Die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) ist eine seltene, erworbene, chronische Erkrankung der Hämatopoese. Die PNH-Zellen sind besonders empfindlich gegenüber einem Angriff des Komplementsystems. Die zielgerichtete, krankheitsmodifizierende Komplementinhibition konnte die hohe Morbidität und Mortalität der PNH erheblich verbessern.
Der PNH liegt eine Expansion von hämatopoetischen Stammzellen mit einer erworbenen Mutation in einem Gen der Synthese des Glycosylphosphatidylinositol(GPI)-Ankers zugrunde (meist PIGA-Gen) [1]. Auf der Oberfläche der betroffenen Blutzellen („PNH-Klon“) fehlen auch 2 zentrale Regulatoren des Komplementsystems: CD59 als Inhibitor des terminalen Membranangriffs-Komplexes (MAK) und CD55 als Regulator der C3-Konvertase.
Die PNH ist durch eine intravasale Hämolyse (IVH), Thrombosen, Organschäden und eine hämatopoetische Insuffizienz charakterisiert [1]. Häufige Symptome sind Fatigue, abdominelle Schmerzen, Kopfschmerzen, Dyspnoe, erektile Dysfunktion und Hämoglobinurie [2,3].
Vor Einführung der zielgerichteten Komplementinhibition betrug das mittlere Überleben nur 10 bis 22 Jahre [4,5]. Thromboembolische Komplikationen sind die Haupttodesursache der unbehandelten PNH [5].
Eculizumab und Ravulizumab: zielgerichtete Inhibitoren des Komplementfaktors C5
Eculizumab hemmt die Spaltung von C5 und damit die Bildung des MAK. Der Wirkstoff unterdrückt die intravasale Hämolyse und bessert Anämie, Transfusionsbedarf sowie die Lebensqualität und reduziert die Häufigkeit der Thrombosen [6]. Unter Eculizumab erreichen allerdings nur knapp 60 % der Patientinnen und Patienten einen Hb-Wert > 10 g/dl ohne Transfusionen [7,8]. Ein Mechanismus der persistierenden Anämie sind pharmakokinetische Durchbruchhämolysen, welche durch eine inkomplette C5-Blockade am Ende des 14-tägigen Infusionsintervalls von Eculizumab bedingt sind.
Eine Modifikation der Aminosäuresequenz von Eculizumab führte zu Ravulizumab, welches in der Zielstruktur und Wirkung mit Eculizumab übereinstimmt, aufgrund seiner etwa 4-fach längeren Halbwertszeit aber nur alle 8 Wochen verabreicht wird [9-11]. Damit können pharmakokinetische Durchbruchhämolysen weitgehend vermieden werden [11,12]. Die C5-Inhibition mit zunächst Eculizumab (Zulassung 2007) und zuletzt Ravulizumab (Zulassung 2019) stellte bisher den Standard in der Primärtherapie der therapiebedürftigen PNH dar [13]. Beide C5-Inhibitoren (C5i) führen zu einer weitgehenden Normalisierung der Lebenserwartung [14,15].
Extravasale Hämolyse als persistierendes Problem der terminalen Komplementinhibition
Ein erheblicher Anteil der C5i-behandelten Betroffenen hat weiterhin eine Anämie. Die C5i kompensieren zwar das Fehlen von CD59 auf PNH-Erythrozyten, aber nicht das Fehlen des C3-Regulators CD55, weshalb unter C5i eine anhaltende Aktivierung des proximalen Komplementweges abläuft, die zur Beladung der PNH-Erythrozyten mit C3-Fragmenten und deren Eliminierung durch Phagozyten führt (extravasale Hämolyse, EVH) [8].
Proximale Komplementinhibition als neue Therapieoption: Zulassungen im Jahr 2024
Daher wurden neue Komplementinhibitoren entwickelt, welche direkt C3 hemmen (Pegcetacoplan) oder noch weiter proximal durch eine Hemmung des Faktors B (Iptacopan) oder des Faktors D (Danicopan) die Bildung einer aktiven C3-Konvertase und somit die Aktivierung von C3 unterdrücken. Damit werden sowohl die EVH als auch die IVH verhindert (Tab.) [8,16].
Pegcetacoplan führte in der PEGASUS-Studie bei Erwachsenen mit PNH, welche trotz Eculizumab-Therapie eine Anämie (Hb-Wert < 10,5 g/dl) hatten, zu einem höheren Hb-Anstieg, einem geringen Transfusionsbedarf und einer Verbesserung der Lebensqualität [17,18].
Eine Monotherapie mit Iptacopan wurde bei an PNH Erkrankten mit Hb-Wert < 10 g/dl untersucht. Bei Patienten und Patientinnen mit Eculizumab-Vortherapie (APPLY-Studie) erreichten 82 % bzw. 69 % von ihnen einen Hb-Anstieg ≥ 2 g/dl bzw. auf einen Absolutwert von ≥ 12 g/dl. Bei fortgesetzter C5i-Gabe waren dies nur jeweils 2 % (p < 0,0001) [19]. Auch bei denen ohne C5i-Vorbehandlung (APPOINT-Studie) erreichten 92 % der Patientinnen und Patienten einen Hb-Anstieg ≥ 2 g/dl und eine mittlere Hb-Konzentration von 12,6 g/dl nach 12 Wochen [19].
Eine Gabe von Danicopan zusätzlich zur Standardtherapie mit C5i bei PNH-Betroffenen mit EVH führte zu einem signifikanten Hb-Anstieg (2,94 g/dl, p < 0,0001) und einer signifikanten Verbesserung der Lebensqualität (ALPHA-Studie) [20].
Behandlung der PNH – ein Paradox!
Die Komplementsensitivität verkürzt die Lebensdauer der PNH-Erythrozyten. Bei unbehandelten Erkrankten liegt ihr Anteil bei etwa 30 %, unter C5i steigt er auf etwa 60 % [6] und unter proximaler Inhibition auf etwa 90 % [17-20]. Im Gegensatz zu anderen Erkrankungen mit dem Ziel der Eradikation der pathologischen Zellen, ist der Therapieerfolg der Komplementinhibition durch eine längere Lebensdauer und damit Zunahme der PNH-Erythrozyten assoziiert. Dieses Paradox hat praktische Bedeutung: Kann die Komplementaktivierung nicht mehr blockiert werden – z. B. durch Unterbrechung/Unterdosierung der Therapie oder bei starker Komplementaktivierung durch Infektionen –, besteht aufgrund der großen Masse der komplementempfindlichen PNH-Erythrozyten das Risiko schwerwiegender Durchbruchhämolysen [8,17,21].
Neue Fragen
Die aktuellen Neuzulassungen und Indikationserweiterungen sind eine Zäsur in der PNH-Therapie. Die neuen Substanzen können den Therapieerfolg verbessern und die Therapie vereinfachen. Direkte Vergleiche der proximalen Inhibitoren sind (noch) nicht verfügbar. Die optimalen Therapiealgorithmen einschließlich sequenzieller und kombinierter Komplementinhibition müssen entwickelt werden. Die Compliance zur Sicherung einer vollständigen Komplementinhibition ohne jegliche Unterbrechung ist bei einem großen PNH-Erythrozyten-Klon sehr wichtig. Im Gegensatz zu den C5i fehlen für die proximalen Inhibitoren noch Langzeiterfahrungen. Die Vorstellung der Patienten und Patientinnen in PNH-Expertenzentren ist weiterhin ratsam – auch um den Einschluss in das PNH-Register der „International PNH-Expert-Group“ (IPIG) zu prüfen. Dieses nicht interventionelle Register ist eine wichtige Plattform, um mit „Real-World-Daten“ die vielen Fragen auch rund um die neuen Therapieoptionen zu beantworten.
Der Autor
Prof. Dr. med. Hubert Schrezenmeier
Ärztlicher Direktor
Institut für Transfusionsmedizin
Universität Ulm und Institut für Klinische Transfusionsmedizin und Immungenetik Ulm
DRK-Blutspendedienst
Baden-Württemberg – Hessen gGmbH und Universitätsklinikum Ulm