserer Arbeit hat Hkdc1 ein verändertes zeitliches Expressionsmuster zwischen Zellen verschiedener Tumorprogressionsstufen gezeigt und seine Expression wird durch die Unterdrückung der Expression von Uhrgenen beeinflusst. Darüber hinaus führte die Unterdrückung des zentralen Uhrgens Bmal1 zu einem veränderten zeitlichen Profil der metabolischen Aktivität von Zellen.[13] Die zelluläre Antwort auf die Behandlung mit Glycolyseinhibitoren war vom Zeitpunkt der Behandlung innerhalb des zirkadianen Rhythmus abhängig, wobei sich das Profil durch die Unterdrückung des Bmal1-Gens änderte. Insgesamt deuten diese Ergebnisse, welche zum Teil von unserer Gruppe generiert wurden, auf die Existenz einer direkten Verbindung zwischen Krebs und Störungen zirkadianer Gene hin.


Verbesserung der Therapieziele durch Chronotherapie

Die durch zirkadiane Rhythmen regulierten tageszeitlichen Schwankungen molekularer Prozesse haben schwerwiegende Folgen für die Optimierung von Therapien. Klinische Studien zeigen sowohl, dass Krebspatienten mit veränderten Tagesrhythmen eine schlechtere Prognose haben als auch, dass die Verabreichung von Krebsmedikamenten zu bestimmten Tageszeiten nach sogenannter chro­nomodulierter Behandlungsstrategie (Chronotherapie) die Wirksamkeit einer Behandlung verbessern kann, dies bei gleichzeitiger Minimierung toxischer Nebenwirkungen.[4] Die Ergebnisse dieser Studien eröffnen neue Perspektiven in der Krebsforschung und -therapie. Theoretisch könnten Krebs­medi­ka­mente zu einer Tageszeit eingenommen werden, zu der sie wirksamer sind. Somit könnten Präparate auch niedriger dosiert werden und das Risiko von Nebenwirkungen in den gesunden Zellen mit ­einem anderen Rhythmus wäre verringert. Bahnbrechende Studien der Gruppe von Francis Lévi weisen sowohl auf eine Abnahme der toxischen Wirkungen als auch auf eine Erhöhung des Überlebens bei der zeitmodulierten Abgabe einer Chemotherapie an Krebspatienten hin.[4] Es fehlte jedoch eine umfassende Systemanalyse der veränderten Expression von Uhrgenen und CCGs bei verschiedenen Krebstypen, ihrer Assoziation zu onkogenen Signalwegen und ihrer Wechselwirkungen mit pharmakogenomischen Verbindungen. Um personalisierte Zeiten für Behandlungsschemata festzulegen, werden mathematische Modelle der zirkadianen Uhr benötigt. Ein weit verbreitetes, von unserer Gruppe entwickeltes, mathematisches Modell der zirkadianen Uhr konnte zeigen, dass der Zeitpunkt, zu dem Störungen, z. B. durch therapeutische Wirkstoffe verursacht, auf das System ausgeübt werden, zu unterschiedlichen Effekten führt, die letztendlich die Zellzyklusentscheidungen regulieren.[2] Derartige Modelle können weiterentwickelt werden, um den zeitabhängigen Effekt der Arzneimittelverabreichung zu bestimmen und auch optimale Verabreichungszeiten für die Behandlung gemäß der spezifischen zirkadianen Uhr des Patienten abzuschätzen. Darüber hinaus ist die Berücksichtigung des zirkadianen Rhythmus von Patienten bei der Planung klinischer Studien ein relevanter Faktor, der bei der Stratifizierung von Patienten berücksichtigt werden muss. Dies könnte Aufschluss über die variablen Behandlungsergebnisse von Patienten geben, die in dieselbe Testgruppe eingestuft sind, aber möglicherweise unterschiedliche zirkadiane Rhythmen aufweisen. Viele Fragen zu den genauen Mechanismen, über die die Uhrregulation bei Krebs erreicht wird, sind offen. Anstelle eines vollständigen Verlustes der zirkadianen Regulation bei Krebs, scheint eine Umprogrammierung der Zeit stattzufinden. Es ist plausibel, dass die im Vergleich zum umgebenden Gewebe verschobene innere Zeit der Krebszellen von Vorteil wäre, um einer Immunantwort zu entgehen oder sogar einen höheren Stoffwechselbedarf zu ermöglichen. Könnte ein Zurücksetzen der Uhr bei Krebs­patienten zu ­einer erhöhten Wirksamkeit der Behandlung und einer verringerten Arznei­mit­tel­resistenz beitragen? AIternative Methoden, die experimentelle Arbeiten, mathematische Modelle und Methoden der Bioinformatik auf Systemebene umfassen, ermöglichen es uns, Zeitintervalle festzulegen, in denen Störungen aufgrund eines externen Wirkstoffs, d. h. Medikamente, in Tumoren hoch und im gesunden System minimal sind. Es ist jedoch noch ein langer Weg bis die Überlegungen zum Chronotyp von Patienten zur Entwicklung personalisierter Behandlungen in den Kliniken führen und zur täglichen Praxis werden. Bis dahin werden mehr in vitro, in vivo und klinische Studien sowie computergesteuerte Analysen eine vollständige Integration der zirkadianen Daten ermöglichen und letztendlich die Erstellung personalisierter Vorhersagemodelle für die zeitabhängige Behandlung mit erheblichen Vorteilen für die Patienten ermöglichen.

Die Autorin

PD Dr. Angela Relógio
Professur für Systemmedizin u. Biostatistik
Institutsleiterin Institut für Systemmedizin und Bioinformatik
MSH Medical School Hamburg

angela.relogio@medicalschool-hamburg.de
und Charité – Universitätsmedizin Berlin
angela.relogio@charite.de

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[2] El-Athman R et al., PLoS Biol 2017; 15: e2002940
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[7] Chen S-T et al., Carcinogenesis 2005; 26: 1241–1246
[8] Yi C-H et al., Cancer letters 2009; 284: 149–156
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[11] Brooks C L, Cancer 2009; 9: 123
[12] Masri S et al., Current opinion in cell biology 2013; 25: 730–734
[13] Fuhr L et al., EBioMedicine 2018; 33: 105–121

Bildnachweis: oonishwarhead., ireflamenco, Rakdee, Color_life, turovsky, kathykonkle, hidesy (iStockphoto); privat

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