Phytotherapeutika und Tumorbehandlung – das ist ein Konzept, das sich ergänzt. So sprechen die Studiendaten beim Mammakarzinom für den Einsatz von Mistel, Ginseng und Ingwer. Was integrativ arbeitende Ärzte allerdings beachten sollten: Nehmen Patientinnen in Eigenregie Heilpflanzen ein, können diese die Anti-Tumor-Aktivität der Chemotherapie beeinflussen, beispielsweise beim Ovarialkarzinom.
Die Gesundheitswirkung von Misteln ist bekannt, seit keltische Druiden sie „mit goldenen Sicheln von den heiligen Eichen schnitten“, wie Plinius der Ältere es ausdrückte. Sehr viel später wurden die wirksamen Pflanzenteile mit Hilfe moderner Analysen bestimmt: Das Mistellektin-1, dazu Viscotoxine, Proteine, Kohlenhydrate und Flavonoide. Die Inhaltsstoffe aus den Blättern und Stengeln stimulieren immunregulierende Proteine und aktivieren Leukozyten und Makrophagen. Dass diese Biomodulatoren bei Brustkrebspatientinnen die Lebensqualität positiv beeinflussen können, zeigte ein neueres Review.[1] Darin wurden 26 randomisierte, kontrollierte Studien untersucht, die teilweise sehr gut konzipiert waren, zum Teil aber auch methodische Schwächen aufwiesen. In der Hälfte der Studien wurde Mistelextrakt eingesetzt, um eine Chemotherapie, Strahlenbehandlung oder Operation zu begleiten. Insgesamt 22 Studien wiesen auf einen Nutzen der Mistelextrakte hin, drei Studien zeigten keinen positiven Effekt und eine Studie hatte kein eindeutiges Ergebnis. Bezüglich der positiven Effekte konnte eine Verbesserung folgender Quality-of-Life(QoL)-Parameter gezeigt werden: Fatigue, Schlafqualität, Erschöpfung, Übelkeit und Appetit, ferner Depression, Arbeitsfähigkeit, Bewältigungsstrategien und Wohlbefinden. Inhomogen waren die Aussagen zur Verbesserung von Schmerz, Diarrhoe, Leistungsfähigkeit und Nebenwirkungen der konventionellen Therapie. Kurz, der Extrakt aus der Mistel (Viscum album) wirkte sich überwiegend positiv auf die Lebensqualität aus und beeinflusste die Nebenwirkungen der konventionellen Therapie. Das war nicht nur in experimentellen Studien der Fall, sondern wurde ebenso in der täglichen Routineanwendung beobachtet, so die Autoren der Übersichtsarbeit.[1]
Trinkt man viel grünen Tee, ist das Rezidivrisiko bei einem Mammakarzinom vermutlich geringer, so die vereinfachte Zusammenfassung einer Metaanalyse aus zwei Studien. Die inverse Korrelation (gepooltes RR 0,73; 95%-KI 0,56–0,96) wurde deutlich, wenn täglich mehr als drei Tassen Grüntee getrunken wurden. Das zeigte die Berechnung mit Hilfe eines Fixed-Effect-Modells.[2] Ob es allerdings auch einen Zusammenhang zwischen Grüntee und der Inzidenz von Brustkrebs gibt, bleibt wegen der heterogenen Daten unklar. Experimentelle Studien zeigten jedoch, dass hohe Konzentrationen der wirksamen Epigallocatechingallate die Karzinogenese modulieren und protektiv wirken können. In einem systematischen Review deckte man außerdem mögliche positive Interaktionen zwischen grünem Tee und Tamoxifen auf, negative Assoziationen mit Aromatasehemmern oder Fulvestrant zeigten sich nicht.[3] Damit ist grüner Tee ein interessanter Ansatz zur Rezidivprophylaxe ohne problematische Neben- oder Wechselwirkungen, so die herausgebenden Fachgesellschaften der Leitlinie „Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen“.[4]
Die tumorbedingte Fatigue ist ein Stress erzeugendes und zudem sehr aktivitätsbegrenzendes Syndrom, für das nach wie vor sichere und effektive Interventionen gesucht werden. Möchte man hier phytotherapeutisch ansetzen, kommt Ginseng in Betracht. Die Wurzel des ostasiatischen Ingwers steht sinnbildlich für eine gute Gesundheit und ein langes Leben. Dass die Ginsenosid-Wirkstoffe auch bei der Fatigue effektiv sind, wurde in einer randomisierten, doppelblinden Studie mit 364 Teilnehmern deutlich. Darin wurde die Subskala der MFSI-SF (Multidimensional Fatigue-Symptom Inventory Short-Form) als primärer Endpunkt verwendet. Nach vier Wochen Therapie hatte sich der Score unter Anwendung von Ginseng um 14,4 (SD = 27,1) im Vergleich zu den Ausgangswerten verbessert, bei Placebo um 8,2 (SD = 24,8; p = 0,07). Nach acht Wochen Behandlung trat ein statistisch signifikanter Unterschied in den Scores auf: 20 (SD = 27) unter Ginseng- und 10,3 (SD = 26,1) unter Placeboeinnahme (p = 0,003). Als vorteilhaft hatte sich eine tägliche Dosierung von 2000 mg Wisconsin-Ginseng (Panax quinquefolius) erwiesen. Patienten während der aktiven Krebsbehandlung profitierten mehr als diejeningen, bei denen die Therapie bereits abgeschlossen war. Die Toxizität, die sich durch das Auftreten von Nebenwirkungen zeigte, unterschied sich nicht signifikant zwischen den beiden Therapiearmen, sowohl in der Selbsteinschätzung als auch gemäß den Kriterien des National Cancer Institute.[5]
Patientinnen, die sich einer Chemotherapie unterziehen, erleben die Alopezie und Nausea als besonders belastend. Über 70 % von ihnen berichten über Übelkeit, obwohl der Einsatz von Antiemetika weit verbreitet ist.[6] Mit der stärksten Ausprägung hat die Mehrheit der Patientinnen am ersten Behandlungstag zu kämpfen. Bereits vor dem eigentlichen Behandlungsbeginn tritt die antizipatorische Übelkeit auf, von der 8–20 % betroffen sind. Zu dieser „erlernten“ Form des Erbrechens kommt es, wenn vorhergehende Therapiezyklen zu einer Konditionierung geführt haben. Auch patienten- und therapiespezifische Faktoren sowie Angst und negative Erwartungen spielen eine Rolle. Aus diesen Gründen ist die vorweggenommene Übelkeit nur schwer zu behandeln.[4] Es ist deshalb ratsam, vom ersten Therapiezyklus an eine antiemetische Prophylaxe anzubieten. Dazu gehören auch Aufklärung vor Behandlungsbeginn und psychologische Interventionen. Das können Verhaltenstherapie, progressive Muskelrelaxation oder kognitive Distraktion sein.
Von den Heilpflanzen her ist Ingwer von besonderem Interesse. Der tropische Wurzelstock wird in Asien seit 2500 Jahren gegen Magen-Darm-Beschwerden eingesetzt. Mittlerweile stellte sich heraus, dass das antiemetisch wirkende Gewürz bei der Reisekrankheit gute Dienste leistet.
Ingwer wirkt durch einen Antagonismus am Serotonin-Rezeptor (5-HT3). Wird dieser exzitatorische Ionenkanal im Gehirn aktiviert, kommt es zu Erbrechen. Ob der Effekt auch bei einer akuten, durch Chemotherapie induzierten Übelkeit auftritt, wurde in einer randomisierten Studie mit 576 Krebspatienten, davon 91 % Frauen, untersucht. Die Patienten erhielten am ersten Tag der Therapiezyklen ein Antiemetikum (vom Typ 5-HT3-Rezeptorantagonist) und sechs Tage lang Kapseln mit verschiedenen Dosen eines Ingwerwurzel-Flüssigextraktes (0,5 g, 1,0 g oder 1,5 g) oder Placebo über sechs Tage. Die Übelkeit wurde anhand einer 7-Punkte-Skala an den Zyklustagen eins bis vier bewertet. Wie die Mixed-Model-Analyse ergab, verringerte Ingwer in jeder Dosierung die Schwere der Nausea vom ersten Tag an signifikant, verglichen mit Placebo. Die größte Reduktion zeigte sich bei täglichen Ingwer-Dosen von 0,5 g und 1,0 g.[6] In einer kurz darauf veröffentlichten systematischen Übersichtsarbeit aus sieben Studien berichteten drei über einen positiven Effekt, zwei Studien sprachen sich unter Vorbehalt für Ingwer aus und in zwei Interventionen blieb der Einsatz von Ingwer wirkungslos.[7] In der Empfehlungssammlung der Kommission „Mamma“ der Arbeitsgemeinschaft gynäkologische Onkologie wird Ingwer als Reserveantiemetikum erwähnt.[8]
Uneinheitlich ist die Bewertung des Einsatzes von Sojaextrakten gegen Hitzewallungen. Diese Regulationsstörungen treten nach dem Ausfall der Ovarien unter einer Chemotherapie auf oder während einer endokrinen Therapie, die die Funktion der Ovarien unterdrückt. Frauen nach den Wechseljahren erfahren Hitzewallungen im Rahmen einer antiöstrogenen Therapie mit Tamoxifen. Beim hormonsensitiven Mammakarzinom ist die kausale Therapie mit Östrogenen nicht möglich, sodass nicht hormonelle Interventionen von besonderer klinischer Relevanz sind. Über die Wirkung von Soja gibt es widersprüchliche Daten, sowohl in vitro als auch in vivo. Diese weisen einerseits auf eine Wirkungsabschwächung der antihormonellen Therapie hin, in anderen Studien wurde ein Wachstum des Mammakarzinoms beschrieben. Auch die S3-Leitlinie spricht sich gegen Sojasupplemente beim Mammakarzinom aus, wegen mangelnder Wirksamkeit in drei placebokontrollierten Studien. Kritisch gesehen wird auch die Zufuhr eines phytoöstrogenhaltigen Nahrungsmittels.[9] Die tägliche Aufnahme von weniger als 100 mg Isoflavonoiden zusätzlich zu pflanzlichen Lebensmitteln schien jedoch in einer anderen Studie für Mammakarzinompatientinnen wenig bedenklich zu sein.[10]
In vielen Fällen optieren die Patientinnen selbst für eine ergänzende Phytotherapie. Das zeigte eine Befragung unter 98 Frauen mit Ovarialkarzinom, die in Israel einem komplementären, integrativen Medizinservice zugewiesen worden waren. Davon hatten 42 Frauen (43 %) während der Chemotherapie Heilpflanzen verwendet und zwar Weizengras, Viscum (album bzw. crucianum), Ingwer oder Ephedra. Ob die eingesetzten Pflanzen auch tatsächlich sicher waren, wurde mit zytotoxischen Analysen geprüft. Mit Hilfe des XTT Assays quantifizierte man die Zellproliferation in Ovarialkrebslinien, die gegenüber Cisplatin sensitiv bzw. resistent waren, sowie in embryonalen Nierenzellen. Getestet wurde auch ein möglicher Einfluss auf die Zytotoxizität von Carboplatin und Paclitaxel sowie auf die Apoptose.
Die Ergebnisse waren vielfältig: Viscum album und Ingwer zeigten eine signifikante Anti-Tumor-Aktivität bei den beiden Ovarialzelltypen. Außerdem erhöhten Ingwer und Viscum (album und cruciatum) die Chemosensitivität in beiden Krebszelllinien. Weizengras, Viscum album und Ingwer erhöhten zudem die Sensitivität von cisplatinresistenten Zellen, die mit Carboplatin und Paclitaxel behandelt wurden. Auf der anderen Seite verringerten Weizengras und Ephedra die Zytotoxizität von Carboplatin auf cisplatinsensitive Ovarialkrebszellen. Auf die embryonalen Nierenzellen übten die Pflanzen keinen Einfluss aus. Die in Eigenregie angewandten Heilpflanzen können also bei Ovarialtumoren die gegen den Tumor gerichtete Aktivität der Chemotherapie auf verschiedene Weise beeinflussen. Das sollten integrativ arbeitende Ärzte im Hinterkopf behalten, raten die Studienautoren.[11]
In diesem Zusammenhang auch interessant: Die ursprünglich aus China stammende Ephedra-Pflanze ist in Deutschland rezeptpflichtig. Das liegt am Grundstoffüberwachungsgesetz. Dieses schränkt den Verkehr mit solchen Stoffen ein, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln missbraucht werden können. Das gilt auch für Ephedra, dessen Rutenzweige Ephedrin, Pseudoephedrin, Methylephedrin und Norephedrin enthalten. So kann der Alkaloidgehalt mehr als 1 % betragen. Aus Ephedrin lässt sich in wenigen Schritten quasi am Küchentisch Methamphetamin herstellen. In den USA ist Ephedra nevadensis wiederum als Bestandteil des „Mormonentees“ bekannt, der als anregendes Getränk konsumiert wird. Ephedra-Samen sind problemlos auch im Internet erhältlich.
FAZIT
Heilpflanzen können eine Tumorbehandlung wirkungsvoll unterstützen. So beim Mammakarzinom: Hier verbessern Mistelextrakte die Lebensqualität während der Chemotherapie. Gegen Fatigue wirkt Ginseng, und zwar deutlich besser während der Behandlung als im Anschluss. Nimmt man drei Tage vor den Zyklen Ingwer ein, ist die Übelkeit am ersten Behandlungstag deutlich schwächer. Schließlich scheint der erhöhte Konsum von Grüntee invers mit dem Rezidivrisiko korreliert zu sein.
[1] Kienle GS, Kiene H: Review article, Int Can Ther 2018; 9(2): 142–157
[2] Ogunleye AA et al., Breast Cancer Res and Treat 2010; 119: 477
[3] Yiannakopoulous ECh, Eur J Cancer Prev 2014; 23(2): 84–89
[4] Leitlinienprogramm Onkologie, S3-Leitlinie Supportive Therapie, April 2017: Stand 05.11.2019
[5] Barton DL et al., J Natl Cancer Inst 2013; 105(16): 1230–1238
[6] Ryan JL et al., Support Care Cancer 2012; 20(7): 1479–1489
[7] Marx WM et al., Nutr Rev 2013; 71(4): 245–254
[8] Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie e. V.: Diagnostik und Therapie früher und fortgeschrittener Mammakarzinome. https://www.ago-online.de/fileadmin/downloads/leitlinien/mamma/2019-03/DE/Alle_aktuellen_Empfehlungen_2019.pdf, Stand 06.12.2019
[9] S3-Leitlinie Mammakarzinom Version 4.1, September 2018, Stand 05.12.2019
[10] Hanf V et al., Breast cancer (Basel) 2015; 10(3): 189–197
[11] Ben-Arye E et al., Med Oncol 2017; 34(4): 54