Studien zufolge ist ein niedriger Serumbicarbonat-Spiegel im Zuge einer bestehenden chronisch-metabolischen Azidose (cmA) ein deutlicher Marker für das Mortalitätsrisiko. Ob es sich dabei um einen unabhängigen Faktor handelt, untersuchten australische Forschende in einer Kohorte mit Typ-2-Diabetes (T2D) [1].
Während einige Studien darauf hinweisen, dass bei Menschen mit chronischer Nierenerkrankung (CKD) oder Bluthochduck niedrige Serumbicarbonat-Werte unabhängig von anderen prädiktiven Variablen mit der Mortalität assoziiert sind [2-4], können andere dies nicht belegen [5-7]. Ebenso erscheint nicht sicher, ob bei Vorliegen eines T2D ein niedriger Serumbicarbonat-Spiegel allein einen unabhängigen Risikofaktor für die Sterblichkeit darstellt. T2D und auch Bluthochdruck bergen nämlich per se ein erhöhtes Risiko für das Entstehen einer CKD mit daraus folgender erheblicher Reduktion der renalen Pufferleistung und der Entwicklung einer chronisch-metabolischen Azidose. Somit entsteht der gefundene signifikante Zusammenhang zwischen niedrigem Serumbicarbonat und erhöhtem Mortalitätsrisiko.
Mögliche Unsicherheiten bei der Interpretation entsprechender Studien können bedingt sein durch Unterschiede bei den Auswahlkriterien, bei der Stichprobengröße und der Verfügbarkeit von Kovariaten, also Variablen, die während der Datenerfassung allgemein nicht kontrolliert wurden. Zu diesen können auch Mortalitätsrisiken gehören, die weniger Beachtung fanden, für die man gewissermaßen blind war.
Fremantle-Diabetes-Studie, Phase II
Ziel der Studie um Chubb et al. war es nun, herauszufinden, ob bei Menschen mit T2D eine Serumbicarbonat-Konzentration unterhalb des Referenzintervalls mit der Gesamtmortalität unabhängig assoziiert ist [1]. Außerdem galt es, zu prüfen, ob Kovariaten die Beziehung zwischen Serumbicarbonat und Sterblichkeit beeinflussen. Das könnte dann gewisse Unstimmigkeiten zwischen den verschiedenen Studien klären [1]. Geeignet dafür erschien die Fremantle-Diabetes-Studie, Phase II (FDS2). Die Längsschnitt-Untersuchung ist eine die Bevölkerung der Hafenstadt Fremantle in Westaustralien einschließende prospektive Diabetesbeobachtungsstudie, die 2008 gestartet wurde. Phase I startete bereits 1993.
Chubb et al. schlossen in ihre Analyse 1 482 Personen mit T2D aus der FDS2 ein, bei denen zu Studienbeginn ein gültiges Messergebnis der Serumbicarbonat-Konzentration vorlag. Als erniedrigt galten Werte unter 22 mmol/l. Die Daten der in die Studie Eingeschlossenen wurden vom Studieneintritt bis zum Tod bzw. bis zum Ende des Jahres 2016 erfasst. Das Durchschnittsalter betrug 65 Jahre und 10 Monate, 765 (51,6 %) waren Männer und die mittlere Diabetesdauer betrug 9 Jahre.
Deutlich erhöhtes Sterberisiko
Während einer Beobachtungszeit von insgesamt 9 834 Personenjahren (6 Jahre, 36 Wochen ± 1 Jahr, 36 Wochen) starben 272 Personen (18,4 %). Das Serumbicarbonat war hier negativ mit der Gesamtmortalität assoziiert: 47 Menschen (17,3 %) von den 272, die während der Beobachtungsphase starben, hatten ein Serumbicarbonat unter 22 mmol/l. Von den 1 210 Überlebenden hatten zwar 111 auch ein erniedrigtes Bicarbonat, das sind jedoch nur 9,2 % der Überlebenden (Abb.). Der Anteil der Menschen mit erniedrigtem Bicarbonat war also unter den Überlebenden deutlich geringer als unter den Verstorbenen. Somit hatten Teilnehmende mit einem Bicarbonat-Wert unter 22 mmol/l ein fast doppelt so hohes Sterberisiko.
Klinische Bedeutung
Die Studie zeigt in den statistischen Modellen, dass eine Bicarbonat-Konzentration unter 22 mmol/l bei Personen mit Typ-2-Diabetes ein signifikanter Prädiktor für die spätere Gesamtmortalität war. Darin liegt die klinische Bedeutung dieser Ergebnisse. Ein bei einer Routineuntersuchung aufgefallenes erniedrigtes Serumbicarbonat (unter 22 mmol/l) bei T2D ist demzufolge ein grober Sterblichkeitsfaktor. Intensivere kardiometabolische Untersuchungen sollten sich anschließen, natürlich ebenso der Ausgleich der sauren Stoffwechselsituation, am besten mit magensaftresistentem Bicarbonat. Ein niedriges Serumbicarbonat ist nach Chubb et al. quasi eine Manifestation des kausalen Wegs von der eingeschränkten Nierenfunktion hin zum Tode von Menschen mit T2D und ist deshalb immer als Warnzeichen zu begreifen.
Erhöhtes Serumkreatinin und eine erniedrigte rechnerisch ermittelte eGFR (estimated Glomerular Filtration Rate) gelten inzwischen als solche Marker. Zu bedenken ist dabei jedoch, dass etwa bei Personen mit wenig Muskelmasse, also bei Gebrechlichen und Menschen nach umfangreicheren Amputationen von Gliedmaßen (wie bei Diabetes mellitus nicht selten), Laborkontrollen ein normales Serumkreatinin ausweisen können.
Das führt fälschlich zur Bewertung der Stoffwechselsituation als normal, obwohl die Nierenfunktion schon eingeschränkt sein kann. Die einfache Messung des Serumbicarbonats mittels Blutgasanalyse stellt, basierend auf der Untersuchung von Chubb et al., ebenfalls einen soliden, wenn auch nicht unabhängigen Marker für das Mortalitätsrisiko bei Typ-2-Diabetes dar [1].
Vorteile der Blutgasanalyse
Die Blutgasanalyse (BGA) liefert, schneller als die Bestimmung von Serumkreatinin mit Abschätzung der eGFR, eine sichere Aussage. Die Auswertung der Blutprobe mit einem Analysegerät dauert wenige Minuten. Somit bietet sich die BGA als patientennahe Sofortdiagnostik bei allen stationären Erkrankten an, besonders aber bei denen mit einem Diabetes mellitus. Im ambulanten Gesundheitssektor verfügen alle nephrologischen Zentren über ein Blutgasanalysegerät.
Der Autor
Dr. med. Dr. PH Herbert Stradtmann
Arzt für Innere Medizin/Nephrologie,
Hypertensiologe-DHL® und Rehabilitationswesen
Im Wölftegrund 27
34537 Bad Wildungen
Bildnachweis: privat