Nach der WHI-Studie 2003 fiel die Zahl der Frauen, die eine Hormonersatztherapie (HRT) anwenden, von rund 25 % auf unter 5 % – weil auch viele Frauenärzte verunsichert waren. Dutzende Studien in mehr als 15 Jahren machten die HRT wieder salonfähig, ehe eine Metaanalyse im Lancet 2019 für neues mediales Störfeuer sorgte. Für Frauenärzte heißt es daher: informieren, informieren und nochmal informieren.
Viele Frauen sind während der Menopause mit allerlei Symptomen konfrontiert: Hitzewallungen, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Erschöpfungszustände, Scheidentrockenheit und depressive Verstimmungen, um nur die wichtigsten zu nennen. Die betroffenen Frauen kennen den hormonellen Hintergrund dieser Veränderungen und viele wissen auch, dass eine HRT die wirksamste Behandlungsform vasomotorischer Symptome (Leitsymptom Hitzewallungen) und vieler anderer Beschwerden ist. Sie sind aber aufgrund vieler Berichte in Medien und auf Social Media-Plattformen völlig verunsichert, was den Beginn einer Hormonersatztherapie betrifft.
Mehr als 100 Studien haben seit 2002 die WHI-Studie erweitert und kommentiert. 2016 räumten die Autoren die Fehlinterpretation ihrer Daten ein und die HRT wurde wieder salonfähig. Nach 18 Jahren Beobachtungszeit war die Mortalität bei den behandelten Patientinnen weder durch kardiovaskuläre Ereignisse noch durch Karzinome erhöht. Vergangenes Jahr dann wieder eine Kehrtwende, weil eine hochrangig publizierte Metaanalyse doch erhöhte Risiken postulierte. Die Verunsicherung war zurück. Auf Seite der Patientinnen ist die Brustkrebsgefahr sicher der wichtigste „Therapiekiller“. Aufgrund der Berichterstattung – nicht nur in der Regenbogenpresse, sondern auch in Zeitungen und Zeitschriften, die man eher dem seriösen Lager zuordnet – kommen viele Frauen mit der Meinung „Hormone sind Teufelszeug“ in die Praxis. Sie sind Argumenten gegenüber aber in der Regel zugänglich. Kommt das Brustkrebsrisiko zur Sprache, sollte der Fokus auf den Fakten liegen: Eine kombinierte HRT kann das Mammakarzinomrisiko erhöhen, dieses Risiko steigt mit der Dauer der Anwendung. Die Lifestyle-Risiken vieler Patientinnen, Übergewicht, Fehlernährung, Bewegungsmangel, Alkohol und Rauchen, haben de facto aber einen wesentlich größeren Einfluss auf das Mammakarzinomrisiko als eine HRT. Auch die S3-Leitlinie „Peri- und Postmenopause – Diagnostik und Interventionen“ vom Januar 2020 urteilt dazu nach aktueller Datenlage: „Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine HRT mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko verbunden sein kann. Die Risikoerhöhung ist allerdings gering und muss aber in die Nutzen-Risiko-Bewertung bei der Behandlung klimakterischer Symptome mit einer HRT einbezogen werden.“
Das relative Risiko für eine Thromboembolie ist abhängig vom Grundrisiko der Patientin. Dazu schreibt die Leitlinie: „Estrogene und Gestagene haben thrombogene Effekte, die sowohl dosisabhängig sind als auch substanzspezifisch und entsprechend dem Zuführungsmodus variieren. Sie sind zu Therapiebeginn am stärksten ausgeprägt und bei erhöhtem Basisrisiko absolut größer als bei Frauen mit geringem Ausgangsrisiko. Die höchsten vaskulären Risiken einer oralen HRT sind venöse Thrombosen und Thromboembolien. Sie verdoppeln sich durch HRT um etwa zwei Fälle pro 1.000 behandelte Frauen pro Jahr.“ Auch hier sind die Lifestyle-Risiken in den meisten Fällen wesentlich höher. Ist die Patientin in Bezug auf eine Hormontherapie ambivalent, sollte man ihr auf jeden Fall Bedenkzeit lassen und eine Entscheidung auf einen Folgetermin in ca. sechs Wochen verschieben. Da sich die Patientinnen in der Zwischenzeit auch bei Dr. Google informieren, ist es sinnvoll, ihnen Informationsmaterial mitzugeben und sie explizit auf die teilweise unsachliche und emotionale Diskussion im Internet hinzuweisen.
Für die Einordnung der Beschwerden und zur Erfolgskontrolle steht mit der Menopause Rating Scale (MRS) II ein einfaches und bewährtes Instrument zur Verfügung, das ein individuelles Profil jeder Patientin liefert. Dabei wird in elf verschiedene Beschwerdebilder unterschieden: „keine Beschwerden“ über „sehr leichte“, „leichte“, „mittlere“, „starke“ bis „sehr starke“ und den Punktwerten null bis fünf. Ist unklar, ob die Symptome tatsächlich hormonell bedingt sind – etwa bei hysterektomierten Patientinnen –, kann die Bestimmung von Estradiol und FSH im Serum empfehlenswert sein. Grundsätzlich gilt bei der Applikation von Hormonen die Maxime, so wenig Wirkstoff wie möglich und so viel wie nötig an den gewünschten Wirkort zu transportieren. Durch die vergleichsweise hohe Permeabilität der Haut für 17-ß-Estradiol ist das Erreichen therapeutisch relevanter Plasmaspiegel auch transdermal möglich. Die Leitlinie hält dazu fest: „Bei niedrig dosierter transdermaler Therapie wurden vermutlich aufgrund fehlender Anflutung höherer Estrogenmengen in der Leber keine Hinweise auf ein erhöhtes Thromboembolierisiko ermittelt.“ Ein Spray ist darüber hinaus mit ein bis drei Sprühstößen individuell dosierbar – angepasst nach Stärke der Beschwerden und BMI. Ein wichtiger Aspekt bei der Ausrichtung der HRT ist die Lebensphase der Patientin. Bei nicht hysterektomierten Patientinnen muss eine systemische Estrogentherapie mit einer ausreichend langen Gabe von Gestagenen kombiniert werden. Nach derzeitiger Datenlage dürfte eine Endometriumprotektion auch durch ein LNG-IUS erreicht werden. Für die tägliche Praxis heißt das Fazit: Früher Behandlungsbeginn und individuelle Therapie sind State of the Art. Das „Window of Opportunity“ liegt eindeutig zu Beginn der Menopause – und das gilt es zu nutzen.
Informieren gegen die Hormonangst: Material für Patientinnen kann kostenlos angefordert werden: service@gedeonrichter.de
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Bericht/Konzept/Redaktion: Dr. Reinhard Merz
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Mit freundlicher Unterstützung der Gedeon Richter Pharma GmbH (Köln)