Verhalten und Stoffwechsel einer werdenden Mutter bestimmen das Leben des Neugeborenen – nicht nur als Kind, sondern bis ins Erwachsenenleben hinein. Mit teilweise erschreckenden Folgen. Ein Plädoyer für eine „überlegte“ Schwangerschaft.
Bereits in den 1980er-Jahren interessierte mich, ob Blut- oder Urinuntersuchungen der Schwangeren Rückschlüsse auf den Zustand des Babys bei der Geburt und seine Entwicklung in der Kindheit zulassen. In Fragebögen trugen wir die wichtigsten Daten zur Schwangerschaft und aus der Vorgeschichte der werdenden Mutter ein und werteten sie mit den ersten Computern aus, damals eine mühsame und langwierige Angelegenheit.
Über 1.000 Schwangere und deren Kinder wurden bis zum Alter von vier Jahren verfolgt. Wir stellten fest, wie sich der Gesundheits- und Ernährungszustand der Mutter, ihr Rauchverhalten und andere Faktoren nicht nur auf das Geburtsgewicht des Babys auswirkten, sondern auch auf kindliche Fähigkeiten, etwa des Laufenlernens, des Sprechens oder der Infektanfälligkeit. Diabetische Mütter haben ein erhöhtes Risiko, ein übergewichtiges Baby zu bekommen. Obwohl diese Neugeborenen wohlgenährt und gesund aussehen, sind sie besonders krankheitsanfällig. Ist der Blutzucker der Schwangeren aber gut eingestellt, sind die Neugeborenen bei der Geburt normalgewichtig und entwickeln sich ungestört.
Mittlerweile kennt man auch die biochemischen Hintergründe dieses Phänomens. Das nutritive, metabolische und hormonelle Milieu, in dem sich der Fetus entwickelt, scheint sich regelrecht „einzuprägen“. Die beschriebenen Faktoren können durch epigenetische Modifikationen wie dauerhafte DNA-Promotor-Methylierungen, Histonacetylierungen u. a. Einfluss auf das Expressionsprofil nehmen.[1]
Das hat besonders nachhaltige Auswirkungen auf terminale Gewebe, d. h. solche, die im späteren Leben keine oder keine nennenswerte weitere Differenzierung aufweisen, wie v. a. das Zentralnervensystem. Dazukommt die Beeinflussung klonaler Selektionsprozesse (Abb. 1). Im Fall von Störungen dieser Prozesse können deshalb Dispositionen für Adipositas, Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, eine erhöhte Stressempfindlichkeit, kognitive Defizite, eine erhöhte Autoimmunreaktivität u. v. m. perinatal geradezu geprägt und für das gesamte spätere Leben vorprogrammiert werden.
Schon unsere Großmütter wussten: eine Schwangere soll sich nicht aufregen. Inzwischen wissen wir, dass das Baby im Mutterleib bereits auf akustische Reize reagiert, dass es träumt und fühlt und dass sich das Seelenleben der Mutter auf das Baby und seine ganze spätere Entwicklung auswirkt.
Die Hippocampus-Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HHPA) reguliert den Cortisol-Level. Ein perinataler Disstress unterschiedlichster Genese (psychosozial, infektiös, Glukokortikoidapplikation) wurde klinisch-epidemiologisch und experimentell als Risikofaktor dauerhaft erhöhter Stressvulnerabilität identifiziert.[2] Im sich entwickelnden HHPA-System kommt es zunächst zu perinatalem Hypercortisolismus, Nebennierenhypertrophie und neuronalen Dysplasien in hypothalamischen Regelzentren.[3] Zugleich werden in Genen von zentralnervös-regulierenden Neuropeptiden und Rezeptoren (z. B. Glukokortikoidrezeptor) expressionsrelevante epigenomische DNA-Methylierungsmuster induziert.[2] Konsequenz ist eine perinatal erworbene, nachfolgend persistierende zentrale Glukokortikoidresistenz.
Ähnlich verhält es sich bei der Stoffwechsellage. Etwa 30 % der Frauen im reproduktionsfähigen Alter sind übergewichtig. Übergewicht oder Gestationsdiabetes führen zur hyperkalorischen Fehlernährung des Fetus mit nachteiligen Folgen, die gleichen Langzeitwirkungen hat eine neonatale Überernährung.[4] Ein Überangebot an Glucose führt zu einer regelrechten „Glucosemast“ und manifestiert sich durch unphysiologische DNA-Methylierungsmuster, etwa im Bereich des Promotors des Insulinrezeptors mit Hyperinsulinismus beim sich entwickelnden Kind.[5] Es kann zur zentralen Resistenz gegenüber Insulin und Leptin kommen.
Vereinfacht ausgedrückt, scheinen also frühe Überernährung für Überernährung, Diabetes für Diabetes, Übergewicht für Übergewicht und Stress für Stress zu prädisponieren. Die resultierenden Fehlfunktionen sind ihrerseits wieder Pathogenesefaktoren multipler Funktionsstörungen und Erkrankungen (Abb. 2).[1] Dritte Risikoklasse ist die Exposition gegenüber infektiösen Mikroorganismen, Drogen oder „endokrine Disruptoren“, die ebenfalls den epigenetischen und mikrostrukturellen Entwicklungsprozess beeinträchtigen können.[6]
Je mehr wir vorgeburtliche Prägung lernen, desto weniger müssen wir die Gene verantwortlich machen, an denen wir ja nichts ändern können. Krankheiten für die Kinder zu verhindern heißt, den Lebensstil in (und vor) der Schwangerschaft entsprechend anzupassen. Und durch liebevolle Versorgung, vernünftige Ernährung und Erziehung nach der Geburt lassen sich viele Versäumnisse während der Schwangerschaft abmildern, da kindliches Gehirn und Stoffwechsel in den ersten Lebensmonaten noch sehr flexibel sind. Dabei ist Stillen auch in diesem Kontext die beste Ernährungsform für Neugeborene. So kann das langfristige Übergewichtsrisiko im späteren Leben des Kindes durch Stillen um etwa 30 % gesenkt werden.[7]
Prof. Ingrid Gerhard hat zusammen mit Dr. Barbara Rias-Bucher ein Buch zum Thema Ernährung in der Schwangerschaft geschrieben. Mit abwechslungsreichen Rezepten mit ausgewogenen und gut verträglichen Zutaten, die eine optimale Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen gewährleisten. Und Tipps, was die Patientinnen bei Übelkeit, Verstopfung und anderen Beschwerden beachten sollten.
Gerhard / Rias-Bucher: Richtig ernähren in Schwangerschaft und Stillzeit. Mankau-Verlag, 2. Auflage 2017, ISBN 978-3863743086, 15,95 Euro.
Die Autorin
Prof. Dr. med. Ingrid Gerhard
Albert-Überle-Straße 11
69120 Heidelberg
[1] Plagemann A, Monatsschr Kinderheilkd 2016; 164: 91–98
[2] Wu Y et al., Endocrinol 2014; 155: 1751–1762
[3] Plagemann A et al., Endocrin Regulat 1998; 32: 77–85
[4] Plagemann A et al., Best Pract Res Clin Endocrinol Metab 2012; 26: 641–653
[5] Yoo YY et al., Diabetes Care 2014; 32: 734–739
[6] Gerhard I et al., Privatarzt Gynäkologie 2019; 10(4): 44–45
[7] Harder T et al., Am J Epidemiol 2005; 162: 397–403