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Kongress-Ticker

Hormondefizienz

Die metabolischen Folgen des hormonellen Alterns

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

18.11.2022

Zur Eröffnung der verschiedenen Sessions hatten sich die Kongresspräsidentinnen Prof. Dr. med. Petra Stute (Bern) und Dr. med. Annette Bachmann (Frankfurt) etwas besonderes ausgedacht: Ein fetziger Song führte ins Thema ein. Bei der Session zum biologischen Altern waren das die Pet Shop Boys und „What have I done to deserve this?“. Mit dem Alter sind viele Veränderungen im Hormonhaushalt verbunden und Prof. Dr. med. Jörg Bojunga (Frankfurt) ging der Frage nach, was normal ist, was behandelt werden sollte: Menopause, Andropause – ist das gut, ein Leben in der Pause? Oder ist Altern ein substitutionsbedürftiger Zustand? Und wenn ja, ab wann?

Nicht jede Defizienz substituieren

Dass nicht jede Defizienz therapiert werden muss, zeigte er am menschlichen Wachstumshormon (GH) und anhand eines eindrucksvollen Beispiels. In einem indigenen Bevölkerungsteil Brasiliens ist ein Defekt am GH-Rezeptor weitverbreitet. Diese Menschen sind extrem kleinwüchsig, ansonsten aber gesund. Sie haben eine normale Lebenserwartung. Sollte der Zustand also behandelt werden? „Nein“, sagte er. Denn die Gabe von Wachstumshormonen bei gesunden Menschen führt zu Akromegaliesymptomen.

Nicht anders bei DHEA (Dehydroepiandrosteronacetat). Bereits seit einigen Jahren ist DHEA als Wundermittel gegen Alterserscheinungen in der Diskussion. Die Substanz soll außerdem bei chronischem Müdigkeitssyndrom, Depressionen, Fettleibigkeit (> Adipositas) und bei Autoimmunerkrankungen helfen können. Der DHEA-Spiegel im Blut steigt vor der Pubertät an, erreicht seinen Höhepunkt zwischen 20 und 30 Jahren und nimmt danach kontinuierlich ab. DHEA-Substitution bei älteren Menschen sorgt dafür, dass die DHEA-Spiegel ansteigen – sonst nichts. Studien zeigen eindeutig, dass z. B. körperliches Training die Lebensqualität und das Gesamtüberleben deutlich verbessert. DHEA tut das nicht.

Dass Hormonsubstitution oft mehr schadet als nutzt, zeigte er an der Schilddrüse. Unterfunktion in der Perimenopause (> Menopause) hat angeblich negative Folgen, viele Frauen in dieser Lebensphase erhalten deshalb L-Thyroxin. Aber was ist normal? „Es gibt für jede Lebensphase eigene Referenzbereiche“, sagte Prof. Bojunga, „und TSH steigt mit dem Alter an.“ Die Progredienz von latenten Schilddrüsenerkrankungen ist gering. Seine Empfehlung: „Behandlungsbedürftig sind TSH-Werte über 10. Alles was nicht eindeutig pathologisch ist, sollte man abwarten.“

Viele Frauen bekommen aber ohne Not Thyroxin. Die Aussage „Ich bin schlapp“ und ein TSH 6 reichen, und schon wird substituiert. Sinnlos, findet Bojunga. Er präsentierte Studien, die belegen: Gibt man Placebo, ist die Lebensqualität tendenziell besser als unter Thyroxin (Depression, Gewicht etc.). Auch ein Zusammenhang mit der Libido oder kardiovaskulären Erkrankungen besteht nicht. Und nicht zu unterschätzen: Je älter die Menschen, desto höher das Risiko für eine subklinische Hyperthyreose mit allen bekannten Risiken und Nebenwirkungen.

Sexualhormone und Metabolismus

Während Prof. Bojunga sich auf die „anderen“ Hormone konzentriert hatte, beleuchtete Prof. Dr. med. Joseph Neulen (Aachen) die Rolle der Sexualhormone in einem alternden Metabolismus. Auch er betonte gleich zu Anfang, dass es in diesem Prozess nur bedingt Einflussmöglichkeiten gibt: „Die Energiebereitstellung in den Mitochondrien bricht bereits im Alter von 30 bis 40 Jahren ein und bleibt danach gleich.“ „Diesen Prozess können wir nicht ändern – wir altern zunächst in den Mitochondrien.“

Bei Frauen beschleunigt sich das metabolische Altern mit dem Eintritt in die Wechseljahre. Der menopausale Übergang stellt ein Risikofaktor für gestörte Insulinsensitivität, metabolisches Syndrom und Aufkommen eines Diabetes mellitus vom Typ 2 (DM2) dar. Das relative Risiko für ein DM2 steigt um den Faktor 1,9 und korreliert mit dem Alter des Eintritts in die Menopause.

Das hat mit den fallenden Estrogenspiegeln zu tun und Neulen beleuchtete den Zusammenhang zwischen Estrogenrezeptor-Ausstattung und Insulinaktivität. Landläufig gilt ja: Der Estrogenrezeptor (ER) alpha ist schlecht, weil er für Risiken wie maligne Entartung steht. Metabolisch ist er jedoch der „gute“. ER-alpha steigert die Insulinsensitivität, ER-beta senkt dagegen die Insulinsensitivität nach Ligandenbindung. ER-alpha steigert die Expression des Glucosetransporters GLUT4 und die hepatische Insulinsensitivität; ER-beta senkt die GLUT4-Expression. Das metabolisch Ungeschickte: Zellen produzieren mit dem Alter mehr ER-beta und weniger alpha, deshalb geht die Wirkung der Estrogene zurück.

Prof. Neulen stellte Daten der HERS- und der WHI-Studie vor, welche die physiologische Bedeutung einer Hormonersatztherapie (HRT) zeigen. Dabei reduziert die Gabe von Estrogenen das Diabetesrisiko um ca. 30 %. Gestagene zum Endometriumschutz konterkarieren das nicht – wenn man die richtigen wählt. Gestagene mit glukokortikoider Partialwirkung können die Insulinresistenz steigern.

Diabetes ist für Frauen in der Peri- und Postmenopause ein großer Risikofaktor für viele Ereignisse. So erhöht sich das Risiko für gynäkologische Krebsvarianten bis zum Faktor 10. „Eine HRT kann hier sehr hilfreich sein“, betonte Prof. Neulen in seinem Fazit. „Wohl wissend, dass der Effekt durch den Switch der Rezeptoren in Richtung ER-beta irgendwann nachlässt.“

Session „What have I done to deserve this?“

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