Das maligne Melanom stellt heutzutage dank des therapeutischen Fortschritts der vergangenen Jahre längst kein Todesurteil mehr dar. Doch für viele bedeutet ein Überleben der Krebserkrankung nicht, dass das Leben wieder weitergeht wie vor der Krankheit. Hier setzen Survivorship-Maßnahmen an.
Trotz Aufklärungs- und Screeningmaßnahmen nimmt in Deutschland die Zahl der Patienten zu, die an Hautkrebs, v. a. Karzinomen und Melanomen, erkranken. In der vergangenen Dekade hat sich die Hautkrebs-Inzidenz auf etwa 240 000 Fälle verdoppelt. Davon entfallen etwa 40 000 Fälle auf das Melanom – bei einer Lebenszeitprävalenz von 2 %. Dies bedeutet, dass hierzulande einer von 50 Menschen im Laufe seines Lebens mit der Diagnose „Melanom“ konfrontiert wird.
Das Risiko, am Melanom zu versterben, hat sich im gleichen Zeitraum dagegen nicht erhöht, sondern ist deutlich gesunken. Gründe dafür sind die frühere Erkennung und die enormen Entwicklungen in der Immuno- und gezielten Therapie fortgeschrittener Melanomerkrankungen, z. B. mittels PD-1-Antikörper, BRAF- oder MEK-Inhibitoren.
Karzinomerkrankungen der Haut sind mit einer Neuerkrankungsrate von etwa 200 000 pro Jahr sehr viel häufiger als Melanome, dafür mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von beinahe 100 % prognostisch deutlich günstiger. Aufgrund dieser hohen Zahl an Neuerkrankungen sterben aber auch am Karzinom mehr als tausend Menschen jährlich. Wie beim Melanom hat auch bei Karzinomen die Inzidenz stark zugenommen, wofür v. a. die Zunahme der UV-Exposition und die gestiegene Lebenserwartung verantwortlich sind. Die medikamentöse Therapie fortgeschrittener Karzinome steckt, im Vergleich zum Melanom, noch in den Kinderschuhen.
Geheilt ist nicht gleich geheilt
Wie alle anderen malignen Tumoren gehen auch die Hautmalignome nicht nur mit einer großen physischen Belastung durch Operation, Bestrahlung, Chemo- und Immuntherapie sowie deren Langzeitfolgen einher, sondern auch mit einer jahre- oder jahrzehntelangen hohen psychischen Belastung. Bei Hautkarzinomen gelten Patienten nach 5 rezidivfreien Jahren als geheilt, bei Melanomen erst nach 10 Jahren ohne Rezidiv. „Geheilt“ bedeutet aber nur, dass kein Tumor nachweisbar ist, nicht „geheilt“ in dem Sinn, dass das Tumorleiden überstanden und auch psychisch verarbeitet ist. Die psychische Belastung beginnt bereits mit der Verdachtsdiagnose „Krebs“ und verstärkt sich, wenn sich der Verdacht dann bestätigt und das Stigma „Krebs“ für lange Zeit auf den Betroffenen lastet. Eine Patientin schilderte, dass nicht nur Diagnose und Therapie das Thema „Krebs“ wachhalten, sondern auch die Nachsorge, die jahrelangen Kontrolluntersuchungen, die das Thema „Krebs“ immer wieder wachrufen. Sie brachte das mit den Worten „Einmal Krebspatientin, immer Krebspatientin“ auf den Punkt.
Wenn die eigene Sterblichkeit bewusst wird
Die unterschwellige Präsenz der Erkrankung erzeugt Hypervigilanz und ängstliche Selbstbeobachtung. Das Vertrauen in den eigenen Körper ist erschüttert, das Leben wird zum „Über“leben, zum ewigen Kampf gegen den Krebs. Die Kulturwissenschaftlerin Susan Sonntag hat darauf hingewiesen, dass Krebs nicht wie andere Erkrankungen, z. B. eine Infektionskrankheit wie die Tuberkulose, gesehen wird, sondern als eine Krankheit, gegen die man wie gegen einen Feind kämpfen müsse. Gleichzeitig wird den Erkrankten nicht selten und unausgesprochen eine Mitschuld an ihrer Krebserkrankung unterstellt, auch wenn dies nur für einen Teil der Tumorerkrankungen gelten mag.
Krebskranke spüren plötzlich die eigene Verletzlichkeit und die eigene Endlichkeit, eine Rückkehr zum naiven Status quo vor der Erkrankung ist kaum möglich. Nach der sozialpsychologischen Terror-Management-Theorie verursacht die Mortalitätssalienz das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit, eine allumfassende existenzielle Angst. Diese kann zu einer Hinwendung an Schutz versprechende, soziale Gemeinschaften oder zu einer religiös-spirituellen Sinnsuche führen und so eine Klärung der existenziellen Frage nach dem Sinn des Lebens und eine gelassene Distanzierung von der quälenden Bedrohung hervorrufen.
Melanom-Survivor immer noch unterversorgt
Ziel der heute existierenden, interdisziplinär angelegten „Survivorship-Programme“ ist es, die große Zahl der Langzeitüberlebenden auf ihrem Weg mit der Erkrankung und deren Folgen – Ängste, Unsicherheit, Leid – therapeutisch zu begleiten. Solche strukturierten Programme existieren für Mammakarzinom- sowie Prostatakarzinom-Patienten, noch nicht jedoch für Patienten mit Hautkrebs. Derzeit werden in anspruchsvollen Studien Gesundheitsstatus, Lebensqualität und Behandlungsverläufe von Melanom-Überlebenden in verschiedenen Erkrankungsstadien dokumentiert, mit dem Ziel, auch für diese Patienten nach der onkologischen Therapie bedarfsgerechte Survivorship-Programme zu konzipieren und diese zu evaluieren. Kritisiert wird, dass es bisher weder eine flächendeckende Bedarfserhebung noch einen strukturierten Rahmen für die Analyse des psychologischen, psychosozialen, pflegerischen und medizinischen Behandlungs- und Unterstützungsbedarfs der Melanom-„Survivors“ gibt.
Was leisten Survivorship-Programme?
Strukturierte Survivorship-Programme, bisher vor allem in den USA etabliert, helfen Betroffenen dabei, einen gesunden Lebensstil zu pflegen, Stressmanagement zu erlernen und über psychotherapeutische Einzel- und Gruppentherapie belastende Themen zu bearbeiten. Sozialarbeiterische Kompetenz ist bei finanziellen oder psychosozialen Krankheitsfolgen gefragt. Da es kein Zurück zur Situation vor der Diagnose gibt, gilt es, einen Transformations- und Entwicklungsprozess hin zu einem Leben mit der Erkrankung anzustoßen. Für neu zu etablierende Survivorship-Programme wäre aus psychotherapeutischer Sicht eine existenzialpsychologische, sinnzentrierte Ausrichtung wünschenswert. Diese von Irving Yalom begründete Psychotherapieform stützt sich auf die von Viktor Frankl inaugurierte Logotherapie und deren Konzept von der Bedeutung, die der „Sinn des Lebens“ für viele Menschen hat. Als sinnsuchende Wesen sind wir in eine sinnlose Welt hineingeworfen und nach Albert Camus der „Absurdität der menschlichen Existenz“ ausgesetzt. Gelingt die Auseinandersetzung mit der metaphysischen Sinnlosigkeit und Begrenztheit des Seins, so kann deren emotionale Verarbeitung von Ernüchterung, Perspektivlosigkeit und Verzweiflung hin zur individuellen Sinngebung führen. Sinnhaft ist dabei, was für den Menschen Bedeutung hat und wofür es sich in der aktuellen Situation zu leben lohnt.
Anders als in der Psychoanalyse gibt es in der Existenzialpsychologie keine Trennung zwischen den Therapeuten und den Leidenden, sondern sie schafft eine Gemeinschaft von Leidensgenossen, deren Lebensaufgabe darin besteht, sich mit den vier „letzten Dingen“ – Tod, Freiheit, Isolation und Sinnlosigkeit des Daseins – auseinanderzusetzen. Da dies besonders erfolgreich im Rahmen von Gruppentherapie möglich ist, bietet sich diese Therapieform für die Konzeption der Survivorship-Programme an.
Aus psychologischer Sicht bedeutsam sind auch Kontrollverlust und Ohnmacht im Zuge komplexer, intensiver onkologischer Behandlungen, die das Gefühl von Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung mindern und die eigene körperliche Integrität und Identität erschüttern. Achtsamkeitsbasierte Interventionen können diese Gefühle mindern und helfen, das Gespür für den veränderten Körper zu stärken und neues Vertrauen in dessen Resilienz und Fähigkeit zu gewinnen. Bei traumaspezifischen Beschwerden wie Hyperarousal, Intrusionen oder Flashbacks ist eine traumaspezifische Einzelpsychotherapie indiziert. Eine Anbindung an Selbsthilfegruppen oder Survivorship-Programme stärken das Gefühl, mit der Erkrankung und ihren Folgen nicht alleine zu sein, und können das durch die Mortalitätssalienz geweckte Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit und Unterstützung befriedigen.
Auch Familien, Partner und Behandler brauchen Entlastung
Durch die Anbindung an Survivorship-Maßnahmen werden auch Partnerschaft und Familie entlastet, da Betroffene einen geschützten Rahmen außerhalb ihres familiären Kontextes zum Austausch auf Augenhöhe finden.
Aus einer eigenen Studie wissen wir, dass Hautärztinnen und Hautärzte oft unter Zeitdruck und während der Sprechstundenzeiten in einer ungünstigen Atmosphäre aufklären. Erschwerend kommt hinzu, dass die Aufklärung über eine möglicherweise tödliche Erkrankung eigene Ängste aktiviert – ein Faktor, der ein hohes Maß an Empathie und an Resilienz erfordert.
Die Langzeitbegleitung von Melanom-Patienten erfordert Zeit und Einfühlungsvermögen für deren individuelle Sorgen und Nöte, außerdem die Fähigkeit, den Kranken die Hoffnung auf Heilung zu vermitteln. Mit dieser Haltung wird keine falsche Hoffnung geweckt, überleben doch 9 von 10 Betroffenen ihr Melanom, eine Krebsform, die nicht nur bei Laien immer noch als Todesurteil angesehen wird. Gemeinsam mit anderen Fachärzten, mit Psychotherapeuten, Sozialarbeitern, Pflegeeinrichtungen, Sozialdiensten und mit Selbsthilfe-Institutionen könnte es niedergelassenen Dermatologinnen und Dermatologen gelingen, die Weichen so zu stellen, dass die Lebenszeit, die durch neue Therapien trotz unvermeidlicher unerwünschter Wirkungen gewonnen wird, auch lebenswerte Lebenszeit ist.
Die psychische Belastung von Melanom-Patienten endet meist nicht mit der medizinischen Heilung des Tumors. Langzeitüberlebende benötigen daher interdisziplinäre Survivorship-Programme, um mit Krankheitsfolgen wie ängstlicher Selbstbeobachtung, Depressionen und dem Bewusstsein der eigenen Verletzlichkeit nicht alleine zu bleiben. Auch die Familien und Partner der „Genesenen“ sowie die weiterbetreuenden Hausärzte würden dadurch eine enorme Entlastung erfahren – denn die Begleitung erfordert Zeit und Einfühlungsvermögen.
Die Autorin
Dipl.-Psych. Dr. Judith A. Bahmer
Psychologische Psychotherapeutin
Praxis für Psychotherapie
48145 Münster
Der Autor
Prof. Dr. med. Friedrich A. Bahmer
Dermatologe, Venerologe, Allergologe
Ehrenmitglied Mex. Dermatol. Ges. SMD
Mitglied Dtsch. Ges. f. Photographie
48161 Münster
Prof. Dr. med. Friedrich A. Bahmer ist ehemaliger Chefarzt der Hautklinik Bremen-Mitte und war zuletzt in eigener Praxis tätig. Zu seinen Schwerpunkten zählt neben tropischen Haut- und Insektenkrankheiten u. a. auch die Psychodermatologie.
Literatur bei den Autoren
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