Im Kampf gegen Krebs ist es notwendig, alle denkbaren Möglichkeiten zu prüfen, die eine Heilung – besser noch Prophylaxe – ermöglichen können. Augenmerk gilt dabei auch den Auslösern einer karzinomatösen Gewebsentgleisung. Gewebsübersäuerung und Immunreaktionen spielen dabei unter anderem eine Rolle.
Keine klinische Studie konnte bisher einen Tumor-präventiven Effekt durch eine Bicarbonatgabe sicher nachweisen. Dem Problem Azidose im Rahmen von Tumorerkrankungen galt aber bisher auch wenig Beachtung. Deshalb erscheinen weitere gezielte Untersuchungen zum Einsatz von Natriumhydrogencarbonat bei Tumorkranken nötig. Intrazellulär erfolgt normalerweise die Pufferung hauptsächlich durch Phosphat und Hämoglobin. Tumorzellen unterliegen aber nicht der Apoptose, weshalb sie sich unaufhaltsam weiter teilen und zunehmend vom Ursprungsgewebe entdifferenzieren. Hypoxie und Azidose in der Mikroumgebung eines Tumors gelten als metabolische Stressoren mit einer immunsuppressiven Wirkung (Abb.). Der pH-Wert des Gewebes (intrazelluläre Azidose) ist in der Tumorumgebung nicht nur besonders sauer, es herrscht auch eine Hypoxie vor. Bei einer ausgeprägten Tumoranämie fällt außerdem die Hb-Pufferung praktisch aus. Entstehen ständig weiter saure Valenzen und können die Puffersysteme diese nicht mehr abfangen, dann entwickelt sich eine extrazelluläre Azidose. Das hat deutliche Einflüsse auf die Remodellierung von Tumor- und peritumoralem Gewebe. Außerdem sind diese Stressoren immunsuppressiv und können dazu beitragen, der Immunüberwachung des Organismus zu entkommen. Die Modulation dieser Parameter – u. a. der Azidose – erscheint somit als eine Möglichkeit für zukünftige therapeutische Interventionen.[1] Weitere Studien könnten demnach auch Antworten darauf geben, ob eine kontinuierliche orale Bicarbonatgabe die intra- und extrazelluläre azidotische Stoffwechsellage beseitigen und damit eventuell als adjuvante Tumortherapie gelten kann.
Liegt der extrazelluläre pH-Wert (pHe) im gesunden Gewebe zwischen 7,2 bis 7,5, so beträgt er im soliden Tumorgewebe 6,5 bis 6,9.[2] Diese extrazelluläre Azidose in der Mikroumgebung des Tumors hält die Carboanhydrase IX (CAIX) aufrecht. Karzinomzellen tolerieren dieses Milieu, trägt es doch zur Entwicklung eines metastatischen Phänotyps bei. Das wiederum begünstigt die weitere Tumorinvasion und Metastasierung. Außerdem fördert ein niedriger pHe den Calciumübertritt in die Karzinomzellen, was mit einer erhöhten Resistenz gegen Zytostatika assoziiert ist und zur vermehrten Bildung von Sauerstoffradikalen (Reactive Oxygen Species [ROS]) führt. Auch das befeuert die Metastasierung.[3] Der Gewebs-pH-Wert und dessen Beeinflussung scheint also in der Karzinomentwicklung und Metastasierung eine Rolle zu spielen. Das erbrachte eine Studie an Mäusen. Hier zeigte sich eine Abnahme der Metastasenrate von Brustkrebs, wenn durch orale Bicarbonatzufuhr der Tumor-pH-Wert angehoben wurde.2 Eine Bestätigung dieser Ergebnisse am Menschen steht allerdings aus. Auffällig war bei dieser Untersuchung, dass die chronische Alkalisierung mit Bicarbonat nicht zu einer generalisierten Alkalose im Organismus führte. Die Autoren vermuten, dass die Alkalisierung eher im Tumorgewebe stattfand und zudem direkt auf die extrazelluläre Azidose einwirkte. Eine weitere Studie benutzte ein zur Klärung dieses Problems entwickeltes Computermodell. Es stand ebenfalls zur Diskussion, ob die Gewebeazidität bei der Tumorentstehung und Metastasierung eine Rolle spielt, und wenn ja, welche? Es kam ein dreidimensionales mathematisches Modell zur Anwendung, um die Fähigkeit der systemischen Pufferung zu testen, hinsichtlich Minderung der Azidität in Tumoren selbst und im peritumoralen Gewebe. Interessant sind die ermittelten Ergebnisse. Die orale Zufuhr von NaHCO3 kann zu einem Anstieg des Bicarbonatspiegels im Serum führen und dabei die intra- und peritumorale Azidität in kleinen Tumoren senken. Das erscheint möglich, ohne den Blut-pH-Wert in Richtung einer manifesten Alkalose anzuheben. Die konsequente Änderung des Wirt-Tumor-Verhältnisses im Sinne einer Beseitigung des übersäuerten Zustandes kann nach diesem Modell das Tumorwachstum und die Metastasierung reduzieren.[4]
Ein Ende 2018 publizierter Review-Artikel beschäftigte sich mit dem Problem, inwieweit ein niedriger pH-Wert einen negativen Einfluss auf die Immunantwort gegenüber Entzündungen und gegenüber Tumorzellen hat.[5] Dem Zusammenhang zwischen extrazellulärer Azidose und Immunantwort hatten sich nämlich bisher nur wenige Studien gewidmet. Jetzt richtete sich das Augenmerk nicht allein auf die molekularen, sondern auch auf die immunologischen Reaktionen zwischen Tumor und Organismus. Anhand von 136 Literaturstellen resümieren die Autoren, dass eine hohe Protonenkonzentration im Gewebe die Funktion der T-Lymphozyten unterdrückt. Diese stehen neben den B-Lymphozyten für die spezifische zelluläre Abwehr innerhalb des Immunsystems. So lässt sich die Azidose des den Tumor und die Entzündung umgebenden Gewebes – bildlich gesehen – wie das Flaggensignal „In distress, want assistance“ (durch Bicarbonat) interpretieren. Kann also die orale Verabreichung der physiologischen – körpereigenen – Puffersubstanz Bicarbonat eine mögliche adjuvante Therapieoption im Therapiemanagement von Karzinomen sein? Magensaftresistente Bicarbonat-Präparate bieten sich dafür an. Eine heilende „Krebsdiät“ gibt es schließlich nicht. Heilerfolge von Diäten sind spekulativ und beruhen meist auf ungenügend dokumentierten Fallberichten. Allerdings ist eine vollwertige Ernährung – auch im Krebsstadium – unabdingbar, doch sie ist kein Therapeutikum.
Fazit
Bicarbonat steht im Zentrum des Säure-Basen-Haushaltes. Studien zufolge kann es bei der Tumorbehandlung als therapeutisches Adjuvans eine Rolle spielen. Ein ausgeglichener Säure-Basen-Haushalt bietet günstige Voraussetzungen für eine gute Gesundheit, ist aber – gerade auch bei Tumorerkrankungen – immer anzustreben.
Der Autor
Dr. med. Dr. PH Herbert Stradtmann
Arzt für Innere Medizin/Nephrologie,
Hypertensiologe-DHL® und Rehabilitationswesen
Im Wölftegrund 27
34537 Bad Wildungen
[1] Damagaci S et al., Immunologie 2018; 154(3): 354–362
[2] Robey IF et al., Cancer Res 2009; 69(6): 2260–2268
[3] Kato Y et al., Jpn Dent Sci Rev 2018; 54(1): 8–21
[4] Silva AS et al., Cancer Res 2009; 69(6): 2677–2684
[5] Diaz FE et al., Mediators of Inflammation 2018; doi.org/10.1155/2018/1218297
Bildnachweis: privat