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Allgemeinmedizin

Wundschmerz

Schmerz ist immer etwas Subjektives

Nicole Hein

11.5.2023

Wundschmerz sollte wie jeder andere Schmerz auch als Warnsignal gesehen werden. Der Wundexperte Thomas Bonkowski erzählt im Interview, warum nicht der Behandelnde die Stärke des Schmerzes beurteilen sollte, welche Faktoren den Wundschmerz verstärken und was aller Voraussicht nach die Zukunft bringt.

Schmerz ist kein Gegner, sondern ein Helfer. Stimmen Sie dem zu?

Ja, absolut. Der Schmerz ist für mich eine Ein­richtung der Natur, die uns signalisiert: Vorsicht, irgendetwas ist momentan mit deinem Körper nicht in Ordnung! Der Schmerz zeigt uns also auf, wo beispielsweise Entzündungen entstanden sind. Ein Beispiel ist eine Appendizitis: Hier verortet sich der Schmerz in der Regel in der Mitte des Bauches rund um den Nabel und am rechten Unterbauch. Ohne den Schmerz wüsste man nichts von der Erkrankung und möglicherweise wäre eine Verschlimmerung die Folge, bis hin zur Sepsis. Ähnlich ist es auch beim Wundschmerz: Eine Wunde könnte sich im Entzündungsprozess befinden, und eines der Kardinalsymptome einer infizierten Wunde ist der Schmerz.

Wie definiert sich Wundschmerz?

Als Oberbegriff bezeichnen Wundschmerzen alle Schmerzen, die im Zusammenhang von Wunden auftreten. Dazu zählen neben den Schmerzen durch die Verletzung selbst auch die Schmerzen durch den Heilprozess. Hinzukommen die Schmerzen, die in der Folge der Heilung entstehen, z. B. durch wucherndes Narbengewebe. Strahlt eine Wunde zudem Schmerzen über den beschädigten Bereich aus, zählen auch sie zu den Wundschmerzen. Ihr Charakter ist in der Regel scharf-brennend.

Ursachen für akute Wundschmerzen sind immer ­Gewebeverletzungen, die ein komplexes biochemisches Geschehen in Gang setzen. Die Auslöser für Wundschmerzen sind vielfältig. Dazu zählen insbesondere Verletzungen durch Schnitte, Quetschungen, Stiche, Pfählungen, Bisse oder Schussverletzungen. Auch entzündliche Vorgänge, thermische oder chemische Reize, Druck oder Wunden können schmerzauslösende Gewebeveränderungen verursachen, die lokale Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) aktivieren. Diese Schmerzentstehung beginnt im betroffenen Gewebe und wird über Nervenfasern weitergeleitet, wobei der Schmerz im Rückenmark noch nicht als solcher empfunden wird, sondern erst später im ­Gehirn. Akute Schmerzen sind ein Warnsignal des Körpers, sie setzen plötzlich ein und sind ebenso schnell wieder verschwunden. Ein Schmerz wird chronisch, wenn er entweder länger als drei bzw. sechs Monate anhält oder wiederkehrend auftritt. Als Ursachen für Wundschmerzen gelten auch ­anwendungsbedingte Schmerzen (Entfernen des ­Verbandes, Wundreinigung, Anlegen des Verbandes), mechanische Schmerzen (Reibung/Verrutschen des Verbandes) oder operative Schmerzen (Débridement).

Wer beurteilt, wie stark der Schmerz ist?

Die amerikanische Krankenschwester und Pionierin auf dem Gebiet der Schmerztherapie, Margo ­McCaffery, sagte im Jahr 1999: „Schmerz ist das, was der Betroffene über die Schmerzen mitteilt, sie sind vorhanden, wenn der Patient mit Schmerzen sagt, dass er Schmerzen hat.“ Demnach ist Schmerz immer etwas Subjektives. Keinesfalls definieren die Behandelnden wie stark der Schmerz ist, sondern stets der Betroffene. Außerdem hängt das Schmerzempfinden stark vom jeweiligen Individuum und nicht nur vom Nervenreiz ab. Auch psychologische und soziale Faktoren wie familiärer und kultureller Umgang mit Schmerz spielen eine Rolle.

Welche Faktoren verstärken den Wundschmerz?

Da gibt es eine Reihe von Faktoren. Der größte Schmerzverstärker ist sicherlich die Angst. Sie entsteht z. B., wenn der Behandelnde nicht mit dem Patienten redet bzw. nur ungenügend. Dann spielen lokale Faktoren wie das eigene Denken und Fühlen eine Rolle. Auch Schlafmangel, Stress und Depressionen können Schmerz generell verstärken. Außerdem können sich das Alter, die Kultur, der geistige Zustand, das soziale Umfeld, der Lebensstil und Einsamkeit auswirken.

Nicht zuletzt existieren generelle Unterschiede im Schmerzempfinden von Männern und Frauen. Studien zur Häufigkeit von Schmerzen zeigen eindeutig, dass Frauen generell mehr unter Schmerzen leiden als Männer. Das trifft auf fast alle Arten von Schmerzen zu, wie Kopfschmerzen, Migräne und verschiedene Formen von Muskel-, Gelenk- und Knochenschmerzen. Frauen haben aber nicht nur häufiger Schmerzen, sie sind auch schmerzempfindlicher, wie experimentelle Untersuchungen gezeigt haben. So schätzen Frauen beim Verabreichen eines Hitze- oder Druckreizes die Schmerzintensität höher ein als ­Männer oder halten den Schmerz weniger lange aus und ziehen daher den Arm nach einem Schmerzreiz ­früher weg als Männer, obwohl der Schmerzreiz gleich stark war. Ebenfalls scheinen Frauen eine niedrigere Schwelle für schmerzhafte Reize zu ­haben als Männer, sodass sie einen weniger starken Reiz schon als schmerzhaft empfinden.

Welche Strategien gibt es, um den Wundschmerz zu lindern bzw. zu beseitigen?

Grundsätzlich alle Schmerzmittel nach WHO-Schema. Dann lindern Non-Analgetika wie trizyklische Antidepressiva und Antikonvulsiva neuropathische Schmerzen. Außerdem ist die Lokalanästhesie zu nennen. Aber auch nicht medikamentöse Methoden, also Therapiemethoden ohne den Einsatz von Arzneimitteln, sind in der Regel fester Bestandteil eines multimodalen Behandlungsansatzes für Patienten mit chronischen Schmerzen. Dazu zählen beispielsweise Akupunktur, Hypnose oder die Progressive Muskelentspannung und Yoga. Auch Nahrungsergänzungsmittel wie Magnesium oder Vitamin B können dazu beitragen, den Wundschmerz zu lindern. Ein großer Faktor ist zudem das Zwischenmenschliche, also Trost und Berührung.

Was bringt die Zukunft?

Zukünftig werden wir uns noch stärker mit dem Thema Schmerz, also auch mit dem Wundschmerz, beschäftigen müssen. Aufgrund des demografischen Wandels wird es mehr hochaltrige Patienten geben – und somit mehr Wunden. Auf der anderen Seite wird sich vermutlich der Mangel an Therapeuten verstärken, genauso wie der Betten­mangel in den Krankenhäusern und in anderen Pflegeeinrichtungen. Die Schmerzen selbst werden sich unweigerlich durch Faktoren wie Singularisierung und Altersarmut verstärken. Zudem bringen eine Änderung des Klimas sowie die Migration neue ­Erkrankungen mit sich.

Der Experte

Thomas Bonkowski
Gesundheits- und Krankenpfleger, Wundexperte ICW, Qualitäts­beauftragter,
1. Vorsitzender Verein der Freunde und Förderer der Pflege am Universitätsklinikum Regensburg, Klinik und Poliklinik für Chirurgie

Bildnachweis: privat

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