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Onkologie

Integrative Behandlungen

Kunsttherapie in der Onkologie

Reiner H. Bubenzer

Nahezu unbemerkt sind integrativ-komplementärmedizinische Behandlungen zum leitliniengerechten Element moderner Krebsmedizin geworden. Vorreiter sind vor allem die USA, wo die American Society of Clinical Oncology (ASCO) Mitte 2018 erstmals überhaupt eine entsprechende Guideline zur integrativen Krebstherapie publizierte.1

In Deutschland wird das Thema einer menschengerechten Erweiterung der Krebstherapie durch integrativ-onkologische Maßnahmen für alle onkologischen Patienten – wenn überhaupt – nur hinter verschlossenen Türen der Fachgesellschaften diskutiert, ohne Relevanz für die Patientenversorgung (aber wirksam beim effektiven Klinikmarketing). Dies gilt auch für die Musiktherapie, die in der erwähnten ASCO-Guide­line mehrfach mit hohen Evidenzgraden empfohlen wird, in deutschen Leitlinien aber kaum Erwähnung findet, z. B. im Bereich der onkologischen Palliativmedizin oder der Psychoonkologie.[2,3] Der Hintergrund des zögerlichen Umgangs mit Kunsttherapie in der Onkologie wird in einem Mitte 2019 veröffentlichten Review des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) deutlich[4]: Der HTA-Bericht kommt zwar zum Ergebnis, dass Musiktherapie unmittelbar nach Therapieende Angst, Abgeschlagenheit, Stimmungsschwankungen, Stress und Anspannung verringern und die Lebensqualität verbessern kann. Ob diese Wirkung jedoch länger anhalte, bleibe wegen der zumeist kurzen Dauer der Studien unklar. Nicht geklärt sei auch, ob Musiktherapie Schmerzen und Depressionen lindern und dabei helfen könne, alltägliche Aktivitäten besser zu bewältigen. Immerhin: Die Autoren nehmen an, dass Musiktherapie nach heutigem Wissensstand wenigstens nicht schadet (was jedoch ebenfalls nicht gut untersucht sei). Zudem wurden von den Autoren keine Studien und Daten gefunden, die das Verhältnis von Kosten und Nutzen darstellten. Deshalb bleibe die Frage unbeantwortet, ob die Kosten für die zusätzliche Musiktherapie in einem vertretbaren Verhältnis zum Nutzen stünden. Schließlich, so fordert der Bericht, sollten das Berufsbild und die Ausbildung der Musiktherapeuten gesetzlich geregelt werden, um eine einheitliche Qualität der Behandlung sicherzustellen. Es ist anzunehmen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die musiktherapeutische Krebsbehandlung wegen dieser insgesamt sehr zurückhaltenden Beurteilung nicht in die Kassenerstattung aufnehmen wird.

Signifikante Effekte in der Onkologie

Der Anwendungsbereich, für den HTAs oder Metaanalysen signifikante Wirkungen der Musiktherapie in der Onkologie herausarbeiteten, ist groß. Bereits der erwähnte, zurückhaltende IQWiG-Report gibt Hinweise und Anhaltspunkte für einen, wenn auch nur kurzfristigen Nutzen der Musiktherapie im Vergleich zur Routineversorgung bezüglich:

• Abgeschlagenheit,

• Stimmungsschwankungen,

• Angst,

• Depression,

• Stress/Anspannung und gesundheitsbezogener Lebensqualität.

Im Verlauf mehrerer Sitzungen ebenso bezüglich

• krankheitsbezogener unerwünschter Ereignisse,

• Abgeschlagenheit und

• Stimmungsschwankungen.

Für weitere therapeutische Effekte fehlt die Evidenz, so der HTA-Bericht. Positiver werden die Wirkungen in einem 2016 publizierten, systematischen Review der Cochrane Collaboration bewertet: Ergänzend zu den zuvor genannten Effekten können sich musiktherapeutische Interventionen bei Krebspatienten auch positiv auf Schmerzen, Fatigue und in geringerem Umfang auch auf physiologische Parameter wie Puls, Atemfrequenz oder Blutdruck auswirken.[6] Die eingangs erwähnte ASCO-Leitlinie empfiehlt Musiktherapie schließlich, um Angst zu vermindern (Evidenzgrad B) und Stimmungsschwankungen zu verringern (Grad B) und kann beim Schmerzmanagement in Betracht gezogen werden (Grad C).[7]

Schlussfolgerung: Als emotionsfokussierte Methode ermöglicht Musiktherapie eine kreative und teils nonverbale Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenssituation und zeigt positive Effekte sowohl auf das psychische Wohlbefinden von Krebspatienten als auch auf körperliche Symptome wie Schmerz. Damit ist sie nach modernem Verständnis weitaus mehr als eine „Heilhilfstherapie“, nicht zuletzt da die Evidenzlage auf breite Einsatzmöglichkeiten entlang der (psycho-)onkologischen Behandlungskette hinweist. Jeder Onkologe und Krebspatienten betreuende Arzt sollte im Hinterkopf behalten, dass insbesondere die Reduktion von Ängsten und benötigter Schmerzmedikation in der Akutphase sowie die Verbesserung von Lebensqualität, Schmerzen und spirituellem Wohlbefinden im palliativen Setting empirisch gut nachgewiesen sind.[7]

„Skandalöser“ Ausschluss von der Erstattungsfähigkeit

Obwohl die Studienlage keine Hinweise darauf liefert, dass Musiktherapie in der ambulanten Behandlung weniger positive Ergebnisse zeigt als in der stationären Behandlung, ist sie bislang nur im stationären Bereich häufiger Bestandteil der Behandlung. Einem Einsatz in der ambulanten Onkologie steht seit 1982 ein in der Heilmittelrichtlinie des G-BA festgelegter Ausschluss von „Musik- und Tanztherapie“ entgegen (HeilM-RL, Anlage 1). Musiktherapie steht also nur Patienten zur Verfügung, die sich die Behandlungskosten selbst leisten können. Dieser Ausschluss wurde übrigens seither immer wieder bestätigt:

„Nicht verordnungsfähige Heilmittel im Sinne dieser Richtlinie:

[...]

a. Maßnahmen, deren therapeutischer Nutzen nach Maßgabe der Verfahrensordnung des G-BA (VerfO) nicht nachgewiesen ist

[...]

4. Musik- und Tanztherapie“

Das kann zu der absurden Situation führen, dass eine während der stationären Behandlung eingeleitete, erfolgreiche therapeutische Begleitung im Anschluss ambulant nicht fortgesetzt werden kann, weil die ambulante Behandlung selbst bei erkennbarem Erfolg der Musiktherapie nicht erstattungsfähig ist. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft (DMtG), Dr. Lutz Neugebauer (Witten), bezeichnete diesen Ausschluss als „skandalös“, zumal die ursprünglichen Gründe dafür auch nach intensiver Recherche weder auffindbar noch nachprüfbar seien.[8]

Lösungsorientierte Maltherapie mit reproduzierbaren Resultaten

Zu anderen Kunsttherapien mit ebenfalls pluralistisch-unterschiedlicher Genese und Theorie, aber mit weitaus geringerer klinischer Signifikanz zählt die Maltherapie. Ein neues maltherapeutisches Verfahren, die lösungsorientierte Maltherapie (LOM), wurde ab den 80er-Jahren von Egger und Merz entwickelt.[9] Wie andere Kunsttherapeuten beobachteten auch sie, „dass das Malen eines einfachen, konkreten Bildes die von den Malenden empfundene Belastung spürbar reduzierte (Stressreduktion). [...] Zum anderen [...], dass bei traumatisierten Menschen das Malen des belastenden Erinnerungsbildes [...] eine spürbare und anhaltende Reduktion der Belastung brachte“.[9] Im Mittelpunkt von LOM steht also nicht das gemalte Bild als interpretationsbedürftiger Ausdruck eines inneren Geschehens, sondern die innere Veränderung, die das Malen selbst auslösen kann.

Das angeleitete und unterstützte Malen von Bildern, die schwierige und belastende Gefühle oder Lebenssituationen versinnbildlichen und externalisieren können, ermöglicht als lösungsorientierte Kurztherapie Heilung und Erleichterung und entwickelt neue Lebensperspektiven. Das Verfahren der lösungsorientierten Maltherapie steuert und verändert Emotionen durch Veränderungen am Bild. Im Rahmen von noch unpublizierten Studien wurde die Methode mittels regelmäßiger Selbsteinschätzungen der Patienten mit standardisierten Fragebögen (u. a. Berner Fragebogen zum Wohlbefinden) und der kontinuierlichen Dokumentation aller Interventionen optimiert und zeigte reproduzierbare Wirkungen bei einem breiten Indikationsspektrum. Den bisherigen Erfahrungen zufolge kann LOM in fast allen Altersgruppen sowie in verschiedensten Lebenssituationen angewandt werden. Mögliche Patientenanliegen sind z. B. psychische, psychosomatische und somatische Symptome, wie sie auch bei der psychoonkologischen Betreuung oder der Sterbebegleitung zum Alltag gehören. Besonders attraktiv im klinisch-onkologischen Setting, bei immer kürzer werdender Liegedauer, ist der geringe Zeitaufwand: „Um mit dem LOM einen therapeutischen Erfolg zu erzielen, genügen oft wenige Stunden. Eine lange Behandlungsdauer verbessert das Resultat höchstens minimal. Die positive Veränderung der emotionalen Belastung ist auch nach über einem Jahr noch erhalten. Das LOM erzeugt also nachhaltige Resultate“, berichteten Merz und Egger 2013 in ihrer Studie.

Definitionen[5]

• aktiv/rezeptiv – je nach Schule und Hintergrund wurde lange zwischen aktiver und rezeptiver Musiktherapie unterschieden. Die „aktive Musiktherapie“ wird von ausgebildeten MusiktherapeutInnen durchgeführt und umfasst die therapeutische Beziehung sowie die Verwendung von individuell auf die Bedürfnisse der Patienten zugeschnittenen Musikinterventionen (eigenes Musizieren). Die „rezeptive/passive Musikmedizin“, also das „Hören“ von Musik, wird gelegentlich eher geringschätzig dargestellt, obwohl auch hierzu gute Behandlungsergebnisse vorgelegt worden sind (bei fließenden Grenzen in vielen Studien).

• Setting – Musiktherapie in der Onkologie kann ein wichtiger Bestandteil der psychoonkologischen Behandlung sein. Musiktherapeuten arbeiten in Bereichen wie Akutkliniken, Palliativstationen, Hospiz, onkologischen Fachpraxen, ambulanten und klinischen Rehabilitationskliniken oder in freier Praxis. Das Angebot gilt für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.

• Praxis – zum Einsatz kommen vor allem Techniken aus den Bereichen Entspannung und Imagination, Liedformen sowie die musikalische Improvisation mit spieltechnisch leicht handhabbarem Instrumentarium.

• theoretischer Hintergrund – je nach Schule finden sich unterschiedlichste Begründungen zum Einsatz und zur Wirksamkeit von musiktherapeutischen Methoden (tiefenpsychologische, verhaltenstherapeutisch-lerntheoretische, systemische, anthroposophische oder ganzheitlich-humanistische Ansätze). Wie in anderen Bereichen der integrativen Medizin auch gefährden evidenzbasierte Wirksamkeitstheoreme (und die Diskussion um Therapeutenqualifikation und Kostenübernahme) den noch vorhandenen Pluralismus der Methoden.

• Kostenübernahme – Musiktherapie wird in Deutschland im ambulanten Bereich derzeit nur in Ausnahmefällen von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt. Kliniken und Rehabilitationszen-tren bieten Musiktherapie teilweise im Rahmen des Aufenthaltes an, für einzelne Indikationen existieren Abrechnungsziffern (Reha).

[1] Lyman GH et al., J Clin Oncol 2018; 36(25): 2647–2655
[2] Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP): Erweiterte S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung. Gültig bis August 2024. AWMF-Registernummer: 128-001OL, Entwicklungsstufe: S3
[3] Deutsche Krebsgesellschaft (DKG): Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten. Gültigkeit abgelaufen. AWMF-Register­nummer 032-051OL, Entwicklungsstufe: S3
[4] Stürzlinger H et al., Krebs: Kann eine begleitende Musiktherapie zu besseren Behandlungsergebnissen beitragen? in: HTA-Bericht HT17-02, Hrsg: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Köln, 2019
[5] Rötter G (Hrsg.): Handbuch Funktionale Musik – Psychologie – Technik – Anwendungsgebiete. Springer Fachmedien, Wiesbaden, 2017
[6] Bradt J et al. et al., Cochrane Database Syst Rev. 2016; (8): CD006911
[7] Köhler F et al., Onkologe 2019; 12: 1–6
[8] DMtG, Pressemeldung „Musiktherapie hilft bei Krebs – Erster ThemenCheck – Medizin mit weiteren wissenschaftlichen Ergebnissen. Deutsche Musik­therapeutische Gesellschaft sieht Handlungsdruck bei der Politik“, Berlin, 2019
[9] Egger B, Merz J, Lösungsorientierte Maltherapie – Wie Bilder Emotionen steuern, Hans Huber Verlag, Bern, 2013

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