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Sonderredaktion

Kombinierte orale Kontrazeption

Wer ist der Übeltäter bei der oralen Kontrazeption?

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

Welche Kontrazeptionsmethode verbindet die höchstmögliche Wirksamkeit mit der höchstmöglichen Sicherheit und das bei höchstmöglichem Komfort in der individuellen Situation? Hinsichtlich der kombinierten oralen Kontrazeptiva lohnt sich dabei ein vergleichender Blick auf die verschiedenen Estrogene und Gestagene.

Wirksamkeit und Sicherheit sind die Hauptaspekte bei der Anwendung eines Kontrazeptivums. Die Bewertung des Wirksamkeitsprofils erfolgt über den Pearl-Index (PI). Als sicher gelten Methoden, deren PI unter 1 liegt. Neben den operativen Verfahren der Sterilisation von Frau oder Mann – aufgrund ihrer Endgültigkeit erst nach abgeschlossener Familienplanung realistisch – erreicht man das nur mit hormonellen Ansätzen. Die im Pearl-Index errechnete Wirksamkeit ist bei den kombinierten oralen Kontrazeptiva (KOK) mit bis zu 0,1 die zuverlässigste überhaupt, weshalb sich die Frage aufdrängt, warum immer weniger Frauen diese Methode verwenden? Das liegt in erster Linie an der Hormonphobie, die in den vergangenen Jahren in Deutschland unterwegs ist, befeuert von Zeitschriften, Fernsehen und sozialen Medien. Und die betrifft nicht die Wirksamkeit, sondern die Sicherheit. Venöse Thromboembolien sind eine seit Langem bekannte, seltene Nebenwirkung bei der Anwendung von KOK.

Die thrombotische Verunreinigung

Die Estrogenkomponente ist für die kontrazeptive Wirksamkeit verzichtbar – was ja nicht zuletzt der gute Pearl-Index der Gestagen-only Pills belegt. Das Ethinylestradiol fand seinen Weg in das hormonelle Verhütungskonzept auch nicht als wertvolle Ergänzung des jeweiligen Progestins. Als Carl Djerassi und sein Team mit den ersten hormonellen Kontrazeptionsmethoden experimentierten, war das synthetische Gestagen Norethynodrel im Einsatz. Es wirkte sehr gut kontrazeptiv, führte aber zu einer hohen Zahl an thrombotischen Erkrankungen. Man vermutete eine Verunreinigung und fand sie schließlich in Form von Mestranol, dem Prodrug von Ethinylestradiol (Abb. 1). Nachdem man die Verunreinigung heraus extrahiert hatte, verhüteten die neuen Chargen Norethynodrel noch genauso gut – aber die Zyklusstabilität war weg. Schließlich fügte man wieder definierte Mengen des Estrogens zu, um die Zyklusstabilität zu gewährleisten.

Die Gestagenkomponente ist auch beim Thromboserisiko nicht das Problem. In den „Medical Eligibility Criteria for Contraceptive Use“ der WHO ist wissenschaftlich fundiert hinterlegt, dass von allen aktuellen Gestagen-only-Methoden kein erhöhtes Risiko für Erkrankungen aus dem thromboembolischen Formenkreis zu erwarten ist [1]. Eine auf dem nationalen dänischen Register basierende Kohortenstudie mit Frauen zwischen 15 und 49 Jahren ermittelte nach Auswertung von 8 Millionen Frauenjahren mit etwa 4 000 venösen Thromboembolien (VTE) ein relatives Thromboserisiko ohne hormonelle Therapie von 3,7 VTE/10 000 Frauenjahre [2]. Bei einer Gestagenmonotherapie mit Norethisteron wurde die VTE-Rate mit 2,0, bei Desogestrel-Monotherapie mit 2,1 und bei Levonorgestrel-IUS mit 3,5 VTE/10 000 Frauenjahre angegeben.

Bei KOK lag das VTE-Risiko bei demselben Gestagen je nach der Dosis des Estrogens unterschiedlich hoch. So betrug die Inzidenz bei der Kombination von 20 µg Ethinylestradiol (EE) plus Desogestrel oder Gestoden 6,8 VTE/10 000 Frauenjahre, bei Kombination von 30–40 µg EE plus Desogestrel aber 11,8 und 30–40 µg EE plus Gestoden 11,0 VTE/10 000 Frauenjahre. Am höchsten waren die VTE-Inzidenzen bei den KOK mit hoch dosiertem EE (50 µg) kombiniert mit Norethisteron (16,1/10 000 Frauenjahre) oder Levonorgestrel (13,1/10 000 Frauenjahre). Gerinnungsphysiologisch hat die KOK keine direkte Wirkung auf die Gerinnungskaskade, bewirkt aber eine Veränderung in der Konzentration und Funktion der prokoagulatorischen und fibrinolytischen Gerinnungsfaktoren [3]. Diese Veränderungen werden vor allem durch Ethinylestradiol vermittelt, indem estrogensensitive, hepatisch synthetisierte Proteine beeinflusst werden. Dabei zeigt sich eine Erhöhung von Fibrinogen, Faktor VII und anderen Faktoren

Problematische APC-Resistenz

Vor allem induziert EE eine reversible APC-Resistenz (aktivierte Protein-C-Resistenz). Protein C hat normalerweise in der Gerinnungskaskade die Aufgabe, gemeinsam mit dem Kofaktor Protein S eine überschießende Gerinnungsreaktion zu verhindern. Durch die Resistenz wird der aktivierte Gerinnungsfaktor V deutlich schlechter abgebaut, es besteht also eine erhöhte Thromboseneigung [4]. Die sukzessive Reduktion des EE-Anteils führte dazu, dass die Stimulation von Gerinnungsfaktoren und die erworbene APC-Resistenz als Hauptgründe für thromboembolische Ereignisse zurückgedrängt werden. So ließ sich über die Jahre eine deutliche Verringerung entsprechender Krankheitsbilder realisieren.

Modulierendes Progestin

Das Risiko der Estrogenkomponente ist aber nicht nur dosisabhängig, der Effekt kann zudem durch das verwendete Progestin verstärkt oder abgeschwächt werden. Aus der Antagonisierungskapazität erklärt sich die theoretische Überlegenheit von Levonorgestrel (und in der Folge auch anderer, moder­ner Progestine wie Dienogest und Nomegestrol­acetat) [5]. Um die hohe hepatische Wirkung von EE zu reduzieren, hat man versucht, orale Kontrazeptiva mit Alternativen zu Ethinylestradiol zu entwickeln. ­Experimentiert wurde vor allem mit den seit den 1930er-Jahren bekannten natürlichen Estrogenen ­Estron (E1, Estriol (E3) und Estradiol (E2) (Abb. 1). Versuche mit Estradiol vor mehr als zehn Jahren scheiterten an einer schlechten Zykluskontrolle, da Estradiol im Vergleich zu EE im Endometrium weitaus schneller abgebaut wird. Das führte zu einer erhöhten Zwischenblutungsrate. Andere Präparate zeigten gute Ergebnisse bei den Zwischenblutungsraten, vergleichbar mit der eines niedrig dosierten KOK mit 20 µg und hoher kontrazeptiver Effektivität – erforderten zum Teil aber ein komplexes Dosierungsschema.

Neuer Ansatz mit Estetrol

Eine neue Entwicklung ist der Einsatz von Estetrol (E4) als Estrogenkomponente. Dieses natürliche Estrogen wird während der Schwangerschaft von der Leber des Feten produziert und ist 18-mal ­weniger potent als EE. E4 entfaltet seine estro­genen Effekte vorwiegend über die Estrogenrezeptoren  α(ERα) mit agonistischen Wirkungen an ­Uterus, Vagina, Knochen und Gehirn sowie antagonistischen Effekten an den Ovarien (Abb. 2). Die lange Halbwertszeit des Moleküls führt zu einer hohen Bioverfügbarkeit nach oraler Aufnahme, was eine tägliche Einmalgabe ermöglicht. Im Gegensatz zu Ethinylestradiol und Estradiol wird E4 nicht in aktive Estrogenmetabolite verstoff­wechselt. Vielmehr wird E4 über Glukuronidierung und Sulfonierung inaktiviert und hauptsächlich über den Urin ausgeschieden. E4 hat nur einen ­geringen Einfluss auf den Stoffwechsel der Leber und besitzt kein relevantes Interaktionspotenzial. Metabolisch verhält es sich weitgehend neutral. Ein Kombinationspräparat mit Drospirenon als ­Gestagenkomponente (E4/DRSP) ist seit Anfang Juni unter dem Namen Drovelis® verfügbar. Untersuchungen der Hämostaseparameter über sechs Monate zeigen meist ähnliche Änderungen für E4/DRSP und EE/LNG, die beide weniger thrombogen als EE/DRSP sind [6,7]. Im Endeffekt sind die ­Effekte niedriger mit E4 als mit den EE-Präparaten und dort wiederum geringer bei Kombination mit LNG als mit DRSP. Bezüglich der SHBG-Steigerung hatte das Präparat mit E4 die niedrigste Wirkung, gefolgt von der EE-Kombination mit LNG und DRSP.

FAZIT:

Estetrol (E4) besitzt besondere pharmakologische Eigenschaften, die es deutlich von anderen Estrogenen unterscheidet. Dazu gehört  das weit­gehend neutrale Verhalten gegenüber Leber­funktion und Metabolismus. E4 beeinflusst das Cytochrom-P450-System und die ­Hämostase kaum, auch Triglyceride und Nüchternglucose­spiegel werden nur gering beeinflusst. Somit ist Estetrol eine gute Option für Frauen, die im Zuge der oralen Kontrazeption effektiv verhüten möchten, ohne auf den Estrogeneffekt für ein günstiges Blutungsmuster zu ­verzichten.

1 World Health Organization (Hrsg.): Medical Eligibility Criteria for Contraceptive Use, 5th ed, Geneva 2015
2 Lidegaard Ø et al., BMJ 2011; 343: d6423
3 Committee on Gynecologic Practice, Committee Opinion Number 540: Obstet Gynecol 2012; 120: 1239–1242
4 Birkhäuser M et al., J Gynecol Endokrinol 2011; 21: 17–25
5 Tchaikovski SN et al., Thromb Res 2010; 126: 5–11
6 Douxfils J et al., Contraception 2020; 102: 396–402
7 Kluft C et al., Contraception 2017; 95: 140–147

HIER geht es zu den Pflichttexten.

Impressum
Redaktion und Konzept: Dr. rer. nat. Reinhard Merz
MiM Verlagsgesellschaft mbH (Neu-Isenburg)
Mit freundlicher Unterstützung der Gedeon Richter Pharma GmbH (Köln)

Bildnachweis: Pikovit44 (iStockphoto)

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