Präparate aus der Mistelpflanze (Viscum album) sind in Deutschland als komplementärmedizinische Anwendung weit verbreitet. Ob sie antitumorale Wirkung hat, wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Zur Reduzierung von Nebenwirkungen unter onkologischer Standardtherapie und zur Verbesserung der Lebensqualität ist die Datenlage besser.
Die Misteltherapie ist eines der in Deutschland bei Krebsbehandlungen am häufigsten angewendeten komplementären Verfahren.[1] 16 % der Patientinnen mit einem Mammakarzinom im Frühstadium und 15 % der Patienten mit Lungenkarzinomen wenden Mistelpräparate an.[2] Die Misteltherapie wird sowohl in der adjuvanten als auch in der palliativen Situation eingesetzt, in Kombination mit einer konventionellen Therapie oder in der Nachsorge als alleinige Therapiemaßnahme. Hauptsächlich findet sie Anwendung zur Verbesserung der Lebensqualität und Verminderung systemtherapeutisch bedingter Nebenwirkungen.
Für die Therapie mit der Mistel stehen verschiedene Präparate zur Verfügung; die anthroposophisch hergestellten Präparate sowie die sonstigen Mistelpräparate. Bei der anthroposophischen Mistel wird durch überadditive Effekte die Wirkung des Gesamtextrakts als wichtig erachtet.[3] Er besteht aus mehr als 1.000 Inhaltsstoffen.[4,5] Alle Versuche, Reinsubstanzen aus der Mistel in die Krebstherapie einzuführen, sind bisher nicht geglückt. Hinzu kommt, dass je nach Wirtsbaum die Zusammensetzung der Extrakte variieren kann. Im Hinblick auf die therapeutische Wirkung stehen zwei Substanzklassen besonders im Fokus.
Mistellektine sind zuckerhaltige Proteine, die überwiegend in den älteren Stängeln und im Senker, dem Zentrum der Pflanze, vorkommen. Man unterscheidet drei Gruppen (Mistellektin I, II, III) mit mehreren unterschiedlichen Isolektinen. Der Lektingehalt schwankt von Wirtsbaum zu Wirtsbaum sowie mit den Jahreszeiten. Kiefernmisteln beispielsweise haben den geringsten Lektingehalt und enthalten vorwiegend Mistellektin III. Besonders lektinreich sind dagegen Eichen-, Pappel-, Linden- und Eschenmisteln, in denen Mistellektin I überwiegt. Darüber hinaus haben die verschiedenen Extraktionsverfahren Einfluss auf das Lektinspektrum.[4] Alle Lektine bestehen aus einer A- und einer B-Kette, die über Disulfidbrücken miteinander in Verbindung stehen. Die A-Kette ist für die zytostatische Wirkung verantwortlich und die B-Kette vermittelt den Kontakt zur Zielzelle. Die Bindungsfähigkeit der Mistellektine ist jedoch sehr unterschiedlich und hängt ebenso von den Zuckerverbindungen des Tumors ab. Dies könnte u. a. erklären, dass die Mistel bei verschiedenen Tumorentitäten unterschiedliche Wirkung zeigt.
Viscotoxine sind eiweißhaltige Verbindungen, die in ihrer chemischen Struktur Schlangengiften ähneln. Man kennt sechs Untergruppen (A1, A2, A3, U-PS, 1-PS und B). Im Sommer ist der Viscotoxingehalt in der Mistel am höchsten und schwankt ebenso wie der Lektingehalt von Wirtsbaum zu Wirtsbaum. Viscotoxine kommen vor allem in ganz jungen Blättern, Stängeln und blütentragenden Kurztrieben (einschließlich der Beeren) vor, also im äußeren Bereich der Pflanze. Viscotoxine haben einen stärkeren zytotoxischen Effekt als Vincristin und können eine Apoptose induzieren. Gleichzeitig stimulieren sie die Aktivität der T-Zellen und der Granulozyten.[6] Angesichts dieser Fähigkeit, das Immunsystem durch die Induktion verschiedener Zytokine und die Aktivierung von Lymphozyten, Granulozyten und Phagozyten zu stimulieren, wird die Mistel als Biological Response Modifier eingestuft.[7,8] Proapoptotische, zytotoxische sowie antiangiogenetische Effekte wurden ebenfalls nachgewiesen.[4]
Bisher gibt es keinen allgemein anerkannten Beleg für die Wirksamkeit der Misteltherapie. Eine Metaanalyse auf Basis von 18 kontrollierten klinischen Studien kam zu dem Schluss: Es gibt Hinweise darauf, dass die Misteltherapie die Lebensqualität von Patienten während einer Chemotherapie verbessern kann. 7 von 14 Studien zeigen auch verbesserte Überlebenschancen.[9] Ein Review von 2019 zieht das in Zweifel,[10] allerdings werden auch die Ein- und Ausschlusskriterien dieser Zusammenfassung kontrovers diskutiert. Realistisch lässt sich sagen: Die Qualität der Studien ist sehr unterschiedlich und sie sind kaum vergleichbar, sodass eine abschließende Bewertung der Misteltherapie zum Gesamtüberleben aktuell nicht möglich ist. Es gibt jedoch eine sehr gute Evidenz (LoE 1a), dass die Misteltherapie zur Verbesserung der Lebensqualität, zur Verringerung der krankheitsbedingten Fatigue und einer besseren Verträglichkeit onkologischer Therapien führt.[4,6,11–15] In einer systematischen Analyse von 2010 zeigten 22 von 26 randomisierten Studien eine Verbesserung der Lebensqualität (Fatigue, Übelkeit und Erbrechen, emotionales Wohlbefinden, Konzentration).[16]
Mistelpräparate gibt es nur als Injektionslösung, die in oder unter die Haut gespritzt wird. Sie wird in der Regel gut vertragen, mögliche Nebenwirkungen sind lokale Reaktionen an der Injektionsstelle und leichte Temperaturerhöhungen. Beide Symptome können zur Optimierung der Dosisfindung genutzt werden. Die lokale Reaktion erfolgt bis zu einer Rötung von 1–5 cm an der Einstichstelle ca. 6–12 Stunden nach Injektion. Sie beruht auf einem gemischtzelligen Leukozyteninfiltrat und signalisiert eine gute Immunstimulation. Bei zu hoher Dosierung sind überschießende lokale Reaktionen an der Injektionsstelle und grippeartige Symptome wie Fieber, Schüttelfrost, leichte gastrointestinale Beschwerden und Kopfschmerzen beschrieben.[13] Kontraindikationen sind Fieber, Entzündungen und floride Autoimmunerkrankungen oder Überempfindlichkeit gegenüber einem der Bestandteile.
Gegenstand kontroverser Diskussionen war lange Zeit die Frage, ob durch die Mistelinjektion Tumorwachstum stimuliert wird und ob Wechselwirkungen oder Abschwächungen der konventionellen Therapie zu erwarten sind. Ein Tumorenhancement konnte bisher jedoch weder in Zell- noch Tierversuchen eindeutig gezeigt werden. Auch in den vorliegenden klinischen Studien gab es kein Anhalt für eine Tumorwachstumsstimulation durch den Einsatz einer Misteltherapie.[17] Wechselwirkungen oder eine Abschwächung der CTX unter einer Misteltherapie konnten ebenfalls weder in vitro noch in vivo gezeigt werden.[15,18,19] Ebenso zeigt eine große Versorgungsstudie keine Therapieabschwächung monoklonaler Antikörper durch die Misteltherapie.[20]
Die Behandlungsschemata unterscheiden sich je nach Art des Extrakts und Patientencharakteristika. In Bezug auf die Dosierung und auf die Dauer einer Misteltherapie gibt es keine eindeutigen Empfehlungen. Im Allgemeinen gilt in der palliativen Situation eine zeitlich unbegrenzte Misteltherapie.
Fazit für die Praxis
• Die Misteltherapie gehört in Deutschland zu den am meisten verordneten komplementärmedizinischen Krebsmedikamenten. Sie wird sowohl in der adjuvanten als auch in der palliativen Situation eingesetzt.
• Hauptsächlich findet sie Anwendung zur Verbesserung der Lebensqualität und Verminderung systemtherapeutisch bedingter Nebenwirkungen.
• Es gibt eine sehr gute Evidenz, dass die Misteltherapie zu einer Verbesserung der Lebensqualität, zur Verringerung der krankheitsbedingten Fatigue und einer besseren Verträglichkeit onkologischer Therapien führt.
• Tumorenhancement, Wechselwirkungen oder eine Abschwächung der Chemotherapie konnten weder in vitro noch in vivo gezeigt werden.
• Unerwünschte Wirkungen sind selten und treten bei ungefähr 0,8 % der behandelten Patienten auf.
Die Autorin
Dr. med. Daniela Paepke
Frauenklinik rechts der Isar
TU München
Ismaninger Str. 19
81675 München
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[2] Templeton A et al., BMC Cancer 2013; 13: 153
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[20] Schad F et al., Integr Cancer Therap 2016; 1: 1–11
[21] mistel-therapie.de/de/allgemeine.informationen/studien/klinische.studien/ Stand 13.08.2019
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