Nagelerkrankungen gehören zum „täglichen Brot“ in der dermatologischen Praxis. In der Differenzialdiagnostik besteht oft Unsicherheit, ob es sich eventuell um eine Wachstumsstörung handeln könnte – deren richtige Therapie zu guten Erfolgen führen, inadäquate Maßnahmen bei vermeintlicher Störung aber fatal enden kann.
„Nägel verdienen Aufmerksamkeit und Respekt“ − Dr. med. Christoph Löser, Leitender Oberarzt an der Hautklinik des Klinikums Ludwigshafen, fasste seinen Vortrag „Nagelwachstumsstörungen“ auf der FOBI 2024 in München kurz zusammen und erläuterte, worum es bei diesem Thema geht: Wichtig seien Aufmerksamkeit bei der (Differenzial-)Diagnostik und ein respektvoller, d. h. behutsamer, schonender Umgang mit Nagelerkrankungen, um für die Betroffenen wie auch die Behandelnden zufriedenstellende Ergebnisse zu erzielen. Eines der therapeutischen Ziele bei Störungen im Bereich der Nägel sei die Wiederherstellung bzw. Erhaltung des Nagels bzw. des Nagelwachstums.
Um eine echte Störung als solche zu erkennen und von vermeintlichen Wachstumsstörungen abgrenzen zu können, sei es wichtig zu wissen, wie das Nagelorgan aufgebaut ist, wie der Nagel gebildet wird und wie die Nagelplatte wächst, und dann sorgfältig zwischen echten respektive vermeintlichen Wachstumsstörungen zu unterscheiden. Entsprechend unterschiedlich gestalte sich die Therapie, erklärte der Experte.
Nagelwachstum
Geht es um Nagelerkrankungen, wird das Nagelorgan häufig mit Nagel(platte) gleichgesetzt. Um eine richtige Therapieentscheidung treffen zu können, ist es laut Löser jedoch notwendig zu unterscheiden, was tatsächlich gestört ist – die Matrix, also die Wachstumszone des Nagels, oder das Nagelbett, d. h. das Weichteilgewebe, dem die Nagelplatte aufliegt. Seinen Vortrag fokussierte der Experte auf die Nagelplatte, die kontinuierlich gebildet wird – im Sommer schneller als im Winter, am Finger schneller (ca. 6 Monate) als am Zeh (ca. 12–18 Monate) − und langsam nach vorn geschoben wird. Dabei könne es zu Störungen kommen, mit der Folge, dass entweder zu viel oder zu wenig oder etwas in die falsche Richtung wächst.
Wachstumsstörung: Echt oder vermeintlich?
Zu den häufigsten als Nagelwachstumsstörungen fehldiagnostizierten Nagelerkrankungen zählen Onychogrypose, Retronychie, Nagelbett-Tumoren und Traumata.
Ein genaueres Hinschauen auf das, was man auf den ersten Blick sieht, lohne sich immer, weil mit der richtigen Herangehensweise der Nagel oft gerettet und das ästhetische Bild wiederhergestellt werden kann, wie Löser anhand von Beispielen vermeintlicher Nagelbett-bezogener Nagelwachstumsstörungen demonstrierte.
Trauma
Löser stellte den Fall einer Patientin vor, die nach einem Hundebiss handchirurgisch behandelt worden war und danach unter einer vermeintlichen Nagelwachstumsstörung litt. Der Nagel „türmte sich“ nach oben und sie kam 2023 in die Hautklinik in Ludwigshafen. Nach einem ambulanten Eingriff mit vorsichtiger Entfernung überstehender Anteile der Nagelplatte und operativer Anfrischung des Nagelbetts konnte bis zum Sommer 2024 „ein erstaunliches Wiederwachstum erreicht werden, obwohl man vorher annahm, dass dort gar nichts mehr vernünftig wachsen würde“, zeigte Löser (Abb.). Auch ein meist gutartiger Nagelbett-Tumor, z. B. eine subunguale Exostose, ist, wie Löser erklärte, nur eine vermeintliche Wachstumsstörung, die den Nagel unter Umständen ablenkt.
Onychogrypose
Weitere Beispiele zeigten eine häufig bei älteren Menschen auftretende Nagelveränderung, bei der sich betroffene Nägel stark verdicken und oft krümmen („Ram´s horn nail“; Widderhorn-Nagel). Es handelt sich dabei jedoch einfach nur um ein abnormes Wachstum, ein „Zuviel“, jedoch nicht primär um eine Nagelwachstumsstörung, sondern eher um eine Transportstörung, erläuterte Löser. Diverse, in der Literatur vorgeschlagene Behandlungen (Nagelavulsion und Matrixentfernung, ggf. Deckung mit subkutanem Lappen) seien unnötig und ungeeignet. Als hilfreich rät Löser zu einer konservativen, podologischen Behandlung. Nach Abfräsen eines Großzehennagels in „intensiver Fleißarbeit“ bei einem betroffenen Patienten konnte er feststellen: „Es wuchs wunderbar.“
Retronychie
Besonders häufig tritt eine Retronychie am Großzehennagel auf − ein Einwachsen der Nagelplatte in den proximalen Nagelfalz. Der Nagel wachse nicht mehr bzw. nicht mehr nach vorne, die Betroffenen litten aufgrund der Entzündungsreaktion unter Schmerzen, Antibiotika seien ohne Effekt.
So auch bei einem zum Zeitpunkt der (Fehl-)Diagnose „Pachyonychie“ 16-Jährigen, bei dem aufgrund einer Retronychie der Nagel weiterwuchs, jedoch in die falsche Richtung. Eine medikamentöse Behandlung helfe in solch einem Fall nicht. Vielmehr gehe es darum, wieder ein Wachstum in die richtige Richtung zu erzielen, betonte Löser, und wies auf die Möglichkeit des „Tapens“ hin. Trete das Problem aber weiterhin auf, werde die Nagelplatte vorsichtig und behutsam mittels Avulsion von proximal (!) entfernt, ohne zusätzlich Nagelbett oder Matrix zu beschädigen. Entscheidend sind hier die anschließende Nachbehandlung und intensive Pflege des Nagelbetts.
Bewegt sich die Nagelkante, wie in manchen Fällen, doch wieder nach vorn (anterograde Retronychie) und zeigt dann eine dachziegelartige Schichtung, liegt das Problem auch hier laut dem Experten im Nagelbett und nicht im Wachstum begründet. Es besteht dann die Chance, mit einer adäquaten Behandlung durch den Patienten bzw. einer ergänzenden podologischen Behandlung wieder ein gutes Nagelbild zu erzielen.
Matrixbezogene Nagelwachstumsstörungen
„Echte“ Nagelwachstumsstörungen (fokal oder total) können verschiedene Ursachen haben: Trauma (Unfall, Manipulation, iatrogen), Infektion (bakteriell: Matrixabszess, Nageldyschromasie; viral; mykotisch), Entzündung, Medikamenteneinnahme oder Tumor.
Wurde eine matrixbezogene Wachstumsstörung diagnostiziert, gilt es zu differenzieren, ob eine (möglicherweise auch transiente) Infektion, eine Entzündung oder Neoplasie vorliegt, die das Nagelwachstum beeinflussen kann. Dann ist entsprechend der Ursache zu therapieren, ohne „wohlmeinend“ übermäßig intensiv vorzugehen.
Anhand einiger Fälle von Nagelwachstumsstörungen zeigte Löser, dass z. B. bei einer Pseudozyste auch die Möglichkeit einer Spontanheilung bestehe oder wie man beispielsweise bei einem Glomustumor unter der Matrix mittels minimalinvasiver Operation vorgehen könne, ohne die Nagelplatte entfernen zu müssen. Als Extrembeispiel führte er ein amelanotisches malignes Melanom an. Die Therapie entspricht dann der Behandlung des malignen Melanoms.
Bei den entzündlichen Nagelwachstumsstörungen spielen v. a. Psoriasis und Lichen ruber eine Rolle. Würden entzündliche Prozesse frühzeitig erkannt, könne man sie durch eine intensive Therapie mit Steroidinjektionen, die gezielt unter die Matrix injiziert werden, medikamentös aufhalten, schloss Löser.
Ganz gleich welcher Ursache die Beschwerden an Finger- oder Zehennägeln sind, wichtig für eine erfolgreiche Behandlung ist die Differenzialdiagnostik mit der Frage „Was ist wirklich gestört, oder auch: Wer hat gestört?“. Bei der Therapie ist darauf zu achten, den Nagel so schonend wie möglich zu behandeln und – wo immer möglich – iatrogene Traumata zu vermeiden. „Solange der Nagel noch wächst, kann man in vielen Fällen das Bild durch Restitution oder Rekonstruktion wieder deutlich verbessern“, so Lösers Fazit, und er bekräftigte: „Nägel verdienen Aufmerksamkeit und Respekt.“
Die vorliegende Bildsammlung soll Fachexpertinnen und -experten helfen, Therapieentscheidungen bei Nagelveränderungen durch gezielte Erkrankungssuche mithilfe von Anamnese und Bildmaterial zu treffen. Dafür werden die Erkrankungen nicht nach Diagnose, sondern nach Pathologie sortiert, um sie zunächst einer Lokalisierung im Nagelorgan zuordnen zu können. Ein Fotoatlas mit Ausgangsbefund bietet zudem ein bildhaftes Inhaltsverzeichnis.
Autoren: Florence Decroos und Christoph Löser
Verfügbarkeit: ab sofort
Auflage: 1. Auflage 2024
Seitenanzahl: Softcover, 216 Seiten
Abbildungen: 247 farbige Abbildungen
ISBN-13: 978-3-931766-51-1Preis: 30,00 Euro
Vortrag „Nagelwachstumsstörungen“ von Dr. med. Christoph Löser anlässlich der FOBI, München, Juli 2024