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Gynäkologie

Endokrinologie

PCOS und Adipositas: Ein pathophysiologisches Inferno

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

21.10.2024

Das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) ist eine der häufigsten endokrinologischen Erkrankungen bei Frauen im reproduktiven Alter. Neben den hormonellen Veränderungen ist Adipositas ein zentraler Faktor, der sowohl die Entstehung als auch die Schwere des Syndroms beeinflussen kann.

Das polyzystisches Ovarialsyndrom wurde 1935 erstmals beschrieben. Es handelt sich um ein Symp­tomkomplex, der aus Amenorrhö bis Oligomenorrhö, Adipositas und Hyperandrogenismus besteht. Er ist der Ausdruck einer vielschichtigen Funktionsstörung der Ovarien.

Die genaue Ätiologie von PCOS ist multifaktoriell, wobei genetische, endokrine und umweltbedingte Faktoren eine Rolle spielen. Eine der Hauptursachen ist eine Insulinresistenz, die unabhängig vom Körpergewicht auftritt, aber durch Adipositas signifikant verstärkt wird [1]. Die resultierende Hyperinsulinämie stimuliert die Ovarien und die Nebennieren, mehr Androgene zu produzieren, was den Hyperandrogenismus und die anovulatorischen Zyklen weiter verstärkt [2].

Adipositas als verstärkender Faktor

Über 50 % der Frauen mit PCOS sind adipös. Es ist gut dokumentiert, dass Adipositas den Schweregrad der PCOS-Symptome verschlimmern kann. Dies geschieht durch eine Vielzahl von Mechanismen, die sich überschneiden:

  • Insulinresistenz und Hyperinsulinämie: Adipositas erhöht die Insulinresistenz, wodurch die Hyper­insulinämie weiter gefördert wird. Dies verstärkt nicht nur die Androgenproduktion in den Ovarien, sondern hemmt auch die Synthese des Sexualhormon-bindenden Globulins (SHBG) in der Leber, was zu höheren Spiegeln von zirkulierendem, freiem Testosteron führt [3].
  • Entzündungsprozesse: Adipöses Gewebe produziert eine Vielzahl entzündlicher Zytokine, darunter TNF-α und IL-6, die ebenfalls zur Insulinresistenz beitragen. Diese chronische Entzündung wird als einer der Mechanismen angesehen, die das metabolische und hormonelle Ungleichgewicht bei Frauen mit PCOS und Adipositas aufrechterhalten [4].
  • Auswirkungen auf die Fertilität: Adipositas kann die anovulatorischen Zyklen bei Frauen mit PCOS weiter verstärken und somit zu einer zusätzlichen Reduktion der Fertilität führen. Studien haben gezeigt, dass eine Gewichtsreduktion von 5–10 % die ovulatorischen Zyklen und die Spontanschwangerschaftsraten bei diesen Frauen signifikant verbessern kann [5].

Diagnostik und Therapie

Die erste Deutsche Leitlinie „Diagnostik und Therapie des polyzystischen Ovarsyndroms (PCOS)“ soll Ende 2024 erscheinen. Die internationale Leitlinie von 2023 darf bis zum Erscheinen als Standard gelten [6]. Sie hält u. a. fest: Frauen mit PCOS haben ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und sollten mindestens bei der Erstdiagnose dafür gescreent werden (mittels Serum-Cholesterin, LDL [„low-density lipoprotein“], HDL [„high-density lipoprotein“]). Der AMH(Anti-Müller-Hormon)-Wert kann statt der Sonografie für die Diagnostik eines PCOS eingesetzt werden. Zur Diagnostik einer pathologischen Glucosetoleranz sollte der 75-g-OGTT (oraler Glucosetoleranztest) verwendet werden. Nur in Ausnahmefällen kann der Nüchternglucosewert oder der HbA1c statt des OGTT zur Beurteilung der Glucosetoleranzstörung verwendet werden [7].

Bereits eine moderate Gewichts­reduktion kann signifikante Verbesserungen bei vielen PCOS-Parametern bewirken.

Adipositas-Management bei PCOS

Angesichts der Auswirkungen von Adipositas auf PCOS-Symptome wird das Gewichtsmanagement als zentrale therapeutische Strategie empfohlen. Es gibt Hinweise darauf, dass bereits eine moderate Gewichtsreduktion signifikante Verbesserungen in Bezug auf den Insulinstoffwechsel, den Menstruationszyklus und die Androgenspiegel bewirken kann [8]. Insbesondere eine Kombination aus Ernährungsumstellung und regelmäßiger körperlicher Aktivität hat sich als effektiv erwiesen, um sowohl metabolische als auch reproduktive Parameter zu verbessern.

Bei stark adipösen Patientinnen, bei denen eine alleinige Lebensstiländerung nicht ausreichend ist, kann zunächst der Einsatz von Metformin erwogen werden. Metformin wirkt primär durch die Verbesserung der Insulinempfindlichkeit. Studien haben gezeigt, dass Metformin auch bei Frauen mit PCOS den Androgenspiegel senken, den Menstruationszyklus normalisieren und das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen verringern kann.

Mittlerweile sind mit Liraglutid, Semaglutid und ­Tirzepatid auch mehrere GLP-1-Rezeptorantagonisten zur Unterstützung der Änderung des Lebensstils für die Behandlung von Adipositas zugelassen [9-11]. Die Gewichtsreduktion war in den Studien vor allem auf eine Verringerung des Fettgewebes zurückzuführen und resultierte in einer Verbesserung der Körperzusammensetzung im Vergleich zu Placebo. Für alle 3 Wirkstoffe wurden darüber hinaus positive kardiometabolische Effekte beschrieben, inkl. einer Reduktion der Serumlipide, des Blutdrucks und des Taillenumfangs.

Adipositas spielt eine entscheidende Rolle in der Pathophysiologie des PCOS. Die Wechselwirkung zwischen Insulinresistenz, Hyperandrogenismus und chronischen Entzündungsprozessen führt zu einer Verschlechterung des klinischen Bildes. Eine Gewichtsreduktion, sei es durch Lebensstiländerungen oder pharmakologische Interventionen, stellt eine der wirksamsten Strategien dar, um sowohl metabolische als auch reproduktive Symptome zu lindern. Angesichts der weitreichenden Folgen von Adipositas bei PCOS-Patientinnen ist ein frühzeitiges, multidisziplinäres Management entscheidend.

  1. Lizneva D et al., Fertil Steril 2016; 106: 6–15
  2. Diamanti-Kandarakis E et al., Endocr Rev 2012; 33: 981–1030
  3. Azziz R et al., Fertil Steril 2009; 91: 456–88
  4. González F et al., Steroids 2011; 77: 300–5
  5. Haase CL et bal., Hum Reprod 2023; 38: 471–81
  6. Teede HJ et al., Fertil Steril 2023; 120: 767–93
  7. Hanke K, Gynäkologie 2024; 57: 599–605
  8. Thomson RL et al., Fertil Steril 2010; 94: 1812–6
  9. Elkind-Hirsch KE et al., Reprod Endocrinol 2022; 118: 371–81
  10. Rubino DM et al., JAMA 2022; 327: 138–50
  11. Jastreboff AM et al., N Engl J Med 2022; 387: 205–16
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