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Dermatologie

Vitiligo

Psychische Aspekte der Weißflecken-Krankheit

Dr. phil. Dipl.-Psych. Judith A. Bahmer

20.7.2023

Die Vitiligo stellt mit einer weltweiten Prävalenz von 0,5–1,0 % eine häufige dermatologische Erkrankung dar. Gängige Schönheitsideale sowie der jeweilige religiöse oder kulturelle Kontext der Betroffenen verstärken nicht selten die psychische Belastung, die durch die Sichtbarkeit der Läsionen bereits nicht unerheblich ist.

Bei der Vitiligo (lat. Leucopathia acquisita, Weißflecken-Krankheit) handelt es sich um eine chronische Autoimmunerkrankung, die auf einer progredienten, meist dauerhaften Zerstörung der Melanozyten beruht. Prädilektionsstellen sind Unterarme, Hände, Füße, der Genitalbereich sowie die Hautareale über den Gelenken. Die Erkrankung kann in jedem Lebens­alter auftreten, beginnt jedoch meist zwischen dem ersten und dritten Lebensjahrzehnt.

Ein für die depigmentierten Hautareale erhöhtes Hautkrebsrisiko ist lediglich für Menschen aus Entwicklungsländern von Bedeutung, in denen die Erkrankung weniger gut bekannt ist. Detaillierte Informationen zu diagnostischen, klinischen und therapeutischen Aspekten der Vitiligo finden sich in der AWMF-Leit­linie 013-093.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, beispielsweise dem Model Winnie Harlow, deren Pigmentstörung zum Markenzeichen avanciert ist, fühlen sich von Vitiligo Betroffene häufig stigmatisiert und von gängigen Schönheitsidealen unter Druck gesetzt. Wem die Integration der depigmentierten Hautareale in das Körperbild nicht gelingt, berichtet von Selbstabwertung, Selbstunsicherheit, Scheu, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, oder von Angst, abge­lehnt zu werden. Die ständige Beschäftigung mit der Wirkung auf andere kann sich bis zur Sozialphobie steigern und das Wohlbefinden massiv einschränken.

Die oft schwerwiegenden psychischen und psychosozialen Einschränkungen tragen, zusätzlich zu dem erhöhten Risiko für assoziierte Autoimmunerkrankungen wie der Hashimoto-Thyreoiditis und der Alopecia areata, zur Klassifikation der Vitiligo als psychisch massiv belastende Hauterkrankung bei.

Beschränkt man sich lediglich auf den sichtbaren Teil der Erkrankung und blendet die psychischen Aspekte aus, kann dies durchaus zu einer Fehleinschätzung führen, die das Vertrauensverhältnis zwischen Betroffenen und Behandelnden empfindlich stört. Eine langfristige Compliance erscheint jedoch essenziell, umso mehr, als die oft langwierige Behandlung mit Kortikosteroid- oder Calcineurin-haltigen Cremes, mit Phototherapien (UV-B, Excimer-Laser) sowie immunsuppressiven Systemtherapeutika nicht nur zeit- und kostenintensiv, sondern auch psychisch herausfordernd ist. Bei Patienten, die beim Behandler in ruhiger Atmosphäre frei über ihre psychischen Belastungen sprechen können, gelingt die Auswahl eines vom Kosten-Nutzen-Verhältnis her adäquaten Therapieregime leichter. Gleichzeitig lassen sich Erwartungen realitätsgerecht einordnen, was mögliche Enttäuschungen auf beiden Seiten reduziert.

Die psychischen Auswirkungen der Vitiligo zu kennen, ist wichtig, um gezielte Strategien für die Krankheitsbewältigung zu entwickeln und die Betroffenen auf ihrem Weg zu einem gestärkten Selbstbewusstsein, zu emotionalem Wohlbefinden und einer guten Lebensqualität zu unterstützen. Hilfestellung bieten Selbsthilfegruppen, die Vernetzung mit anderen Betroffenen über soziale Medien sowie psychologische und psychotherapeutische Angebote durch Beratungsstellen oder Praxen.

Sichtbare koerperliche Unterschiede finden immer noch nicht genug Akzeptanz

Unabhängig von wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Vitiligo lohnt sich ein Blick auf kulturelle Aspekte der Vitiligo, da religiöse und kulturelle Aspekte zusätzlich eine hohe Belastung für Betroffene darstellt. So wird die Vitiligo in Indien als Resultat von Fehlverhalten in früheren Inkarnationen gesehen, im Mittleren Osten als göttliche Strafe oder als gerechtes Stigma. In Afrika ist die Einschätzung von Vitiligo als Zeichen für Hexerei und Besessenheit weitverbreitet, Betroffene werden nicht selten grausamen Exorzismen unterzogen. Die traditionelle chinesische Medizin führt die Vitiligo auf eine Imbalance in der Körperenergie „Qi“ als Folge von Stress oder diätetischem Fehlverhalten zurück, spricht Vitiligo-Betroffenen aber zumindest mehr eigene Handlungs- und Veränderungsmöglichkeiten zu. Deutlich wird jedoch, dass Behandlungsplanung und Compliance durch religiöse und kulturelle Besonderheiten erschwert sein können.

Eine für Vitiligo-Betroffene gute Entwicklung ist die „Body-Positivity-Bewegung“ der sozialen Medien. Mit dem Leitgedanken „Jeder Körper ist schön!“ fokussiert diese Bewegung auf die Förderung eines positiven Körperbildes mit Respekt und Akzeptanz aller individueller körperlicher Eigenschaften. Dies kann körperbezogene Schamgefühle reduzieren und das Selbstvertrauen, unabhängig vom äußeren Erscheinungsbild, besonders bei jungen Menschen steigern.

Personen des öffentlichen Interesses, wie das bereits genannte Fotomodel, können hier für Mädchen und junge Frauen mit Vitiligo als Identifikationsfigur und Vorbild für Krankheitsbewältigung und Integration der Erkrankung in das Selbst- und Körperbild dienen.

Die Einstellung der Menschen, sichtbare körperliche Unterschiede der Mitmenschen zu akzeptieren, Betroffene nicht mehr zu stigmatisieren und dadurch Schamgefühle hervorzurufen, verändert sich nur sehr langsam. Daher ist eine individuelle diagnostische Einschätzung durch Dermatologen zum Bedarf an zusätzlicher, psychologisch-psychosomatischer Unterstützung unabdingbar. Je nach Ergebnis der Diagnostik komorbider psychischer Störungen kommen unterschiedliche Verfahren zum Einsatz, wie Patientenschulung, körperbezogene Psychotherapie, Entspannungsverfahren, Gesprächspsycho­therapie und Training sozialer Kompetenzen im Gruppensetting. Ziel dieser multidisziplinären Bestrebungen ist es, Betroffenen mit einer kultur- und geschlechtssensiblen Haltung zu begegnen und diese beim Aufbau von Selbstakzeptanz und Selbstwirksamkeit im Umgang mit der Erkrankung zu unterstützen, damit die komplexe Navigation durch Behandlungs- und Unterstützungsangebote gelingen kann.

Die Autorin

Dipl.-Psych. Dr. Judith A. Bahmer
Psychologische Psychotherapeutin
Praxis für Psychotherapie
48145 Münster

psycheundhaut@gmail.com

Literatur bei der Autorin

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Bildnachweis: privat

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