Seit Beginn der spezifischen Immuntherapie (SIT) vor gut 100 Jahren wurde die SIT konsequent weiterentwickelt, sodass heute immer besser charakterisierte und standardisierte Extrakte zur subkutanen und auch sublingualen Anwendung zur Verfügung stehen.
Antihistaminika stehen zur Therapie der allergischen Rhinokonjunktivitis zur Verfügung, topische und systemische Kortikosteroide, wobei auch Leukotrienrezeptorantagonisten sowohl bei allergischer Rhinitis als auch bei allergischem Asthma eingesetzt werden können. Die genannten Medikamente wirken aber nur symptomatisch und sind nicht kurativ. Bei Vergleich der Wirksamkeit der symptomatischen Therapie mit der spezifischen subkutanen Immuntherapie (SCIT) ist Letztere bereits im ersten Jahr nach der Therapieeinleitung überlegen. Darüber hinaus gewährleistet die spezifische Immuntherapie die dauerhafte Beeinflussung der allergischen Erkrankung, durch gezielte Beeinflussung des Immunsystems in Richtung spezifischer, dauerhafter Toleranz gegenüber individuellen Allergenen.
Bis vor einigen Jahren wurde als wesentliches Wirkmodell einer SIT die Induktion „blockierender“ IgG-Antikörper postuliert. Heute wird das Modell einer Regulation der allergenspezifischen Immunantwort durch regulatorische und andere T-Zellen favorisiert. Abhängig von der Allergendosis entwickelt das Immunsystem entweder Toleranz oder Überempfindlichkeit im Sinne einer Sensibilisierung. Niedrige Allergenmengen aktivieren Th2-Zellen, die über Interleukin(IL)-5 Eosinophile stimulieren und über IL-4 und IL-13 die Umwandlung von B-Zellen in IgE-Antikörper-produzierende Plasmazellen induzieren. Unter hohen Allergendosen, z. B. während einer SIT, werden allergenspezifische regulatorische T-Zellen induziert, die eine Th1 dominierte Immunantwort auslösen und zur Synthese spezifischer IgG4-Antikörper führen. Nach einer SIT können solche Antikörper als IgE-Bindung-blockierender Faktor über Jahre im Serum von Patienten nachgewiesen werden. Der exakte Wirkmechanismus der SIT ist allerdings noch nicht abschließend aufgeklärt.
Die klinische Wirksamkeit der SIT hängt von der verabreichten Dosis ab. In vielen klinischen Studien zeigte sich eine Dosis-Wirkungs-Beziehung der SIT. Für einen Milbenextrakt konnte gezeigt werden, dass während der Erhaltungsphase mit einer Allergenmenge, die 7 µg Der p 1 pro Injektion enthielt, ein guter klinischer Effekt zu erzielen war; mit 21 µg Der p 1 pro Injektion war der Effekt nicht deutlich zu steigern, es traten aber mehr unerwünschte Nebenwirkungen auf. Eine Dosis von 0,7 µg Der p 1 pro Injektion hatte keinen über das Placeboniveau hinausgehenden Effekt.
In einer sublingualen Studie mit einem Gräserpollenextrakt lag die Wirkung einer täglichen Allergenmenge, die ~8 µg Gruppe-5-Allergene enthielt, im Bereich von Placebo; der maximale Effekt wurde mit der dreifachen Menge (25 µg täglich) erreicht, die Steigerung auf die insgesamt fünffache Menge (42 µg täglich) hatte keinen zusätzlichen Nutzen.
Diese Untersuchungen legen nahe, dass sich optimale Allergendosierungen sowohl für die subkutane als auch für die sublinguale Immuntherapie definieren lassen; die klinische Wirksamkeit der Therapie bis zu dieser Dosierung ist mit einer steigenden Wirksamkeit verbunden, durch Steigerung über diese Dosis hinaus kann der klinische Effekt nicht weiter verbessert werden.
Aktuell wird die Charakterisierung von Allergenextrakten in einer Technischen Leitlinie „Guideline on allergen products: production and quality issues“ des Committee for Medicinal Products for Human Use (chmp) reglementiert. Die Überprüfung der klinischen Wirksamkeit von Allergenextrakten ist in der klinischen Leitlinie „Guideline on the clinical development of products for specific immunotherapy for the treatment of allergic diseases“ des CHMP geregelt. In Deutschland wurden aufgrund des § 35 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 sowie des § 80 Abs. 1 Nr. 1 und 2 des Arzneimittelgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes auf die Therapieallergene ausgedehnt, die für einzelne Personen aufgrund einer Rezeptur aus vorgefertigten Gebinden hergestellt werden und eines der folgenden Allergene enthalten: Spezies aus der Familie Poaceae außer Poa mays (Süßgräser außer Mais), Betula sp. (Arten der Gattung Birke), Alnus sp. (Arten der Gattung Erle), Corylus sp. (Arten der Gattung Hasel), Dermatophagoides sp. (Arten der Gattung Hausstaubmilbe), Bienengift und Wespengift. Für Allergene aus anderen Quellen ist eine staatliche Chargenprüfung verpflichtend. Die am 7. November 2008 in Kraft getretene Therapieallergene-Verordnung (TAV) hat den deutschen Markt für Therapieallergene erheblich verändert. Nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) waren früher mehr als 6.000 verschiedene Allergenmischungen als Individualrezepturen erhältlich, von denen der größte Teil jetzt vom Markt verschwunden ist. Auf dem Markt befinden sich jetzt zugelassene oder im Zulassungsverfahren befindliche Präparate. Das Niveau heutiger Zulassungsstudien entspricht im Wesentlichen den Anforderungen, die für andere Arzneimittel gelten. Im Einzelnen werden für die rechtliche Zulassung Daten zur Produktqualität, zur Dosis-Wirkungs-Beziehung, zur Wirksamkeit während der Therapie und zu Langzeiteffekten gefordert, und zwar bei Erwachsenen und Kindern. Insbesondere die Forderung, mehrjährige doppelblinde, placebokontrollierte Studien an Kindern durchzuführen, wird wegen der ethischen Problematik der Placebobehandlung kontrovers diskutiert. Doppelblinde, placebokontrollierte Studien über eine Dauer von drei bis fünf Jahren erscheinen in Anbetracht der bereits gezeigten sekundärpräventiven Effekte kaum vertretbar.
Infolge des Inkrafttretens der TAV werden zunehmend Ergebnisse großer Studien zur Wirksamkeit der SIT mit Allergenextrakten publiziert. Die in früheren Studien nachgewiesenen klinischen Effekte sind mit den Ergebnissen neuerer Studien nicht vergleichbar. Früher wurden in der Regel Daten aus der per-protocol(PP)-Population verwertet, während heute eine intention-
to-treat(ITT)-Auswertung als Standard gilt, in die die Daten aller Patienten eingehen, die in die Studie aufgenommen wurden. Während in älteren Studien damit eher der tatsächliche Effekt einer optimal durchgeführten Immuntherapie gemessen worden ist, zeigen die moderneren Studien eher die Wirksamkeit einer Therapie unter realen Praxisbedingungen, und schließen z. B. auch Patienten mit einer mangelhaften Adhärenz ein. Bei der Bewertung klinischer Studien ist im Weiteren anzumerken, dass Mediane oder Mittelwerte des Zielparameters angegeben werden, was ebenfalls erhebliche Unterschiede im Studienergebnis begründen kann. Der früher geforderte mindestens 30%ige Unterschied im Symptom- und Medikationsscore zwischen Verum- und Placebogruppe dürfte unter den jetzigen Auswertungskriterien kaum mehr erreicht werden. Die Ergebnisse aktueller Studien dürfen damit nicht falsch interpretiert werden; in Erwartungen an die Wirksamkeit müssen die Auswertungsmodalitäten einbezogen werden.
Als besonders erfolgreich gilt die SIT bei Patienten mit Monosensibilisierung, bei denen die Erkrankung noch nicht lange besteht. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Therapie damit insbesondere bei Kindern und Jugendlichen in Erwägung zu ziehen. Aber auch bei Patienten mit moderater bis schwerer Symptomatik, die zu 50–80 % polysensibilisiert sind, ist die Wirksamkeit belegt. Laut Leitlinie kann mit bis zu drei Allergenextrakten gleichzeitig therapiert werden; die Auswahl richtet sich nach Ausprägung der Symptomatik, Beschwerdezeitraum, Einschränkung der Lebensqualität und Meidbarkeit der einzelnen Allergene. Zumindest zwei Allergene können am gleichen Tag verabreicht werden, wobei die Leitlinie einen Abstand von 15 Minuten zwischen den Injektionen vorschlägt, nach Beipackzettel werden in der Regel 30 Minuten empfohlen.
Eine sichere Vorhersage über das Ansprechen auf die SIT ist nicht möglich. In der Diskussion steht die Analyse von IgE-Antikörpern gegen Allergenkomponenten zur Prädiktion der Wirksamkeit. Dabei wird die Behandlung empfohlen, wenn eine Sensibilisierung, insbesondere gegen Major-Allergene, nachgewiesen werden kann. In prospektiven Studien ist das Konzept aber nicht ausreichend belegt.
Der Autor
Prof. Dr. med. Ludger Klimek
Präsident des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen
Zentrum für Rhinologie und Allergologie
65183 Wiesbaden
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