Etliche Studien deuten darauf hin, dass Allgemeinmediziner und -medizinerinnen in Deutschland häufiger komplementär- und alternativmedizinische (KAM) Methoden anwenden als ihre Kolleginnen und Kollegen in vielen anderen Ländern. Eine jetzt vorgelegten Studie hat länderspezifische Unterschiede untersucht, die Allgemeinmediziner und -medizinerinnen, die in Deutschland und in einem von 4 anderen europäischen Ländern in der Primärversorgung gearbeitet haben, bei komplementär- und alternativmedizinischen Behandlungsmethoden wahrgenommen haben.
Im Zuge der qualitativen Studie wurden halbstrukturierte Interviews mit 12 Allgemeinmedizinern und -medizinerinnen durchgeführt, die in Deutschland und Italien, den Niederlanden, Norwegen oder dem Vereinigten Königreich gearbeitet hatten (jeweils 3 aus jedem der 4 Länder). Die teilnehmenden Personen wurden gefragt, wie sie die länderspezifischen Unterschiede im Hinblick auf das Gesundheitssystem, die Relevanz von KAM-Methoden, die Rolle der evidenzbasierten Medizin (EBM) und Wissenschaft sowie den Umgang mit „therapeutisch unbestimmbaren Situationen“ (TUS) wahrgenommen und erlebt haben.
Alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen berichteten einstimmig, dass sie KAM in der Allgemeinmedizin in Deutschland im Vergleich zu den anderen Ländern als relevanter empfanden. Dabei wurden vier übergeordnete Themen in Bezug auf die wahrgenommenen Gründe für diese Unterschiede identifiziert.
Die Studienergebnisse weisen auf erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern hinsichtlich der Rolle von KAM in der Allgemeinmedizin hin. Unterschiede in den grundlegenden Einstellungen innerhalb der Facharztrichtung Allgemeinmedizin, den Patientenerwartungen und den Systembedingungen scheinen hierbei eine wichtige Rolle zu spielen, fasst das Forschungsteam von Technischer Universität München und der Uni Augsburg zusammen.
Linde K et al.: How does the role of complementary and alternative medicine in general practice differ between countries? Interviews with doctors who have worked both in Germany and elsewhere in Europe. BMC Complement Med Ther. 2024 Sep 3;24(1):328 (DOI doi: 10.1186/s12906-024-04624-w).