Der bedeutendste Risikofaktor für eine Arzneimittelschädigung ist die Anzahl an eingenommenen Mitteln. Kriterien helfen, ungeeignete Präparate zu ermitteln und abzusetzen. Die Einschätzung sollte in das geriatrische Assessment aufgenommen werden.
„Nimmt mein älterer Patient zu viele Arzneimittel?“ Diese Frage stellen sich viele Ärzte. Je älter der Patient, desto mehr Komorbiditäten treten auf und desto mehr wird verordnet. Besonders häufig geschieht das bei älteren Tumorpatienten. Diese erhielten im Jahr 2016 durchschnittlich 5 bis 9,1 Präparate [1]. Bei einem fortgeschrittenen Tumor erhöht sich die Anzahl der Medikamente weiter, sei es durch supportive Maßnahmen oder komplementäre Behandlungen. Im onkologischen Setting ist die Polypharmazie mit einer höheren Anzahl von Begleiterkrankungen und ungeeigneten Medikamenten, einer schlechteren Performance und dem Frailty-Syndrom assoziiert. Auch ein schlechter körperlicher Zustand und ein geringes Überleben hängen damit zusammen. Die Folgen sind Wechselwirkungen der Präparate, eine ungeeignete Medikation und Nebenwirkungen wie die Chemotoxizität. Ob ein Mittel geeignet ist oder nicht, hängt von der Lebenserwartung des Patienten und von den Behandlungszielen ab. Ungeeignete Präparate können durch den Prozess des „Deprescribing“ ausgesetzt werden. Dabei wird die Medikation im Hinblick auf Ziele, Nutzen und Risiken sowie ethische Gesichtspunkte reduziert. Beim älteren Tumorpatienten erfolgt das in sechs Schritten: 1. Einschätzen der Lebenserwartung und der Behandlungsziele, 2. Überprüfen der Medikation, 3. Evaluieren der Medikation, 4. Die Medikamente bestimmen, die abgesetzt werden können, 5. Deprescribing nach Plan, 6. Monitoring und Überprüfen [2].
Eine möglicherweise ungeeignete Medikation zeichnet sich durch hohes Risiko und/oder niedrigen Nutzen aus. Spezifische Kriterien helfen bei der Identifizierung:
Die Beers-Kriterien, vor allem bei Tumorpatienten geeignet, das „Screening Tool for Older People‘s Prescriptions“ oder der „Medication Appropriateness Index“. Nachdem ungeeignete Medikamente erkannt sind, werden Maßnahmen zum Deprescribing ergriffen. Die Einschätzung der Polypharmazie sollte auch in das geriatrische Assessment aufgenommen werden, welches auf den NCCN Guidelines for Older Adult Oncology basiert. Für eine geeignete und sichere Medikation älterer Tumorpatienten wird die regelmäßige und ausführliche Einschätzung der Medikation empfohlen, besonders bei einer Therapiemodifikation, Zustandsveränderung oder Pflegeüberleitung. Eine eindeutige Methode des Polypharmazie-Assessments wurde jedoch noch nicht entwickelt. Auch das Deprescribing ist bei älteren Tumorpatienten noch nicht evaluiert. Um diese Verfahren zu optimieren, kommt den Pharmazeuten im interdisziplinären Team eine wichtige Rolle zu.
1 Sharma M et al., J Geriatr Oncol 2016 Sep; 7(5): 346‒353, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27498305/
2 Turner JP et al., J Geriatr Oncol 2017 Mar; 8(2): 77‒81