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Allgemeinmedizin

Verkürzung der Rekonvaleszenz

Muskelverletzungen im Sport

Dr. med. Ralf Doyscher, Dr. med. Christian Schneider

17.5.2024

Muskelverletzungen werden in verschiedene Arten und Schweregrade eingeteilt, wovon die Therapie und vor allem die Ausfalldauer im Wesentlichen abhängen. Vielfach ist eine konservative Therapie möglich. Voraussetzung dafür ist jedoch die richtige und schnelle Erstbehandlung nach der PECH-Regel.

Muskelverletzungen gehören zu den häufigsten orthopädischen Gründen für Sport- und Wettkampfausfälle. Im Profifußball bedingen sie 30 % und mehr der Gesamtausfallzeiten von Spielern und Spielerinnen [1]. Im Gegensatz zu anderen Verletzungen sind sie wissenschaftlich sehr viel weniger erfasst und beleuchtet. Ihre Behandlung ist daher kaum standardisiert. Dennoch haben gerade in den vergangenen Jahren verstärkt Wissenschaftlerteams und ­klinische Arbeitsgruppen dieses Thema bearbeitet, wodurch bedeutende Erkenntnisse zur Entstehung, Diagnostik, Einteilung und Behandlung von Muskelverletzungen gewonnen werden konnten.

Einteilung von Muskelverletzungen

Muskelverletzungen sind bekanntermaßen sehr vielfältig und ihre Muster sind sehr schwer vergleichbar. Generell werden Muskelverletzungen in modernen Einteilungen in Gruppen mit bestimmten Merkmalen zusammengefasst. Zu diesen gehören [2,3]:

Bislang beachten die meisten klinisch etablierten Einteilungen wie die der Münchner Consensus Conference vor allem die klinisch relevanten Parameter der häufigsten Verletzungen in einer Sportart wie dem Fußball, weswegen für die radiologischen Befundungen, in anderen Sportarten und in anderen Ländern, oft andere Einteilungen geläufig sind.

Update: Die klinische Erfahrung und die Ergebnisse aktueller Literatur legen nahe, dass vor allem die Beteiligung von Bindegewebsstrukturen wie Sehnen, Faszien und Perimysium einen entscheidenden Anteil an der Prognose der Heilungsdauer hat [6]. Dieser Faktor scheint klinisch bedeutender zu sein als die reine Größenausdehnung der Verletzung. Gründe hierfür könnten darin liegen, dass diese Strukturen eine wichtige Rolle in der Kraftübertragung bei der mechanischen Muskelarbeit haben und sie als ­bradytrophes Gewebe sehr viel langsamer und über definierte Zwischenphasen heilen, als die schneller regenerierenden Muskelfasern.

Andererseits hat sich in der Praxis gezeigt, dass nicht jede begleitende Bindegewebsverletzung auto­matisch eine längere Ausfallzeit verursacht. Vielmehr scheint das Ausmaß der initialen Funktionsbeeinträchtigung (Kraftminderung, verminderte Dehnbarkeit oder Ansteuerung etc.) der entscheidende Faktor für die Relevanz der Bindegewebsbeteiligung zu sein.

Oder anders formuliert: Die Begleitverletzung von Bindegewebsstrukturen bei Muskelverletzungen scheint nur dann prognostisch relevant zu sein, wenn ihre Lokalisation und Ausdehnung die ­Muskelfunktion erheblich beeinflussen. Andere, beispielsweise kleinere, Verletzungen können wohl im selben Zeitfenster wie die Muskelfaserverletzung rehabilitiert werden. Eine Einteilung, die diesem Umstand Rechnung trägt, wurde von den ­Experten des sog. Steinbach-Talks, einem Gremium aus renommierten praktisch und wissenschaftlich tätigen Sportmedizinern und -medizinerinnen, auf Basis aktueller Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis sowie auf Grundlage bestehender Einteilungen erstellt (s. Abb.) [7].

Tipp aus der Praxis

Wegen der klinischen Bedeutung einer Beteiligung von Bindegewebsstrukturen ist es wichtig, diese früh (z. B. mithilfe eines einfachen bildgebenden Verfahrens wie der Sonografie) abzuklären.

Ebenso zeigt die klinische Erfahrung, dass eine ­Einteilung in High-Risk-Muskeln (häufig verletzte Muskeln, z. B. der M. biceps femoris) und Low-­­Risk-Muskeln (selten verletzte Muskeln, z. B. M. gluteus maximus) gerade bei der Rehabilitation eine wichtige Entscheidungshilfe dafür sein kann, wie schnell die Belastung gesteigert werden kann. Eine Orientierungshilfe können dabei Studien zu Verletzungs- und Rezidivhäufigkeiten sein [1].

Erstbehandlung von Muskelverletzungen

In der Akutphase direkt nach einer Verletzung gilt es zum einen, den Schmerz zu lindern, und zum anderen, schnell das Ausmaß der Verletzung einzudämmen. Hier hat sich die PECH-Regel seit Jahrzehnten bewährt [3]:

P – Pause
E – Eis
C – Compression
H – Hochlagerung

Leider gibt es zu diesem Thema mittlerweile viel ­Verwirrung und Diskussion, die oft zu einem teil­weise oder gar vollständigen Abrücken von diesen Maßnahmen führen.

Eine starke Einblutung nach einer Muskelverletzung und die Ausbildung eines Hämatoms oder Seroms können aber eine schwerwiegende Komplikation darstellen. Die Ausprägung von massivem Narben­gewebe (Umbau des Hämatoms),Kalzifikationen und sogar Ossifikationen (aufgrund der schlechten Durchblutung) können zu langfristigen Beschwerden führen. Wichtig scheint hierbei präventiv vor allem eine ausreichend lange Kompression zu sein. Auch eine frühe Lymphdrainage und „Strain-Counterstrain“-Techniken, möglichst unmittelbar nach der Verletzung, ­haben sich in der Praxis bewährt [3].

Update: Aktuelle Studien zeigen, dass die Kühlung und die Kompression von Muskelgewebe die Durchblutung um bis zu 50 % reduzieren und damit die Einblutung und Schwellung bei einer Verletzung deutlich herabsetzen können [8]. Auch konnte eine Stunde nach Beendigung der PECH-Maßnahmen keine reaktive Mehrdurchblutung (Hyperämie) festgestellt werden.

Tipp aus der Praxis

Einfache Techniken wie die konsequente Anlage eines komprimierenden elastischen Verbandes (mind. 12–24 Stunden) und das lokale Kühlen (intermittierend bis je max. 20 Min. am Stück) können die Ausfallzeit nach einer Muskelverletzung verkürzen und Komplikationen verhindern.

Therapie: Bei ausgedehnten Hämatomen hat sich neben einer medikamentösen Behandlung mit pflanzlichen Enzymen und Komplexpräparaten eine Kombinationsbehandlung mit elektrischer Tiefenwärme, manuellen Ausstreichungen und radialer Stoßwelle zur Auflösung, Verteilung und Resorption des koagulierten Blutes bewährt.

CAVE: Die Entstehung eines punktionswürdigen ­Seroms/Verhalts sollte vom behandelnden Arzt oder Ärztin in der frühen Phase engmaschig mittels ­Sonografie oder MRT (wenn das Verletzungsareal mit dem Ultraschall nicht einsehbar ist) kontrolliert werden. Hier können auch Vorstufen zu Kalzifikationen/Ossifikationen früh erkannt werden [9].

Stoßwellentherapie

Die Stoßwellentherapie bei Muskelverletzungen hat sich in den meisten professionellen Sport­arten mittlerweile als fester Bestandteil des ­Therapieregimes etabliert und auch die Literatur belegt gute bis sehr gute Ergebnisse. Diskutiert wird jedoch, ab wann mit einer radialen oder ­fokussierten Stoßwellentherapie (extrakorporale Stoßwellentherapie = ESWT) im Verletzungsareal gearbeitet werden kann/soll. Neuere Studien legen nahe, dass ein Einsatz der ESWT bereits sehr früh im Heilungsverlauf einen positiven Effekt haben kann und z. B. das Einwandern von Progenitorzellen sowie das Ausschütten heilungsfördernder Botenstoffe verstärken kann [10]. Bedacht werden sollte, dass es sich bei der ESWT um eine hochenergetische mechanische Exposition des Muskelgewebes handelt, die bei zu intensiver und früher Anwendung neben  starken Schmerzen auch eine Gewebsschädigung hervorrufen kann. Beginn und Intensität der Behandlung sollte deshalb mit der konkreten Verletzung und dem Empfinden des Patienten oder der Patientin abgestimmt werden.

Tipp aus der Praxis

Neben dem tastbaren Lokalbefund und dem subjektiven Empfinden des Athleten oder der Athletin sollte stets eine objektivierbare Überprüfung des Heilungsfortschritts mittels Sonografie und/oder MRT zu den kritischen Zeitpunkten (z. B. nach der Akutphase und vor dem Beginn von high-speed Running bzw. Sprints) durchgeführt werden. Die Schmerzen v. a. bei geringeren Belastungsumfängen zeigen noch keine vollständige Heilung der Verletzung an. Bei zu früher Belastung drohen zudem Rezidive.

Sekundärprophylaxe

Einer der größten Risikofaktoren für die Entstehung einer Muskelverletzung sind vorangegangene Muskel­verletzungen, selbst wenn diese andere ­Muskelgruppen betreffen [11]. Die Gründe hierfür sind vielfältig, z. B. mangelnde Fitness oder Koordination, Fehlinnervation, nachteilige Bewegungsmuster, Defizite in der muskuloskelettalen Statik und Störungen in funktionellen Ketten.

Daher ist es ratsam, bei einer Muskelverletzung nach den möglicherweise zugrunde liegenden Ursachen zu suchen und diese zu adressieren, um weitere Verletzungen zu vermeiden.

Da manche Ursachen, z. B. muskuläre Ungleichgewichte oder muskuläre Verkürzungen, aufgrund des mitteleuropäischen Lebensstils sehr häufig sind, konnten Übungen identifiziert werden, die auch ohne vorherige Funktionsprüfung einen statistisch belegbaren Nutzen zeigen, z. B. exzentrische Kräftigungsübungen wie die Nordic-Hamstring-Exercise [11] oder ein Agility-Training [12].

Generell sollten solche Übungen vor allem im ­Leistungssport so weit wie möglich nach einer funktionellen Untersuchung ausgesucht und in Ergänzung zu spezifischen Maßnahmen wie Dehnungs- und Beweglichkeitsübungen, manueller Therapie sowie Korrektur der Statik durch gezielte Kräftigungs- und Mobilisationsübungen und/oder Hilfsmittelversorgung, z. B. Schuheinlagen oder -zurichtungen, Orthesen oder Tapes, erfolgen.

Korrespondierender Autor

Dr. med. Ralf Doyscher
Borussia VFL 1900
Mönchengladbach GmbH, Lizenzabteilung, Mönchengladbach

praxis@dr-doyscher.de

  1. Ekstrand J et al., Br J Sports Med 2011; 45: 553–8
  2. Mueller-Wohlfahrt HW et al., Br J Sports Med 2013; 47: 342–50
  3. Ueblacker P et al., J Sports Sci 2016; 34: 2329–37
  4. Askling Cm TM et al., Am J Sports Med 2007; 35: 1716–24
  5. Pollock N JS et al.,  Br J Sports Med 2014; 48: 1347–51
  6. Prakash A et al., Br J Sports Med 2018; 52: 929–33
  7. Doyscher RS et al., Expertenkonsens 2022 zur Einteilung, Diagnostik, Therapie und Prognose von Muskelverletzungen im Sport. In: VSOU. Baden-Baden 2023
  8. Hotfiel TMW et al., Ultrasound Med Biol 2021; 47: 1269–78
  9. Connell DA et al., AJR Am J Roentgenol 2004; 183: 975–84
  10. Crupnik J SS et al., J Orthop Surg Res 2019; 23: 234
  11. Al Attar WS et al., Sports Med 2017; 47: 907–16
  12. Pas HI et al., Br J Sports Med 2015; 49: 1197–205
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